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FERNSEHEN
Das Spiel ist das Ziel: "Akte X"
In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und aktuellen Fernsehserien. Heute: „Akte X“ oder Der unheimliche Fall Mulder und Scully.
Traumpaar mit Verzögerung: Gillian Anderson und David Duchovny waren in „Akte X“ die Special Agents Fox Mulder und Dana Scully.
Foto: Cinetext | Traumpaar mit Verzögerung: Gillian Anderson und David Duchovny waren in „Akte X“ die Special Agents Fox Mulder und Dana Scully.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.02.2015 11:47 Uhr

Man stelle sich vor: An einer entlegenen Küste Afrikas wird ein riesiges rätselhaftes Objekt gefunden. Es stellt sich heraus, das Ding ist ein außerirdisches Raumschiff, ein paar Millionen Jahre alt, und auf der Hülle sind Texte der Bibel, des Koran und die Grundlagen unserer Naturwissenschaften eingraviert. Nichts von dem, was die Menschheit bislang glaubte, ist wahr. Man sollte doch meinen, dass es eine solche Entdeckung wenigstens in die Vorabendnachrichten schafft.

In „Akte X“ kommt so etwas alle paar Folgen vor. Und bleibt folgenlos. Denn die Serie von Chris Carter (in den USA lief sie erstmals von 1993 bis 2002, bei uns derzeit auf Tele 5), unerreichtes Vorbild vieler weiterer Mystery-Serien, huldigt in neun Staffeln und zwei Spielfilmen dem Prinzip der folgenlosen Ungeheuerlichkeit: Die FBI-Agenten Fox Mulder und Dana Scully entdecken, enthüllen, überführen permanent Mutanten, Seelenwanderer, Zeitanomalien, Killerviren, niederträchtigste Verschwörungen und natürlich außerirdische Interventionen aller Art, und es passiert – nichts.

In „Akte X“ geht es nur vordergründig darum zu beweisen, dass es mehr Dinge gibt zwischen Himmel und Erde und so weiter. In „Akte X“ ist das Spiel das Ziel. Das Spiel mit allen Grundlagen unseres Weltbilds, den physikalischen, biologischen und nicht zuletzt mythologischen.

Mulder, einst hochbegabter Nachwuchsagent, ist zwanghaft auf der Suche nach der „Wahrheit da draußen“, wie es schon im Vorspann heißt. Seine Schwester wurde als Kind einst von Aliens entführt – zumindest glaubt und behauptet Mulder das. Im Laufe der Jahre stellt sich der Sachverhalt aber immer wieder anders dar. Gut möglich, dass nicht einmal die Drehbuchautoren ganz genau sagen könnten, was jetzt genau mit Mulders Schwester passiert ist. Mulder selbst ist unfähig, sich in jedwede Strukturen einzufügen, und wer ihm mit Dienstvorschriften kommt, der erntet nur ein aufrichtig verständnisloses Lächeln. Das FBI hat ihn deshalb zur Strafe in ein Kellerbüro verbannt und ihm die Ärztin, Katholikin und Rationalistin Scully als Partnerin zugeteilt. Scully glaubt nur, was sich im wissenschaftlichen Sinne beweisen lässt, und daran ändert auch ein paar Staffeln lang die Tatsache nichts, dass sie vom ersten Arbeitstag an mit Mulder Unfassbares erlebt.

Der Auftrag der beiden: paranormale Phänomene untersuchen und aufklären. Und davon gibt es jede Menge, vorzugsweise in der amerikanischen Provinz, die wir in all ihrer austauschbaren Durchschnittlichkeit immer wieder neu entdecken. Allein das ist schon feine Ironie: Die beiden am miesesten ausgestatteten Agenten des FBI, denen der Apparat zudem permanent Knüppel zwischen die Beine wirft, machen die sensationellsten Entdeckungen, und all ihre Erkenntnisse, in mehr oder weniger schlüssige Berichte gefasst, verschwinden in diesem Stahlschrank mit den X-Akten.

Nicht weil ihnen niemand glaubte. Im Gegenteil: Nach und nach stellt sich heraus, dass Teile der Geheimdienste, der Regierung und der Streitkräfte aus unterschiedlichsten Motiven längst mit den Aliens paktieren, die zurückgekommen sind, um die Erde, ihren angestammten Wohnort, wieder zu übernehmen. Der Mensch wird dann nur ein Zwischenspiel gewesen sein.

Aber, wie gesagt: Das ist zwar alles äußerst spannend, aber nicht wirklich wichtig. Denn im Grunde geht es nur um Mulder und Scully. Um das Aufeinandertreffen von Intuition und Intellekt. Von Fantasie und fundiertem Wissen. Von Lust und Mäßigung. Von Chaos und Ordnung. Es braucht schon 40 bis 50 Folgen, bis man begreift, dass es nicht darauf ankommt, dieses immer abstrusere Gebäude von Enthüllungen, Verstrickungen und Vertuschungen zu durchschauen, auch wenn die große Linie, also die totale Infragestellung aller Gewissheiten, durchaus ihre Reize hat.

Nein, es geht, wie immer, um die Liebe. Um die Vereinigung von Yin und Yang, um das Prinzip der gegensätzlichen und einander doch vervollständigenden Hälften ein und derselben Sache.

David Duchovny und Gillian Anderson sind dieses Traumpaar, auch wenn es sehr, sehr lange dauert, bis ihre Figuren das bemerken. Er der geistreiche Schwerenöter, der, so sagen jedenfalls weibliche Fans, deshalb so sexy ist, weil er sich seiner Sexyness selbst gar nicht bewusst ist. Sie die kühle Schönheit mit dem Porzellanteint, die in einigen wenigen Momenten offenbart, dass sie durchaus zu ganz und gar unwissenschaftlichen Regungen fähig ist. Als sich Mulder – rein dienstlich, versteht sich – einmal mit einer Bienenexpertin namens Bambi zusammentut, flackert ganz kurz Eifersucht auf. „Bambi? Sie heißt Bambi?“, fragt Scully nur leicht amüsiert, und damit ist der Fall erledigt.

Die Serie spielt permanent mit unserer Wahrnehmung, führt uns in die Irre und wieder zurück, aber eines ändert sich nie: Mulder und Scully gehören untrennbar zusammen, und das in einer Welt, in der wir offenbar nur dank der obskuren Experimente kleiner grauer Männchen bis auf Widerruf existieren dürfen. Dass Duchovny und Anderson einander im richtigen Leben angeblich nicht ausstehen können, sollte uns nicht weiter stören. Halten wir uns lieber an Mulders letzte Worte in der letzten Folge mit dem Titel „Die Wahrheit“: „Vielleicht gibt es eine Hoffnung.“

Lesen Sie am 14. Mai: „Star Trek“ oder Im Wohnzimmer durchs Weltall.

 
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