Dunkel blicken die Obsidian-Augen dem Besucher ins Gesicht. Der weit in die Schläfen hineingezogene schwarze Lidstrich macht den Blick noch intensiver – als käme er aus dem Jenseits. Die Ausstrahlung der berühmten Totenmaske des Tutanchamun degradiert die anderen Ausstellungsstücke mühelos zu Marginalien. Mögen sie auch von raumfüllender Größe sein, mögen sie noch so glitzern und funkeån. Unglaublich. Denn die Totenmaske ist nur eine Kopie in der Ausstellung „Tutanchamun – Sein Grab und die Schätze“ in Nürnberg (siehe Kasten unten). Welchen Zauber muss da erst das Original entfalten? Das befindet sich im Ägyptischen Museum in Kairo, besteht aus elf Kilogramm massiven Goldes und ist mit Einlegearbeiten aus Glas sowie Schmucksteinen versehen. Die Kopie ist bloß aus Kupfer, das in einem speziellen Elektrolyse-Verfahren mit Gold beschichtet wurde. Aber womöglich ist das Material für die Ausstrahlung gar nicht entscheidend. Jedenfalls nicht im Fall der Maske. Es ist das ernste, idealisierte Gesicht, es ist, als erfasse die Persönlichkeit des jungen Pharaos den Besucher. Und es ist die geheimnisvolle Aura, die Tut umgibt, „Fluch des Pharao“ (dem angeblich die Entdecker seines Grabes zum Opfer fielen) und Verschwörungstheorien über seinen Tod inklusive.
Obwohl Tutanchamun heute der bekannteste der ägyptischen Pharaonen ist, weiß die Wissenschaft nicht viel zu sagen über den jungen Mann, der von 1332 bis 1323 vor Christus regierte. Das liegt auch an Haremhab, einem seiner Nachfolger, der die Doppelkrone des ägyptischen Reiches etwa von 1319 bis 1292 trug. Dem Ex-General gelang es in knapp 30 Regierungsjahren, „das Andenken seiner Vorgänger so gründlich zu vernichten, dass es der Geschichtsforschung heute schwerfällt, über Tutanchamun gültige Aussagen zu machen“, schreibt der Romancier und Forscher Philipp Vandenberg in dem Buch „Nofretete, Echnaton und ihre Zeit“. Haremhab ließ die Namen von den Statuen seiner Vorgänger entfernen und stattdessen den eigenen einmeißeln.
Schon Tutanchamuns Geburt ist ein Rätsel. Wer waren seine Eltern? Echnaton – jener Pharao, der die alten Götter abschaffte, den Monotheismus einführte und damit das Reich ins Chaos stürzte – war mutmaßlich sein Vater. Echnaton heiratete erst die dank ihrer Büste heute berühmte Nofretete. Später dann, nicht unüblich in Pharaonenkreisen, noch zwei der sechs Töchter aus der Ehe mit Nofretete und zeugte mit ihnen mehrere Mädchen. Mutter Tutanchamuns könnte sowohl Nofretete sein als auch Echnatons Nebenfrau Kija. Tut übernahm den Thron wohl auch nicht unmittelbar nach Echnaton. Zunächst regierte Anchesenamun, Echnaton-Witwe (und eine der Töchter aus der Ehe mit Nofretete). Sie heiratete Tutanchamun. Der war damals wohl gerade mal elf Jahre alt und politisch ein Spielball unterschiedlicher Machtinteressen.
Auch der Tod des Teenager-Königs ist von Geheimnissen (und Verschwörungstheorien) umweht. Doch Mediziner konnten immerhin etwas Licht ins Dunkel bringen. 1925, drei Jahre, nachdem sein Grab von dem Briten Howard Carter entdeckt worden war, wurde Tuts Mumie ausgewickelt und untersucht. Man stellte fest, dass der Pharao bei seinem Tod etwa 18 Jahre alt war. Warum war er so jung gestorben? Spekuliert wurde ebenso über eine Infektion – etwa Tuberkulose – wie über eine Stoffwechselkrankheit. 1968 und 1978 wurde der Leichnam geröntgt und eine neue Theorie populär. Denn man glaubte, auf den Röntgenbildern hinten am Schädel eine Verletzung zu erkennen – herbeigeführt durch einen Schlag. Ein Attentat lag in den politisch unsicheren Zeiten am Ende der 18. Dynastie im Bereich des Möglichen. Vielleicht steckte sogar Haremhab hinter dem Anschlag.
2005 brachte eine Computertomografie (CT) Klarheit: Eine tödliche Schädelfraktur „erscheint nun als ausgesprochen unrealistisch“, schreibt der Mediziner Frank Rühli im Katalog zur Nürnberger Ausstellung. Der Paläopathologe, der auch an der Untersuchung von „Ötzi“ beteiligt war, beriet das ägyptische CT-Team, das zu dem Schluss kam, der junge Pharao sei wohl an den Folgen eines Unfalls gestorben. Er hatte einen offenen Bruch im Bereich oberhalb des linken Kniegelenks. Rühli: „Eine Komplikation wie etwa eine sekundäre Infektion, aber auch ausgedehnte Blutungen oder gar Luftembolien könnten damals ohne das heutige moderne medizinische Wissen den sicheren Tod bedeutet haben.“ Auch das bleibt aber nur eine Vermutung. Denn Tuts Leichnam weist „sehr viele Knochenbrüche und Weichteilverletzungen auf“. Die wurden ihm entweder schon vor 3300 Jahren bei der Einbalsamierung zugefügt oder beim nicht immer behutsamen Umgang mit der Mumie nach ihrer Entdeckung 1922. Auch über Tutanchamuns Tod lässt sich also nichts Sicheres behaupten.
