Probenwochenende im Theaterhaus Gerolzhofen. Hier entsteht gerade "Die wahre Geschichte der Florence Foster Jenkins". Das Stück beschreibt Leben und Sterben der legendär schlechten, aber reichen New Yorker Sängerin Florence Foster Jenkins (1868-1944), die nicht davon abzubringen war, in der Carnegie Hall aufzutreten.
Männer in Frack und Zylinder, Jeans und Turnschuhen wuseln hin und her oder memorieren auf einem der Plüschsofas noch schnell etwas Text. Frauen in Glitzerkleidern, aber noch ohne Perücke, suchen Requisiten zusammen. Für die Umbauten auf der kleinen, in die Breite erweiterbaren Bühne helfen alle zusammen. Trotz aller Unfertigkeit ist gut erkennbar: Hier entsteht das mondäne New York der 1930er und 1940er Jahre, in denen mit Geld alles möglich war. Eben auch ein völlig talentfreier Auftritt in der heiligen Carnegie Hall.
Florences Auftritte in den Millionärsclubs galten als skurrile, aber harmlose Unterhaltung. Bis dahin hatte ihr engstes Umfeld ihre Sangesfreude mit allerhand wohlmeinenden (und oppurtunistischen) Lügen unterstützt. Nach dem Carnegie-Hall-Konzert am 25. Oktober 1944 aber fiel die Presse mit ungezügelter Häme über sie her: "Sie jault ihre Töne wie ein besoffener Kuckuck!", hieß es etwa. Die Schutzblase war unwiderruflich zerplatzt. Florence Foster Jenkins starb einen Monat später an einem Herzinfarkt. Oder, wenn man so will, an gebrochenem Herzen.
Der Gesang muss nach echter Unfähigkeit klingen, nicht nach Absicht
Die Gerolzhöfer Theatermacherin, Sängerin und Schauspielerin Silvia Kirchhof spielt die Titelrolle. Und muss dafür falsch singen. Aber richtig. Also so, dass es nach echter Unfähigkeit klingt und nicht nach Absicht. "Gar nicht so einfach", sagt Silvia Kirchhof. Schließlich ist beim Singen ja immer das allererste Ziel, die Töne zu treffen. "Aber für den Achim ist es wahrscheinlich noch schwerer." Achim Hofmann, Kirchhofs Ehemann und musikalischer Partner, spielt den bedauernswerten Pianisten Cosme Mc Moon, der alle sängerischen Entgleisungen von Florence klanglich irgendwie wegbügeln muss.
Hinzu kommt, dass Florence Foster Jenkins sich immer allerschwerstes Repertoire herausgesucht hatte. Etwa die "Glöckchenarie" aus Léo Délibes' "Lakme´". Oder "Königin der Nacht" aus der "Zauberflöte": "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen". Diese Arien müssen erkennbar, aber trotzdem daneben rüberkommen. Silvia Kirchhof gelingt das so überzeugend, dass Scotty Riggins als Gesangslehrer nicht wirklich schauspielern muss, wenn er unwillkürlich das Gesicht verzieht und in seiner Qual zur Notlüge greift: "Ihre Hingabe ist deutlich zu erkennen, Madame."
Das Drama sieht nur sieben Rollen vor – hier sind 17 daraus geworden
Das Drama von Bill White sieht nur sieben Rollen vor, hier sind 17 daraus geworden. "Wer mitspielen will, darf mitspielen", sagt Silvia Kirchhof, die auch künstlerische Leiterin des Vereins "Kleines Stadttheater Gerolzhofen" ist. Das freie Amateurtheater, das mit Wandeltheater-Produktionen wie "Du musst dran glauben" oder "Herr Vogel – Ein Märchen über die Suche nach dem Glück" tausende Menschen aus der ganzen Region nach Gerolzhofen gelockt hat, ist Mieter des Theaterhauses.
