
Bizarr wirken einige der Stücke, die ein Münchner Auktionshaus an desem Samstag versteigert: Eine edle Seidenunterhose, nach heutigem Maßstab Größe XXL, die Hermann Göring, Hitlers oberstem Luftwaffenbefehlshaber, gehört haben soll. Eine Messingdose für die Blausäure, mit der er sich kurz vor der angesetzten Hinrichtung 1946 das Leben genommen haben soll. Ein Stück des Seils, mit dem Julius Streicher, in der NS-Zeit fränkischer „Gauleiter“, als Kriegsverbrecher gehängt wurde.
Sie stammen aus der Sammlung des US-Mediziners John Kingsley Lattimer, der während der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse für die Versorgung der Angeklagten zuständig war. Weitere Teile sind Fotos und Schriftstücke. Faszinierend mache die Gegenstände ihre Authentizität, schreibt Wolfgang Hermann auf der Internetseite des Auktionshauses „Hermann Historica“.
Staatsanwaltschaft prüfte
Einfach ist die Echtheit von Gegenständen wie eben von Görings Schlüpfer allerdings nicht zu belegen, erklärt Museologin Dr. Stefanie Menke von der Würzburger Universität, auf Anfrage. Gründliche Methoden seien aufwendig und teuer und meist gebe es auf jede Erkenntnis neue Gegenargumente, besonders bei Dingen, an denen starke Emotionen hingen. „Es wäre interessant, wie das Auktionshaus die Echtheit belegt.“
Doch dort gibt es weder dazu, noch zu anderen Themen weitere Informationen. Nur so viel: „Hermann Historica“ versichert auf seiner Internetseite, dass es „Objekte der Zeitgeschichte nur unter strengen Auflagen an Museen, Archive und ernsthafte Sammler“ vermittelt. Wie die Auflagen aussehen und wie die Ernsthaftigkeit der Sammler geprüft wird, will das Unternehmen allerdings nicht veröffentlichen. Zu Objekten deutscher Zeitgeschichte gebe es keine Pressearbeit, heißt es auf Anfrage. Zu komplex sei das Thema und zu groß die Gefahr, falsch verstanden zu werden. Zugang zu Katalogen und Auktionen gibt es nur für Kunden. Die Versteigerung soll, wie am Freitag bekannt wurde, weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Bühne gehen. Auch die Ergebnisse sollen nicht veröffentlicht werden.
Nicht alle Unternehmen verhalten sich derart scheu. Das Nürnberger Auktionshaus Weidler hat schon mehrmals Bilder versteigert, die Adolf Hitler zugeschrieben werden, und ging damit offen um. Kataloge und Erlöse sind veröffentlicht. Und das, obwohl die Stadt Nürnberg schon eine Versteigerung gerichtlich verbieten lassen wollte.
Auch die Staatsanwaltschaft München I beschäftigte sich jetzt mit der angesetzten Versteigerung persönlicher Gegenstände von Nazi-Größen. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hatte das gefordert. Eine Anzeige gab es jedoch laut Staatsanwaltschaft keine.
Verboten wäre nur die Abbildung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen nach Paragraf 86 a des Strafgesetzbuchs. Verkauf und Besitz sind erlaubt. In Katalogen müssten die Kennzeichen verdeckt sein.
Klar sind Gesetz und Rechtsprechung. Der kulturhistorische Wert von Dingen wie einer Unterhose und einem Stück Strick ist weniger deutlich. Museologin Stefanie Menke würde sich bei solchen Angeboten die Frage stellen: „Welche Geschichte kann das Stück erzählen und könnte sie auch anders erzählt werden?“ Der Luxusschlüpfer übermittle für sich gar keine Geschichte, könnte aber eingebettet werden in eine Ausstellung über Görings Selbstdarstellung. Er sei ein prunkliebender Barockmensch gewesen, habe sich massiv bereichert und mit seinem Luxusbesitz geprotzt. Ansonsten sei die Hose ein sehr banaler Gegenstand. Das Stück Henkersstrick habe da eher historischen Wert, überlegt Menke. „Ich würde mich als Ausstellungsmacherin aber fragen, ob der Strick wirklich nötig oder zu reißerisch und plakativ ist?“ Das Fallbeil, mit dem wahrscheinlich die Geschwister Scholl hingerichtet wurden, wird jedenfalls nicht ausgestellt, entschied vor zwei Jahren der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle. Er wolle kein Reiseziel für Eventtouristen und Voyeure, so der Minister damals. Einfach ist die Entscheidung für Ausstellungsmacher aber nicht. Devotionalien- und ernsthafte, wissenschaftliche Sammlungen seien nicht klar zu trennen.
