Ein Abgott sei er, schwärmte man im Wiener Hoftheater Mitte der 1770er Jahre, als Joseph Lange aus Würzburg in Shakespeares Werken auf die Bühne trat. Lange war der erste deutschsprachige Hamlet – und galt als Mädchenschwarm. „Er fällt auf durch Haltung, Kleidung, Gang und Stimme“, hieß es damals.
Am 1. April 1751 wird dieser „Abgott“ in Würzburg geboren. Sein Vater, Bartholomäus Lange, ist Legationssekretär. Als Joseph auf die Welt kommt, prangt ein großes Brandmal über dem Auge. Einer Tante, so berichtet Lange später, habe er es zu verdanken gehabt, dass dieser Makel geheilt und seine Bestimmung, auf einer großen Bühne zu stehen, gerettet worden sei.
In Wien hat der Würzburger tiefe Spuren hinterlassen. In der Galerie der berühmten Schauspieler im Foyer des Burgtheaters kann man ihn noch immer bewundern. Joseph Lange ist dort in einer seiner Paraderollen verewigt: als Shakespeares Hamlet posiert er auf einem überdimensionalen Ölgemälde aus dem Jahr 1786.
Während William Shakespeare und seine berühmten Werke in diesen Tagen, des 450. Geburtstages wegen, zahlreiche deutsche Zeitungsseiten füllen, bleibt der erste deutschsprachige Hamlet, Joseph Lange aus Würzburg, in der Versenkung. Lange war zeitlebens ein bescheidener Mensch, seine Leidenschaft für die Bühne, für den großen Shakespeare machte ihn zu einem der ganz Großen in Wien, nicht aber in Deutschland.
In seiner 1808 erschienenen Biografie lässt der Würzburger seinen Gedanken über das Theater, über Schauspieler, Neid und Missgunst freien Lauf. Lange, der Shakespeare in der Ursprache las, um dessen Figuren besser verkörpern zu können, widmet der Rolle Hamlets ein eigenes Kapitel, schreibt über seine Bewunderung für den englischen Ausnahmedichter.
„Sogleich fiel ich mit Begierde über Shakespeare, studierte die Werke des Unerschöpflichen in der Grundsprache, vorzüglich seinen Hamlet, Othello und Romeo unermüdlich“, schreibt Lange – und beklagt die Verstümmelung des Textes in der Bühnenversion. Das Stück habe sich nicht in die französischen, zu jener Zeit allgemein als Gesetz angenommenen Regeln gefügt. So sei der herrliche Monolog weggeschnitten worden, als Hamlet den betenden Mörder überrascht und nicht zum Himmel senden will.
„Höchst nothwendig, um die Verzögerung seiner Rache zu begründen“, schreibt Lange. Hamlet sei überdies nie in seiner ganzen herrlichen Gestalt erschienen. Der Schauspieler Lange empört sich weiter: „Es ist anerkannt: wer ein Bild eines engen Rahmens wegen von allen Seiten verschneiden würde, der hieße allgemein ein Barbar!“
Doch, schreibt Lange auch, so unermesslich reich sei diese Schöpfung Shakespeares, dass sie auch in der ärgsten Verstümmelung noch entzücke. Und: Wer den Hamlet nach dem Sinne des Dichters darstelle, wie er den Wahnsinnigen spiele, wie er in Zorn und Unmut ausbreche, wie er im Sturme der Gefühle wirklich am Rande des Wahnsinnes selber stehe, der nur habe die Aufgabe gelöst, die dieser Rolle den unbeschreiblichen Reiz gebe. „Ich bekam diese Rolle und ich hatte das Glück, darin zu gefallen“, freut sich Joseph Lange in seiner Biografie. Das wiederum ist sehr bescheiden ausgedrückt gemessen daran, wie viele Begeisterungsstürme Joseph Lange als Hamlet im Publikum auslöste.
