
Bei einem Telefonat mit Frank Dellé fließt durch die Leitung freundliche Energie. Mag es auch nur ein PR-Gespräch vor dem Konzerttermin in Würzburg sein – Routine klingt anders. Dellé nimmt sich Zeit, ist offen, interessiert, konzentriert. Äußerlich mit seinen langen Dreadlocks voll das Klischee vom Reggae-Rastaman erfüllend, pflegt der 47-jährige Musiker mit deutsch-ghanaischen Wurzeln Professionalität und Arbeitsethos. „Ich kann nicht warten, bis mich die Muse küsst. Ich gehe mit einer Liste ins Studio und die wird dann von oben nach unten abgearbeitet.“ Im vergangenen Jahr ist „Neo“ erschienen, sein zweites Solo-Album, komplett auf Englisch gesungen. Jetzt kommt Dellé damit zum Africa Festival nach Würzburg. Im Jahr 2010 war er schon mal da, als Frontmann der Reggae-Band Seeed.
Frank Dellé: Es geht mir darum, meine Geschichte, die Dinge, die mich berühren, die mich umgeben und die ich erlebe, festzuhalten. So wie andere ihr Leben im Tagebuch festhalten – nur tue ich das durch die Musik. Wenn ich rückblickend schaue, was habe ich mit 18, mit 21 oder mit 30 geschrieben – dann spiegelt mir das heute wider, was damals bei mir los war.
Das Spannende an Musik ist, dass sie als universelle Sprache in jedem unterschiedlichste Dinge auslösen kann. Bei mir war es Bob Marley, der mich im Alter von neun, erst mit seiner Musik und dann mit seinen Geschichten gefesselt hat. Faszinierend Musik zu machen, damit seine Meinung zu sagen, und mit diesem Vehikel seine Geschichten um die ganze Welt zu tragen. Wow! – Das wollte ich auch machen.
Dellé: Das unterscheidet sich sehr von Thema zu Thema. Mit 14 habe ich platter geschrieben als mit 21 oder heute. Wenn ich jetzt platt schreibe, dann bewusst. Hinzu kommt, dass es zwei Seiten gibt. Die des Schreibers und die des Hörers: Man schickt ein Signal raus – und zehn Leute interpretieren jeweils was komplett anderes. Das finde ich immer wieder spannend. In einem Song von der letzten Platte „Neo“ ging es darum, wie ich mit der Situation umgehen würde, wenn mein Kind Down-Syndrom hätte. Es ist daraus ein schönes Liebeslied an mein Kind entstanden. Die Tatsache, dass es um Trisomie geht, steht gar nicht so im Vordergrund. Wenn ich den Song nicht am Ende „Trisomy 21“ genannt hätte, hätten viele den Hintergrund nie herausgehört. Meine Schwester, die mich gut kennt, war die Einzige, die sofort wusste, worum es geht.
Dellé: Ich habe wirklich mit mir gehadert, soll ich das so nennen? Trisomy twenty-one, wenn ich das singe auf Patwah, dem Jamaikanisch-Kreolisch, dann könnte das irgendein Rap-Spruch sein, dann versteht das kein Mensch. Aber das wäre schade gewesen.
Dellé: Das ist komplett unterschiedlich. Aber tendenziell werde ich eher durch Beats beeinflusst. Bei „Take Your Medicine“ habe ich von Guido Craveiro, meinem Produzenten, diesen tollen Beat gehört – und mir war klar, das ist der Beat zu jener Geschichte, die mir mal passiert ist. Ein Freund ist durch die Psychose gegangen – und nach 16 Jahren konnte ich das niederschreiben, weil die Musik dazu da war. Manchmal schreibt man Zeilen nieder, die man gut findet. „Pound Power“ – das war einfach eine phonetische, pumpende Phrase, die ich fett fand, das hat nach einer Hookline geschrien. Im Endeffekt geht es immer um Emotion in Verbindung mit Tönen. Auch wenn der Text mal ganz platt und simpel ist, shake Baby shake, und man als Hörer nicht denken muss.
Dellé: Das Tolle beim Africa Festival ist, dass das Publikum so international ist. Da gibt es bestimmt einige, die einen vergleichbaren afrikanisch-deutschen Hintergrund haben wie ich ihn hatte als Kind. Das ist ein spezielles Publikum. Dadurch inspiriert erzähle und moderiere ich in Würzburg bestimmt anders als zum Beispiel auf dem Deichbrand in Cuxhaven. Hier sehe ich mir auch mal Bands an, die bei mir vielleicht durch das einfache Hören ihrer Musik nicht hängenbleiben würden. Ich komme extra schon einen Tag früher, um das Festival als Gast zu besuchen.
