Sie war eine Tochter aus gutem Hause, ihr Weg war eigentlich vorherbestimmt: Ein Leben in Reichtum und gepflegter Langeweile schien sie zu erwarten. Doch dann kam alles ganz anders. Leonora Carrington (1917-2011) erwies sich als exaltiert und unangepasst. Sie brach mit ihrer Familie, wurde Malerin, ging nach Paris und traf dort die Surrealisten.
Sie wurde die Geliebte von Max Ernst und malte Bilder voller Fabelwesen. Später ging sie nach Mexiko und schrieb surreale Dramen. Als Enfant terrible war Leonora Carrington auch für ihre bizarren Auftritte bekannt. Auf einer Party schockierte sie die Gäste mit einem Striptease. Ein andermal saß sie im Restaurant mit senfbeschmierten Zehen.
Romanesker und wildverwegener kann ein Leben nicht sein. So ist es kein Wunder, dass der Stoff auch die mexikanische Autorin Elena Poniatowska gereizt hat, zumal sie mit Leonora Carrington befreundet war. Die mittlerweile 80-jährige Poniatowska hat sich unter anderem mit Roman-Biografien einen Namen gemacht. In „Lieber Diego“ verarbeitete sie die tragische Liebesbeziehung zwischen dem mexikanischen Maler und Schwerenöter Diego Rivera und der russischen Künstlerin Angelina Beloff, in „Tinissima“ beschäftigte sie sich mit dem aufwühlenden Leben der Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti.
„Frau des Windes“ ist zwar ein Roman, hält sich aber eng an die biografischen Fakten. Poniatowska schildert zunächst das Leben der verwöhnten Industriellentochter Leonora Carrington in Großbritannien. Während das Verhältnis zu ihren Eltern reserviert bleibt, entwickelt das Mädchen eine enge Beziehung zur irischen Nanny. Diese begeistert sie für Mythen und Legenden, und bald entwickelt Leonora eine wild wuchernde Fantasie, die ihre Umwelt verstört. Mit ihrer aufmüpfigen Art eckt sie überall an. Sie fliegt von vielen Schulen, bis sie schließlich ihren Willen durchsetzt und Malerei studieren darf. Es ist für sie der Eintritt in eine andere Welt, die Welt der Kunst, des Surrealismus, der wilden Partys und freien Liebe. Zwar ist Poniatowskas Roman nicht in Ich-Form geschrieben, doch erzählt sie die Lebensgeschichte weitgehend aus Leonora Carringtons Sicht. Tatsächliche Begebenheiten mischen sich mit surrealen Traumfantasien.
Beim Anblick eines jungen Mädchens etwa schwirren Leonora solche Bilder durch den Kopf: „Plötzlich wachsen dem jungen Mädchen Federn, an Schultern, Hals, Augenbrauen, Wimpern, Armen und Händen schauen sie aus der Haut. Statt ihrer Haare erblickt Leonora auf ihrem Kopf eine Krone aus weißen Federn, die wie Schnee in der mexikanischen Sonne glänzen.“ Der Roman ist voll von solchen Imaginationen, was ihn nicht immer leicht verdaulich macht.
Problematischer aber noch sind die teilweise naiven, wirklichkeitsfremden Dialoge. „Du lehrst mich sehen“, kommentiert etwa eine in Bewunderung erstarrte Leonora ihre Einführung in den Surrealismus durch Max Ernst. Die Fotografin Lee Miller stellt sich auf einem lockeren Partygespräch allen Ernstes so vor, als würde sie gerade einen Lexikoneintrag über sich resümieren. Surrealisten geben gestanzte Phrasen hart an der Nähe des Kitsches von sich. Zudem gleichen sie in Poniatowskas Roman eher einem Hühnerhaufen als wilden Rebellen.
Vielleicht war das ja tatsächlich alles so, schließlich hat die Autorin, wie sie selbst schreibt, über Jahre intensive Gespräche mit Leonora Carrington geführt. Doch ein bisschen mehr Abstand hätte nicht geschadet. So ist aus dem Versuch, sich in die verrückte, surrealistische Künstlerwelt Carringtons zu versetzen, ein sehr angestrengtes Unternehmen geworden.
Elena Poniatowska: Frau des Windes (Insel Verlag, 495 Seiten, 24,95 Euro)