Wann hat der Jazz Geburtstag? Wollte man eine Antwort auf die mehr oder weniger sinnvolle Frage geben, läge man mit dieser Antwort nicht ganz falsch: am 26. Februar. Seinen 100. Geburtstag feiert der Jazz an diesem Sonntag.
Denn am 26. Februar 1917 nahm in New York die „Original Dixieland Jazz Band“ die beiden Stücke „Livery Stable Blues“ und „Dixie Jazz Band One Step“ auf. Die Geburtsstunde des dokumentierten Jazz. In den Südstaaten der USA war um die Jahrhundertwende diese neue, erfindungsreiche Musikrichtung aufgekommen, vor allem afroamerikanische Musiker spielten sie, entwickelten sie schnell weiter. Und am 26. Februar 1917 war sie erstmals auf Schallplatte gebannt.
Die fünf weißen Musiker, die sich erst „Original Dixieland Jass Band“ nannten, waren 1916 nach Chicago gekommen, um dort den New Orleans Jazz zu präsentieren. Kornettist Dominic James La Rocca und seine Kollegen hatten mit ihrer „verrückten“, neuartigen Musik einen solchen Erfolg, dass sie jahrs darauf von Musikagenten nach New York eingeladen wurden. Und was sie dann im Studio der Plattenfirma Victor einspielten, war allemal einzigartig.
Schockierend oder visionär?
Nach dem Sezessionskrieg hatten sich in den USA Blues, Spirituals und Worksongs der schwarzen Amerikaner mit klassicher europäischer Musik vermengt. Der texanische Pianist Scott Joplin hatte Mitte der 1890er Jahre die Welle des Ragtime losgetreten. Und Ragtime, synkopierte Musik, Foxtrotts und One-Steps hatte es schon vor den beiden Nummern der „Original Dixieland Jass Band“ auf Schallplatte zu kaufen gegeben. Aber der 26. Februar 1917 war doch wie ein Geburtstag – und die Musik, die da aufgenommen wurde, für die einen schockierend und „musikalischer Müll“, für die anderen schlicht visionär.
Anfang März sollten der „Dixieland Jass Band One-Step“ und „Livery Stable Blues“ von der technischen Prüfung frei gegeben werden. In den Handel kam die Platte am 17. Mai. Sie verkaufte sich ganz gut und war bei der Victoria bis 1926 im Katalog.
Wie es weiterging mit der neuen Musikrichtung? Das erzählt Philippe Margotin in einem lesenswerten und dicken Geburtstagsbuch: „100 Jahre Jazz“. Der großformatige Band ist eine komplette Stilgeschichte in Form von 63 Kurzporträts der Stars, die mit Blech und Vibrafon, Klarinette, Gitarre, Schlagzeug und eigener Stimme die Gattung prägten und populär gemacht haben.
Von Armstrong bis Garbarek
Margotin schreibt von den Anfängen des Jazz in New Orleans mit dem Hot Jazz und von der Swing-Ära der großen Bigbands mit ihren noch größeren Solisten: Louis Armstrong, Duke Ellington, Count Basie, Sidney Bechet, Benny Carter, Tommy Dorsey, Artie Shaw. Auch der Hot Club de France mit Django Reinhardt und Stéphane Grappelli wird gewürdigt.
Im zweiten Teil schildert der Autor dann den Jazz in seiner ganzen Differenziertheit: Angeführt von den Diven Ella Fitzgerald, Billie Holiday und Mahalia Jackson geht es um die aufgeregt-aufregenden Nachkriegsjahre und Bebop, Cool Jazz, West Coast Jazz, Third Stream, Hard Bop, Soul Jazz und wie all die Jazz-Klangwelten heißen. Was Rang und Namen hat, taucht in Wort und großem Schwarz-Weiß-Bild auf: von Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk über Stan Getz bis zu Jan Garbarek und Keith Jarrett.
Man muss beim Blättern und Schmökern im schweren Buch eigentlich nur noch die leichte Musik dazu einlegen – 100 Jahre nach der ersten Jazzplatte überhaupt.
Philippe Margotin: 100 Jahre Jazz – Von der Klassik bis zur Moderne: die größten Stars, Delius Klasing, 424 Seiten 59,50 Euro