In der langen Geschichte der alten ägyptischen Hochkultur war Tutanchamun nur ein unbedeutender Herrscher. Berühmt ist er heute vor allem wegen seines Grabes. Dessen Entdecker, Howard Carter, bemerkte zynisch, das einzig Bemerkenswerte an Tutanchamuns Leben habe darin bestanden, dass er starb und begraben wurde. Mit Grab KV62 hatte der Brite im Tal der Könige das einzige Pharaonengrab entdeckt, das beinahe ungeplündert erhalten ist. In pharaonischer Zeit hatten Räuber die Grabstätte zwar offenbar durchwühlt – Carter und sein Team fanden das Siegel zur eigentlichen Grabkammer aber ungebrochen vor. Sie ist, ungewöhnlich für ein Königsgrab, der einzige der vier Räume des nur 80 Quadratmeter großen Grabes, der mit Wandmalereien verziert ist.
Die drei anderen Kammern fanden Carter und sein Team vollgestellt mit Gold, Kunst-, und Alltagsgegenständen, die den Pharao im Jenseits unterhalten sollten. Uns erscheint das heute als märchenhafter Schatz. Für pharaonische Verhältnisse war er bescheiden. „Wenn schon dieser 18-jährige Pharao mit solchem, alle abendländischen Vorstellungen übersteigenden Prunk bestattet wurde, mit welchen Beigaben mögen dann Ramses der Große und Sethos I. in ihre Gräber geleitet worden sein?“, fragt C. W. Ceram in seinem Archäologie-Roman „Götter, Gräber und Gelehrte“. Die Antwort kann nur lauten: unvorstellbar. Foto: (c) Semmel-Concerts
Die Ausstellung zu Tutanchamun in Nürnberg
Auf 2000 Quadratmetern zeigt „Tutanchamun – Sein Grab und die Schätze“ in Nürnberg rund 1000 Objekte, allesamt Nachbildungen, dazu Grafiken und Filme. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr. Bis 26. Januar 2014.
Die Ausstellungsräume wurden auf dem Areal des ehemaligen Versandhauses Quelle eingerichtet. Das ist über den Frankenschnellweg (Ausfahrt Nürnberg/Fürth) gut zu erreichen. Parkplätze gibt es direkt vor dem Gebäude. Der Gang durch die Schau ist wie ein schrittweises Nachvollziehen der Entdeckung des Grabes durch Howard Carter am 4. November 1922. Der Besucher steht zunächst vor der Vorkammer, in der die Grabbeigaben bunt durcheinanderliegen, so, wie Carter sie vorfand. Ebenso malerisch wirkt die Schatzkammer. Möglich sind die Rekonstruktionen, weil Carters Team die Grabung akribisch mit Fotos dokumentierte. Die eigentliche Grabkammer wird mit geöffneten Türen der Schreine präsentiert. Der Besucher erkennt, wie der größte der insgesamt vier ineinandergeschachtelten Schreine den Raum beinahe ausfüllt.
Im zweiten Teil zeigt die Ausstellung die Fundgegenstände einzeln, quasi nachdem sie aus dem Grab genommen wurden. Hier kann man die Inschriften der vergoldeten Schreine sehen, ebenso die eigentlichen Särge, die im kleinsten Schrein aufbewahrt waren. Tutanchamuns Mumie (mit Maske) war von einem Sarkophag und drei Särgen in Menschengestalt umgeben, die wie russische Matrjoschka-Puppen ineinandersteckten. Der letzte Sarg ist im Original aus massivem Gold und wiegt 110 Kilogramm.
Es gibt Nachbildungen ägyptischer Gräber, die sich betreten lassen und so die Illusion erwecken, direkt vor Ort zu sein. Dieses Erlebnis bietet die Tutanchamun-Schau nicht. Der Besucher steht vor – teils in Vitrinen untergebrachten – Objekten und Arrangements wie in einem Museum. Nur dass er halt keine Originale sieht, sondern Kopien. Fakten vermittelt die wissenschaftlich betreute Ausstellung dank Wandtexten und Audio-Guide ausreichend. Eine fesselnde Aura entwickelt die Nachbildung der berühmten Totenmaske, immerhin. Das Original wird aus konservatorischen Gründen nicht mehr außerhalb des Museums in Kairo gezeigt. Zudem läge der Versicherungswert bei sechs Milliarden Dollar.
4,5 Millionen Besucher haben die Schau in verschiedenen europäischen Städten, laut Mitteilung des Veranstalters, bisher besucht. Internet: www.tut-ausstellung.com Text hele