„Singe, Göttin, den Zorn des Peleussohnes Achilleus . . . " Sogar in der deutschen Übersetzung ist die Kraft der Worte zu spüren, mit denen die „Ilias" beginnt. Im altgriechischen Original tönt's noch beeindruckender.
Und erst die Geschichte, die dahintersteckt! Da geht's um Zank zwischen Göttinnen und Göttern, um den Raub der schönsten Frau der Welt, um den zehn Jahre dauernden Trojanischen Krieg, um Hass und Liebe, um List und Tücke. Um den Untergang der blühenden Stadt Troja. Homer, dem das Epos zugeschrieben wird, malte im 8. Jahrhundert vor Christus mit 16 000 Hexametern ein Panorama menschlicher Schwächen und Stärken. Die „Odyssee" (rund 12 000 Verse) spinnt den Faden weiter. Hauptfigur ist hier der listenreiche Odysseus, Anführer jener Krieger, die sich im Bauch des Trojanischen Pferdes in die Stadt schmuggeln und die Festung zu Fall bringen.
Abenteurer und Hobbyarchäologe
Einer war von „Ilias“ und „Odyssee“ ganz besonders begeistert: Heinrich Schliemann (1822 bis 1890). „Schliemann war Homer-gläubig“, sagt Markus Mergenthaler, Leiter des Knauf-Museums Iphofen, das die Ausstellung „Heinrich Schliemann – Troja“ zeigt (siehe Kasten). Der Kaufmann, Abenteurer und Hobbyarchäologe habe Homers Epen wie Geschichtsbücher gelesen. Und die Figuren – von Achill bis Agamemnon, von Paris bis Priamos – für historisch gehalten. Schon mit neun Jahren, als er in Georg Ludwig Jerrers „Weltgeschichte für Kinder“ ein Bild des brennenden Troja sah, will der kleine Heinrich beschlossen haben, irgendwann die Stadt zu finden.
1870, Schliemann hatte als Kaufmann ein Vermögen verdient, fing er an zu graben. An einer Stelle, die heute als „Hisarlik Tepe“ (Palasthügel) bezeichnet wird. Die Lage des Ortes passt zu den Angaben in der „Ilias“. Deswegen war hier schon 1863 und 1865 Frank Calvert mit Hacke und Schaufel aktiv gewesen. Schliemann, der den Briten kannte, setzte sich also eigentlich in ein gemachtes Nest. Der begabte Selbstdarsteller kehrte das aber unter den Tisch.
Der Schmuck der schönen Helena?
Am 31. Mai 1873, noch vor dem Frühstück, entdeckte der Mecklenburger dann das, was er als „Schatz des Priamos“ bezeichnete: Vasen, Schalen, Kessel aus Kupfer, Bronze und Siber; Ohrgehänge, Armreife und Knöpfe, teilweise aus Gold; ein aufwendig gearbeitetes Diadem. Schliemann glaubte, es seien Stücke aus dem Priamos-Haushalt. Den Schmuck habe Helena, die Schwiegertochter des Königs getragen, deren Raub Anlass für den Krieg war.
Heute weiß man, dass der Ausgräber irrte. Was er für Stücke aus Troja hielt, ist zu alt, als dass es zur „Ilias“ passen könnte. Und trotzdem . . .
„Schliemann hat Troja gefunden, daran gibt es keinen Zweifel“, sagt der Würzburger Archäologe Ulrich Sinn. Er suchte am richtigen Ort – nur grub er zu tief. Die Ausgrabungsstätte, ein 15 Meter hoher Hügel in der heutigen türkischen Provinz Çanakkale, zeugt von mehr als 4000 Jahren menschlicher Kultur: Archäologen haben neun übereinander liegende Besiedlungsschichten entdeckt. Homers Troja werde allgemein ins 12. oder 11. Jahrhundert vor Christus datiert, so der emeritierte Professor für klassische Archäologie. Das entspricht Schicht VII. Die Funde hier passen am ehesten zu der Kultur, die in der „Ilias“ beschrieben wird.
Schicht Nummer I – die unterste und älteste, bis zu der Schliemann vordrang – reicht bis vor 3000 vor Christus zurück. Die jüngste Besiedelung des Ortes wird ins 13. nachchristliche Jahrhundert datiert.
