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Der Andachtsbildchen-Kult
Zwischen Kunst und Kitsch: Andachtsbildchen sind eine Art Schleichweg zu Glaubensinhalten. Die jahrhundertealte Tradition wurzelt in der Kunstgeschichte. Vorbilder waren auch junge Romantiker.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 15.01.2014 16:48 Uhr

Je dicker das „Gotteslob“, desto mehr wurde man beneidet. Jedenfalls war das unter uns Kindern so. Nun hatten wir zwar alle dieselbe Ausgabe des katholischen Gebets- und Gesangsbuchs mit der jeweils gleichen Seitenzahl. Aber wir verdickten die schwarz gebundenen Büchlein mit Andachtsbildchen. Die nahmen wir mit, wo wir sie kriegen konnten. Manchmal lagen sie stapelweise am Rande der Kirchenbänke. Wir steckten (mindestens) eins ein. Wenn es das Sterbebildchen eines uns gänzlich unbekannten Menschen war – egal. Bisweilen verteilte auch die Religionslehrerin die begehrten Objekte, auf denen Jesus zu sehen war, die Muttergottes oder ein Heiliger, dessen Namen wir noch nie gehört hatten. Und stopften sie ins „Gotteslob“, dass sich die Dünndruckseiten aufplusterten.

Wir Kinder fanden die Bildchen spannender als die frommen Lieder und Texte des Gebetbuches. Irgendwie haben die Andachtsbildchen damit aber genau das bewirkt, was sie bewirken sollen: auf leicht fassbare Weise christliche Inhalte in den Alltag zu transportieren, als eine Art Schleichweg zum offiziellen – und nicht immer anschaulichen – Glauben. Für uns waren sie Kult.

„Andachtsbildchen sind ein sehr altes Phänomen“, erklärt Dr. Wolfgang Schneider. Es gebe sie seit dem 14. Jahrhundert. Seinerzeit wurden sie in Frauenklöstern gemalt – als bildhafte Zeugnisse des Glaubens und auch, um Gebetbücher aufzuhübschen (auch da standen wir also in der Tradition!). Kleine Kunstwerke waren das, Einzelstücke. Serienfertigung kam erst später: „Man nutzte zum Beispiel Holzschnitt und Kupferstich“, erklärt der Würzburger Volkskundler. Zentren für die Verbreitung von Andachtsbildchen waren und sind Wallfahrtskirchen. Vom Würzburger Käppele etwa gibt es zahlreiche Beispiele.

Im 19. Jahrhundert begann man, bekannte Werke der Kunstgeschichte zu reproduzieren. Noch heute zeigen die Miniatur-Bilder Motive von Alten Meistern wie Matthias Grünewald oder Albrecht Dürer. Auch Ikonen-Reproduktionen sind beliebt. Neben der Vielfalt serieller Druckerzeugnisse gab es immer auch kunstvolle Einzelstücke. Wolfgang Schneider zieht ein von Folie geschütztes Blatt aus einem Kästchen: Handgemalt auf Pergament, ist das Stück aus dem 18. Jahrhundert ein richtiges Kunstwerk. Auch ein Bildchen aus Prag in der Sammlung der Diözese – Schneider ist stellvertretender Kunstreferent – ist weit entfernt vom Massenprodukt: Es zeigt die Heiligen Margaretha, Ignaz, Ferdinand und Magdalena umgeben von einem aufwendig gestalteten Blattgold-Rahmen.

Derlei Kostbarkeiten waren für uns Kinder natürlich unerreichbar. Womöglich hätten sie uns auch gar nicht wirklich interessiert. Wir schwärmten vor allem für die quietschbunten Drucke. „Andenken an die heilige Kommunion“ steht auf einem. Ein langhaariger, bärtiger Mann mit Heiligenschein – vermutlich Jesus – hält einen Kelch in Händen, über dem wundersamerweise eine Hostie schwebt. Vor ihm kniet – langes blaues Gewand, sandfarbene Schärpe – vielleicht ein Mann, vielleicht eine Frau (das lässt sich nicht sicher entscheiden). Die Farben sind leuchtend, die Umrisse der Figuren schwarz nachgezeichnet wie bei einem Comic. „Zumindest in sensiblen Künstleraugen ist das hart am Kitsch“, sagt Schneider. Uns gefielen diese Bildchen wohl gerade deshalb. Vielleicht auch, weil sie zum Zeitgeist der späten 60er Jahre passten. Mit der Flower-Power-Ära haben sie aber an sich nichts zu tun.

Diese Art Andachtsbildchen geht auf die Nazarener zurück (siehe Kasten). Der Kreis junger Romantiker wirkte zu Beginn des 19. Jahrhunderts und widmete sich vorwiegend religiösen Motiven. Heute ein anerkanntes Stück Kunstgeschichte, wurde die Nazarener-Malerei zeitweise nicht ernst genommen. Tatsächlich wurden im Lauf des 19. Jahrhunderts Bildinhalte vereinfacht und sentimentalisiert. Der Schritt zum bunten Andachtsbildchen war von da nicht mehr groß.

Doch auch wenn die Nazarener Urahnen der Andachtsbildchen waren: Deren Macher – Werkstätten, Druckereien – erhoben selten den Anspruch, Kunst zu schaffen. „Es ist eine ganz eigene Bildkultur“, urteilt Schneider. Die findet der Volkskundler durchaus faszinierend. Mittlerweile beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit den „Kleinen Andachtsbildern“, wie sie offiziell genannt werden. Und natürlich interessieren sich auch Sammler für diese Nische christlicher Kulturgeschichte. Im Würzburger Diözesanarchiv etwa lagert die Sammlung von Pfarrer Josef Hofmann – „Tausende von Stücken“, schätzt Wolfgang Schneider. Ein Traum. Wie hätten wir damit unser „Gotteslob“ aufpäppeln können!

Die Nazarener

Gegründet 1809 in Wien, übersiedelte der auch „Lukasbrüder“ genannte Künstlerbund 1810 nach Rom. Angestrebt wurde eine christlich gefärbte, auf Gotik und Renaissance zurückgreifende Kunst. Die Nazarener gaben der klar konturierten Form Vorrang. Die Farben sind oft kaum schattiert. Das gibt den Bildern den Eindruck von Ruhe und Innerlichkeit.

Wichtige Vertreter der Nazarener sind Friedrich Overbeck (1789-1869), Franz Pforr (1788-1812) und Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872).

Im Schweinfurter Museum Georg Schäfer sind im Rahmen der Ausstellung „Himmlische Botschaften“, die sich christlicher Kunst des 19. Jahrhunderts widmet, auch Nazarener-Werke zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-17, Donnerstag bis 21 Uhr. Bis 2. März.

Nazarener-Original: Ludwig Schnorr von Carolsfelds „Der letzte Mensch“.
| Nazarener-Original: Ludwig Schnorr von Carolsfelds „Der letzte Mensch“.
Der Andachtsbildchen-Kult
Grünewald-Kopie als Andachtsbildchen.
| Grünewald-Kopie als Andachtsbildchen.
 
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