Jüngst stand US-Schauspielstar Tom Hanks vor der Tür des Museums für Alltagskultur in Eisenhüttenstadt, das früher Stalinstadt hieß. Die nach dem Krieg aufgebaute Stahlstadt sollte ein Modell sein für den unaufhaltsamen Siegeszug des Sozialismus. Hanks drehte den Film „Wolkenatlas“ in Berlin und war an einem freien Tag an die polnische Grenze gefahren, um sich die Architektur der ersten sozialistischen Stadt und das Museum anzuschauen. Später erzählte er begeistert von seinem Besuch in „Iron-Hut-City“ in der New Yorker TV-Show von David Letterman. Seitdem erhofft man sich im Ort mehr Besucher.
Der Besuch lohnt sich für alle, die wirklich wissen wollen, was das Alltagsleben in der verblichenen DDR ausgemacht hat. „Plaste und Elaste“ natürlich, das weiß jeder, denn es war der bekannteste Werbeslogan des SED-Staates – die Partei wollte das Wort Plastik als kapitalistischen Begriff nicht einführen. Nur die jüngeren Besucher, vor allem Schulklassen, können vielleicht noch etwas mit der Plaste, nicht aber mit der Elaste anfangen. So kommt man lachend ins Gespräch, die beste Methode, um mit einem untergegangenen Land vertrauter gemacht zu werden. Es wird kaum noch geliebt, aber Ältere in Ost wie West interessiert nach wie vor das durch eine monströse Grenze hermetisch abgeschottete Leben in vier Jahrzehnten zwischen Ostseeküste und Erzgebirge.
Andreas Ludwig, Leiter des Museums für Alltagskultur in Eisenhüttenstadt
Eisenhüttenstadt hat da am meisten Belege zu bieten, 150 000 Objekte, die alle aus Schenkungen stammen, sind vorhanden. Für die neue Dauerausstellung wurden 350 ausgewählt und den Themen Heimat, Macht, Arbeit, Familie, Konsum, Bildung, Kommunikation und Milieu zugeordnet. Die Abteilung „Milieu“ beleuchtet Alltag und Schicksal von Menschen, die sich dem diktatorischen Staat offen oder geheim, etwa mit Flugblättern, widersetzten. Viele von ihnen mussten dafür Haftstrafen hinnehmen, noch mehr wurden von der Stasi observiert. Auch das gehörte ganz normal zum DDR-Alltag.
In den anderen Abteilungen der Schau geht es aber um die Bewältigung des Alltagslebens in einem Land mit chronischem Mangel. Dem sollte die Plaste abhelfen. Der nach dem Zweiten Weltkrieg kreierte Kunststoff galt als Ausweis eines modernen Lebensstils, und im Land, dessen Machthaber den Westen überholen wollten, ohne ihn einzuholen, galt er als praktisch, preiswert und hygienisch. Die Chemieindustrie wurde forciert, die Bevölkerung mit chemischen Erzeugnissen regelrecht geflutet. In wenigen Jahren ab 1958, als die Plaste eingeführt wurde, kam es zur kompletten Plastifizierung der Haushalte und des Freizeitbereichs. In keinem Land der Welt war der Pro-Kopf-Verbrauch des Kunststoffs so hoch wie in der DDR, vom Gockel-Eierbecher über Kaffeefilter und Kinderbadewanne bis zur Brotdose – alles Plaste mit Elaste.
Das Museum präsentiert sich nicht als Sammelsurium einer vergangenen Zeit, es stellt Zusammenhänge her. „Wir mussten neue Wege finden, über die DDR zu informieren“, erklärt Leiter Andreas Ludwig. Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler aus Ost und West wurden ins Haus geholt, Alltagsdinge geordnet nach persönlichen Briefen, Fotos, Tondokumenten und typischen Gegenständen in Wohnungen, Garagen und Gärten. Das reicht bis zum illegal selbst gebauten Gerippe aus Stahl, Aluminium und Kabeln – Antennen auf DDR-Dächern, um Westfernsehen zu empfangen. Die Parteifunktionäre reagierten auf die Massenbastelbewegung mit Störsendern, in den 60er Jahren wurden Stoßtrupps der FDJ ausgesandt, um die „Ochsenköpfe“ von den Dächern zu reißen. Auf Plakaten stand: „Lieber Hörer, sei kein Tropf, runter mit dem Ochsenkopf.“
Rund 3000 verschiedene Haushaltsartikel lagern im Museum, dazu noch Gehäuse von Geräten wie Fön und Staubsauger oder Kunststoffmöbel wie ein verbreiteter Badezimmerschrank, die auch massenhaft nach Osteuropa exportiert wurden. Die farbigen Kunststoffkörbe waren bei DDR-Bürgerinnen zeitweise so beliebt, dass sie sie den Handtaschen vorzogen. Die Historikerin Katja Böhme fand heraus, dass viele der Plastikgegenstände aus dem VEB nach wie vor in Gebrauch sind, meist nicht mehr im Haushalt, sondern in Keller und Garten. Vor allem Tassen und Teller aus unverwüstlichem Melaminharz waren populär, auch Besteck, Dosen, Vasen und Wasserhähne wurden millionenfach hergestellt. Die Plaste war im Alltag überall präsent.
Getrübt wird das Ganze von der Aussicht, dass die Tage des Zentrums gezählt sein könnten. Aus Sparzwängen wird die Kommune bald keine Zuschüsse mehr zahlen. „Die Streichung von 76 700 Euro ist beschlossene Sache“, sagt Museumsleiter Ludwig. Dann funktioniert aber die Kombifinanzierung mit dem Landkreis Oder-Spree und dem Land Brandenburg nicht mehr, von dort kamen 55 000 und 90 000 Euro. Die neue Dauerausstellung war, das ist außergewöhnlich, über eine Projektförderung von Bund und Land zusammengekommen. 600 000 Euro wurden bereitgestellt, um das letzte reichhaltige Erbe zu sichern.
In diesem Monat wird es zu Gesprächen kommen, Museumschef Ludwig macht sich Mut: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man solche Orte der Auseinandersetzung mit der Geschichte einfach schließt.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Dokumentationszentrum „Alltagskultur der DDR“, geöffnet Di. bis So. und Feiertage von 11 bis 17 Uhr. Internet: www.alltagskultur-ddr.de