Schliemanns rüde Methoden
Schliemann und seine Crew wühlten sich auf der Suche nach passenden Funden durch den Hügel und rissen einen 17 Meter breiten und 48 Meter langen Graben auf. Derart rüdes Vorgehen war damals durchaus gängige archäologische Praxis. Er habe „manche interessante Ruine in den oberen Schichten zerstören“ müssen, notierte Schliemann ungerührt. Für ihn zählte nur Troja. Oder das, was er dafür hielt.
Schliemann habe aber durchaus seine Verdienste, urteilt Ulrich Sinn: „Er war der Erste, der Schichten beobachtet hat – er hat sie allerdings völlig falsch interpretiert.“ Zudem gilt der vermeintliche Priamos-Schatz als bedeutendster Funde aus der frühen Bronzezeit.
Wenn Troja existiert hat – gab es dann auch den Trojanischen Krieg? „Nicht in der von Homer beschriebenen Form“, sagt Professor Sinn. Wenn überhaupt: Größere Mengen an Waffen, die auf heftige Schlachten hinweisen würden, wurden nicht gefunden. Dass an dieser Stelle Städte lagen, die zerstört wurden, stehe aber außer Frage. Ursachen könnten auch Brände gewesen sein oder Erdbeben. „Und immer, das kann man sehen, wurde gleich die nächste Siedlung auf der vorigen erbaut“, so der Würzburger Archäologe.
Die Funktion von Mythen
Auch die Stadt aus der Schicht VII – Troja – wurde zerstört. Und hier setze die Funktion der Mythen ein, so Ulrich Sinn: „Mythen sollten eine Vorstellung davon geben, wie es in früheren Zeiten zugegangen sein mag.“ Im Fall Troja sollten sie erklären, wie und warum ein vormals prächtiges Machtzentrum einen katastrophalen Niedergang erleben konnte. Mythen, erklärt der Wissenschaftler, seien in der Antike keinesfalls als Märchen angesehen worden. „Sie galten als Vorläufer der historischen Geschichtsschreibung.“ Verbreitet und weitergegeben wurden die Erzählungen mündlich von fahrenden Sängern.
Bis Homer sie, Jahrhunderte nach den Ereignissen, fokussierte und schriftlich fixierte. Wobei hinter „Homer“ ein Fragezeichen steht: Manche Wissenschaftler glauben, dass sich unter dem Namen mehrere anonyme Autoren verbergen.
Troja gab es. Den Krieg gab es vielleicht. Falls es einen „Schatz des Priamos“ gegeben haben sollte, ist der jedenfalls nicht identisch mit dem, den Schliemann fand. Achill & Co. sind wohl reine Fiktion. Irgendwo in den Jahrhunderten zwischen realen Ereignissen und der Entstehung von „Ilias“ und „Odyssee“ verläuft die Grenze zwischen Fakten und Fiktion. Wo genau wird vielleicht immer ein Rätsel bleiben.
Troja-Ausstellung in Iphofen
Das Knauf-Museum in Iphofen (Landkreis Kitzingen) thematisiert auf drei Ebenen die Person Heinrich Schliemann, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie das Schicksal des sogenannten Priamos-Schatzes.
Der „Schatz des Priamos“ wird in Repliken gezeigt – anders ist das nicht möglich: Die Fundstücke aus der Bronzezeit wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nach Moskau gebracht. Dort sind die Originale noch heute. Ein Original– eine Silberschale – ist dennoch in Iphofen zu sehen. Zu sehen sind außer dem „Schatz“ auch weitere – originale – Funde aus Troja. Vor dem Haus ist als Blickfang ein Trojanisches Pferd aufgebaut.
Die Leihgaben kommen aus dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, das die weltweit größte Sammlung archäologischer Funde aus Schliemanns Grabungen in Troja besitzt. Weitere antike Originale – etwa aus dem Würzburger Martin-von-Wagner-Museum – erzählen die Geschichte und die Vorgeschichte des Trojanischen Krieges in Bildern.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10–17, Sonntag 11–17 Uhr. Bis 4. November.