Dellé: Bei mir ist das ein ganz persönliches Ding, weil ich Stefan Oschmann, den Veranstalter, schon lange kenne. Meine Schwester hat in Würzburg Medizin studiert. Ich habe sie besucht – genau in der Woche von Africa Festival und Mozartfest. Ich dachte: Was für eine coole Stadt. Faszinierend! Und irgendwann haben wir dann auch mit Seeed beim Africa Festival gespielt. Ich war von der Musik her ja immer mehr dem Jamaikanischen zugeneigt, als dem Folkloristisch-Afrikanischen.
Als wir in Ghana gelebt haben, war mir die High-Life-Volksmusik dort, die gängige Musik mit den Synthesizern und hohen Gitarren, persönlich immer zu leicht, zu plastikmäßig. Der Roots Dub, Bob Marley, das hat mich dann berührt. Mit dem bin ich großgeworden, aus der ghanaischen Perspektive. Ich war acht oder neun und da kam einer aus Jamaika, mit Dreadlocks – was man in Ghana auch nicht unbedingt kannte – und hat über Afrika gesungen. Jemand, der sagte: Das ist der Ort, wo ich herkomme, ich wurde versklavt und will hierher zurück. Das war Rebell Music, Punk. Die spannende Musik wie aus Mali, von den Kapverden, die kannte ich gar nicht, die hat man auch in Ghana nicht gehört. Verbunden hat sich das für mich alles erst in Europa, beim Africa Festival.
Dellé: Ja, und viele denken nur: Happy Music, rauchen, alles glücklich. Wenn man das Patois nicht versteht, bekommt man die Tiefe nicht mit. Aber das ist ganz natürlich und geht uns oft allen so. Wir sind halt simpel, wollen uns mehr freuen als mit Schwierigem auseinandersetzen. Und ich denke auch in Klischees. Aber ob Rock oder Reggae, ob Mozartfest oder Africa Festival – ich kenne beides, mag beides.
Dellé: Natürlich! Wobei, Mozart ist nicht so mein Ding, weil er mir zu verspielt ist.
Dellé: Ja genau, eher. Beethoven ist schwer, so wie Roots Reggae. Die Grundformen der Musik sind ja alle ähnlich, es ist alles aufgebaut auf demselben Ding. Kadenzen, fröhlich, traurig, spannend, düster. Die Musik wird ja nicht neu erfunden, die Interpretation ist nur eine andere. Und du kannst sie mit einer Gitarre oder so einer kleinen einsaitigen Kalebasse machen – oder mit einem ganzen Orchester. Es hängt viel davon ab, mit was wir großwerden. Ich hatte früher ein Tape, da war auf der eine Seite Bob Marley, auf der anderen Peter Alexander, Mireille Mathieu und „Ein Bett im Kornfeld“ drauf. Dann gab es aber auch AC/DC und Queen. Die hatten alle Einfluss auf mich und meine Musik.
Dellé: Nehmen wir „Buffalo Soldier“. Das Lied wirkt sehr positiv, und alle singen das beseelt mit. Aber das ist ein krasser Song über die Sklaverei, über die Ausbeutung der Schwarzen. Aber man kann es doch jemandem nicht vorwerfen, wenn er den Song schön findet und glücklich dabei ist. Das ist die Magie der Musik. Aber es gibt leider auch so viel grauenhaften Reggae . . .
Dellé: Ich mag poppigen Reggae nicht so gerne. Klar, manchmal muss man einen Popsong schreiben, damit Leute einen Zugang finden. Aber was viele an Reggae so monoton finden – für mich hat das eine ungeheure Kraft, wenn darüber ein starker Text, eine starke Grundaussage gelegt wird. Ein Lied wie „War“ von Bob Marley – immer derselbe Akkord, oaah, das finden viele langweilig. Aber durch die Monotonie wirkt jedes einzelne Wort, das Marley sagt, und hat eine unglaubliche Kraft. Das hat mich fasziniert.
Dellé: Nehmen wir „Marry me“ von meinem Album. Wenn ich den Song unter Pop-Aspekten betrachtet, könnte man denken, das ist jetzt aber simpel, keine Tiefe dahinter. Das sehe ich nicht so – weil ich weiß, welche Geschichte dahinter steht. Ganz viele mögen dieses Lied, die Roots-Fans, die finden es kitschig. Aber ob ich manchmal Lieder mache, die mir nicht gefallen? Nee! Nur damit das Album erfolgreich ist? Wenn ich das gewollt hätte, dann hätte ich kein englisches Reggae-Album auf Patois gemacht, sondern würde auf Deutsch singen und R?n?B machen. Aber wenn ich professionell Musik machen will, muss ich den Fächer öffnen. Ich nehme den klassischen Reggae und versuche, ihn mit modernen Sounds in verschiedenste Richtungen zu entwickeln. Für die einen klingt das dann gar nicht nach Reggae. Die Reggae-Freaks sind im besten Fall positiv überrascht, etwas Neues zu hören.