Er galt auch später noch, als Schauspielerkollegen in eben dieser Rolle auf der Bühne glänzten, als die unangefochtene Nummer eins der Shakespeare-Darsteller. Die Hamlet-Rolle, so Lange, sei von Goethe, Lessing, Engel, Schlegel und anderen Kunstkennern vortrefflich und aus verschiedenen Gesichtspunkten entwickelt worden. Sein Hamlet-Kapitel schließt der Schauspieler mit den Worten: „Wobei man sich doch immer noch auszurufen versucht fühlen möchte: Es gibt noch viele himmlische und irdische Dinge in diesem Hamlet, wovon sich unsere Philosophie bisher nichts träumen ließ!“
Joseph Lange, der Stolz des Wiener Hoftheaters, war auch ein begabter Komponist. Vor allem aber: ein begnadeter Maler. Von ihm stammt eines der berühmtesten und letzten Bilder von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Brustbild in Öl, das heute im Mozart-Museum in Salzburg hängt, konnte Lange nicht mehr fertigstellen: Sein Schwager und Freund Mozart starb kurz vor Vollendung des Werkes. Lange war zweimal verheiratet. Seine erste Frau starb nach kurzer Ehe im Jahre 1779. Seine zweite Frau, Luise Maria Antonia, geborene Weber, war eine erfolgreiche Sängerin – und die Schwester von Constanze Mozart. Das Porträt, das Mozart in seinem Wohnzimmer vor dem Klavier sitzend zeigt, malte Joseph Lange 1789. Mozart fragte in einem Brief an seine Frau Constanze ungeduldig nach, „ob die „Langischen bisweilen kommen? – ob an dem Portrait weitergearbeitet wird?“ Auch Kaiser Franz Josef, der das Theater in Wien und deren Schauspieler zu Ruhm hatte kommen lassen, ließ sich damals von Lange malen. Das größte Kunstwerk des Würzburgers aber ist in der Kirche in Nikolsburg nahe der ungarischen Grenze zu sehen. Für dort schuf er das Altarblatt „Mariae Verkündung“.
Joseph Langes Talent war schon in früher Kindheit sichtbar. „Meine Feder malte alles.“ Als ein französisches Offizier-Corps nach Würzburg kam, malte Joseph auch diese schmucken Männer. „Sie gewannen mich, den dicken, rotbäckigen Jungen lieb, und ich sie wieder.“ Wasserfarben wurden gekauft, und der kleine Joseph verblüffte die Offiziere mit seiner genauen Darstellung. „Von nun an ward ich ein leidenschaftlicher Mahler, und mein ganzes Taschengeld ging auf Farben darauf“, so Lange. Doch das unbeschwerte Glück der Kindheit in Würzburg endet jäh mit dem Tod des Vaters.
Mit 16 Jahren verlässt Joseph Lange seine Heimatstadt und kommt zu einem Verwandten nach Wien, wo Josephs ebenfalls talentierter Bruder bereits lebt. Ihre Begeisterung fürs Theater und die Errichtung einer eigenen Liebhaber-Bühne spricht sich schnell herum. Hofrat von Sonnenfels erkennt das ungewöhnliche Talent der Brüder aus Würzburg. Ohne Proberollen zu spielen, werden sie 1770 beim Hoftheater angestellt. Nur ein Jahr später stirbt der geliebte Bruder und Mentor, was Joseph Lange zunächst jeden Lebensmut raubt. „Einsam stand ich mitten im Gewühle der Welt. Sie schien mir freudenlos und totdt. Eine nächtliche Melancholie ergriff mich, die meine Gesundheit und meine Lebenskraft untergrub.“
Doch Hofrat von Sonnenfels gelingt es, den Jüngling zurückzuholen und seinen Ehrgeiz neu zu wecken. „Ich studierte jede kleine Rolle mit einem Eifer und einer Wichtigkeit, als ob es die größte wäre.“ Über 40 Jahre, bis 1811, bleibt Joseph Lange dem Hoftheater treu. Am 18. September 1831 stirbt der Hamlet aus Würzburg in Wien.