Eigentümer des Hauses wiederum sind Silvia Kirchhof und Achim Hofmann. Die beiden, bekannt unter anderem als Duo "Café Sehnsucht", haben das ehemalige Babywaren-Fachgeschäft Steigner in der Gerolzhöfer Altstadt im Herbst 2019 gekauft und in dreijähriger - meist eigener - Arbeit zum Theater umgebaut. Vom Verputzen bis zum Fliesenlegen - was ging, wurde selbstgemacht. "Ich komme aus einer Handwerkerfamilie", sagt Achim Hofmann schlicht und zeigt seine unversehrten Pianistenhände. Silvia Kirchhof ergänzt: "Wenigstens etwas Gutes hatte Corona."
Premiere ist am 1. November – es wird das erste Theaterstück sein, das hier aufgeführt wird. Denn das Theaterhaus ist neu. Die Eröffnung mit Honoratioren und buntem Programm war erst Ende September. Nun also soll der eigentliche Betrieb starten. Der ist laut Baugenehmigung des Landratsamts allerdings nur bis 22 Uhr gestattet. Bis dahin muss das Haus an Vorstellungsabenden geräumt sein.
Als der 22-Uhr-Bescheid kam, dachten die Theaterleute daran, aufzugeben
Für Kirchhof und Hofmann ein Schock: "Als der Bescheid im Juni 2020 kam, haben wir die Arbeiten erstmal zwei Monate ruhen lassen und überlegt, ob wir aufgeben", erzählt Achim Hofmann. "Aber dann haben wir beschlossen: Wir kämpfen! Diese Auflage ist der Tod der Kleinkunst. Es geht beim Theater um ein gesellschaftliches Ganzes. Dass man sich nach dem Stück austauschen kann, ist ungeheuer wichtig. Und das können wir so nicht leisten."
Klären wird die Frage auf die Klage des Theaterhauses hin das Verwaltungsgericht. Irgendwann. Der Termin wurde schon mehrfach verschoben, berichten die Theatermacher. Nun ist einer angesetzt, bei dem ihr Anwalt nicht kann. "Aber er muss unbedingt dabei sein."
Bis dahin wird unter der Regie von Amelie Auer erstmal gearbeitet, so gut es geht. Das Stück muss immer wieder gekürzt werden, damit die Vorstellung auch ja rechtzeitig endet. Was wiederum bedeutet, dass die Darstellenden sich permanent neue Stichwörter und Übergänge merken müssen. Einstweilen hat Souffleuse Monika Freiberger noch alle Hände voll zu tun. "Aber das kennen wir schon", sagt Achim Hofmann, "am Premierenabend klappt dann doch alles."
Die Innenausstattung stammt aus einem Haßfurter Kino der 1950er Jahre
Dass die historische Atmosphäre so gut passt, liegt übrigens auch am Theater selbst: Die Innenausstattung – Barbereich, Leuchten und Klappsitze etwa – stammt aus einem Haßfurter Kino aus den 1950er Jahren, dass just zu rechten Zeitpunkt abgerissen wurde. Die schweren roten Vorhänge aus der Kulturscheune Eichfeld. "Schwer entflammbarer Samt", sagt Achim Hofmann, "wäre ansonsten unbezahlbar." Wiederverwendung gehört auch zum Konzept: "Das ist ein Recycling-Haus", sagt Silvia Kirchhof. "Hier ist fast nichts neu."
Und, das klingt schon fast wie Vorsehung: Die Kostüme kommen tatsächlich alle aus Amerika. Eine Tante von Silvia Kirchhof schickt regelmäßig allerhand Glitzerklamotten, die sie bei den berühmten Garage Sales, also Miniflohmärkten, für wenige Dollar kauft. "Die Sachen sind so drüber, dass sie genau richtig für dieses Stück sind", sagt die Sängerin.
Die Vorstellungen: 1. bis 6. November, 19.30 Uhr, Theaterhaus Gerolzhofen, Centgasse 4. Karten bei der Tourist-Info, bei Mode Iff sowie unter der Tel. (09382) 3100228.