Devotionalien seien ein eigenes Sammlungs- und Forschungsgebiet. Und vor Propaganda für eine bestimmte Ideologie durch Ausstellungsstücke hat Menke keine Angst. Man wisse ohnehin nie, was Besucher daraus machten. Kuratoren könnten nur Angebote machen.
Dokumentationszentren zur NS-Vergangenheit beispielsweise böten Ausstellungen mit sehr geschlossener Deutung. Im Allgemeinen sei der Anspruch an Ausstellungen immer der der Offenheit und Multiperspektivität. „Aber man darf sich keine Illusionen machen, was Ausstellungen bewirken können.“ Untersuchungen zeigten nämlich: „Betrachter fühlen sich häufig in der eigenen Geschichtsbetrachtung bestärkt.“
Bei Lehrveranstaltungen der Würzburger Museologie seien Auktionen nur ein Randthema. Schließlich seien sie nicht die Haupteinkaufsquelle von Museen. Sie böten nur bei ganz speziellen Dingen und sehr anlassbezogen mit, zumal die allermeisten nur einen sehr kleinen Ankaufsetat hätten, sagt die Wissenschaftlerin. Und Schnäppchen sind bei Auktionen wohl nicht zu machen. „Letztlich entscheidet der Preis. Wer am meisten bietet, bekommt bei den meisten Auktionen den Zuschlag“, sagt Stefanie Menke, die während ihrer Laufbahn in einem Auktionshaus gearbeitet hat.
Menschen, die bei Versteigerungen wie der jetzigen in München mitbieten, tun das aus ganz verschiedenen Motiven. Es gebe diejenigen, die Dinge aus der NS-Zeit als Devotionalien kaufen. Aber wer bei solchen Auktionen kauft, sei nicht automatisch ein Mensch mit rechter Gesinnung, so Menke. „Es gibt auch Leute, die die Monstrosität des Bösen nicht fassen können.“ Sie könnten nicht begreifen, dass etwa der als lieb erlebte Opa einmal Schlimmes getan hat und versuchten, das über Relikte der Zeit zu verstehen. „Außerdem geht von diesen Dingen die Faszination des Bösen aus“, sagt Menke.
Für Relikte aus der NS-Zeit gebe es international einen großen Markt. Besonders Interessenten aus den USA, aus Russland, den Golfstaaten und auch aus China kauften eifrig. „Viel wandert dahin, wo das neue Geld sitzt“, sagt Menke. Für solche Reiche gehöre es zum Selbstverständnis, kulturelle Dinge zu sammeln. Als Spekulationsobjekte taugten sie kaum. „So wertvoll sind die Sachen nicht.“
Die Versteigerung von skurrilen Stücken wie Görings Unterhose hat für Stefanie Menke jedoch einen besonderen Aspekt: „Das erinnert mich sehr an den Film ,Schtonk!‘“, sagt sie. Die Satire von 1983 drehte sich zwar um die wahre Geschichte der gefälschten Hitlertagebücher, aber auch um Devotionalien wie ein Taschentuch mit original „Führer“-Popel und den Morgenmantel von Göring. Er nehme herrlich den Markt mit NS-Relikten aufs Korn und sage viel über die Motive für den Umgang damit: Oberflächlichkeit, Sensations- und Geldgier. Mit Material von dpa