David Gazarov gehört zu den Musikern, deren natürlicher Lebensraum ihr Instrument ist. In diesem Fall: der Flügel. David Gazarov, geboren 1965 in Baku, kann ausgezeichnet in – deutsche – Worte fassen, was ihm Musik bedeutet, und wie er selbst, ganz persönlich, mit dieser Musik lebt und arbeitet. Aber erst, wenn er sich zurückzieht in sein eigentliches Habitat, wird deutlich, was er eigentlich meint.
Beim Nachsommer-Konzert mit seinem Trio in Halle 410 bei SKF dauert es ein bisschen, bis er zu Hause ankommt. Der erste Satz von Bachs Italienischem Konzert fremdelt noch. Das Programm heißt „Bachology“, was an „Djangology“ erinnert und ansonsten ein wenig akademisch klingt. Darin jedenfalls tut der Titel Gazarov Unrecht, denn der brillante Techniker und Bearbeiter tut zwar nichts, ohne fundierte musikologische Begründung, akademisch ist sein Spiel aber in keinster Weise.
Er wird gerne als Nachfolger von Jacques Loussier bezeichnet, jenem Pionier also, der vor 55 Jahren Bach und Jazz zusammenbrachte. Gazarov nimmt das eher gleichmütig zur Kenntnis. Gazarov ist Gazarov, und als solcher stellt er sich in den Dienst der Komponisten, deren Werke er interpretiert, ob das nun Bach ist, Chopin oder Oscar Peterson, der Pianist, dem er stilistisch wohl am nächsten steht. Bach/Gounods „Ave Maria“, deklariert als Gebet für all die Menschen in den Kriegsgebieten, die Hilfe brauchen, hilft ein weiteres Stück weiter Richtung Heimat.
Eine kuriose Version: superschneller, huschender Drive von Meinhard Obi Jenne am Schlagzeug, bohrende Liegetöne von Michi Schulz (der auch seine Soli gerne streicht) am Kontrabass, Dauertremoli und gigantisch lange Bögen von Gazarov. Mehr romantische Wucht geht kaum, und doch hat dieses monumentale „Ave Maria“ keinerlei leeres Pathos.
Mit dem wunderbar innigen Choralvorspiel „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ sind Gazarov und seine kongenialen Kollegen endgültig angekommen. Aus ganz leichten Punktierungen und Gegenbetonungen entwickeln sie den Swing, Bass und Schlagzeug sind sehr oft Melodie- und Rhythmusinstrument gleichzeitig, ihre Soli makellos, einfallsreich und nicht selten ziemlich witzig.
Ab jetzt ist das Konzert das pure Glück. Mit einem hochkniffligen, durchgehend polyrhythmischen Minutenwalzer, einer quartengesättigten Version von „Take five“ oder einem furiosen Prélude Nr. 16 unter dem Titel „Chopin's Bebop Idiom“.
Mit Petersons „You look good to me“ und „Hymn to freedom“ führt Gazarov endgültig den Nachweis, dass die Trennung zwischen Klassik und Jazz Unsinn ist. Allerdings, und das ist der Haken: Um diese Erkenntnis überzeugend umzusetzen, braucht es schon eine absolute Ausnahmebegabung wie David Gazarov.