Die Geschichte des Holocausts ist voller verstörender Facetten. Ein besonders tragisches und grausames Kapitel ist die Ermordung der ungarischen Juden 1944 – zu einem Zeitpunkt, als sich abzeichnet, dass der Krieg verloren ist und die Befreiung der Konzentrationslager nur eine Frage der Zeit. Während die Züge mit den Deportierten nach Auschwitz rollen, verhandeln Vertreter der SS und jüdischer Organisationen. Die einen wollen möglichst viele Menschenleben retten, die anderen dafür unter anderem Lastwagen eintauschen, die für den Krieg gebraucht werden.
„Hitlers Menschenhändler“, gerade im Berliner Rotbuch Verlag erschienen, erzählt „Das Schicksal der Austauschjuden“, wie der Untertitel lautet. Den Autoren Thomas Ammann und Stefan Aust ist es gelungen, diese schwierige und umstrittene Materie anschaulich und sachlich darzustellen. Sie beschränken sich dabei nicht auf die ungarischen Juden, sondern betten das Thema in die Geschichte der sogenannten Austauschjuden insgesamt ein. So nannten die Nazis Juden, die nicht in die Vernichtungslager deportiert, sondern zum Beispiel im KZ Bergen-Belsen festgehalten wurden, etwa, um sie gegen Geld ins Ausland ausreisen zu lassen. Die Motive dafür waren unterschiedlich. Heinrich Himmler, der Chef der SS, hoffte in der Spätphase des Krieges, auf diese Weise den Alliierten Entgegenkommen zu zeigen.
Für die Betroffenen, die hinter Stacheldraht monatelang darauf warten mussten, freizukommen, ständig in der Angst, doch nach Auschwitz deportiert zu werden, war es ein endloses Martyrium. Die wenigsten von ihnen überlebten. In Budapest sind es vor allem Rezsö Kasztner und Joel Brand, die auf jüdischer Seite mit der SS darüber verhandeln, die ungarischen Juden nicht zu ermorden. Tatsächlich gibt Himmler seinem Vertrauten Kurt Becher grünes Licht für diese Gespräche. Und auch Adolf Eichmann ist beteiligt, der gnadenlose Organisator des Holocausts im Reichssicherheitshauptamt. Die Verhandlungen haben phasenweise Züge, die schwer mit der Wirklichkeit in der Spätphase des Holocausts zu vereinbaren sind: Eine Million Juden gegen 10 000 Lastwagen lautet der Deal, der kaum eine Chance hat, zustande zu kommen.
Das Buch wirft ein bezeichnendes Licht auf die Rolle Eichmanns: Der kleine hilflose Befehlsempfänger im großen bösen Betrieb, den er bei seinem Prozess in Jerusalem den Richtern vorspielte, war er nicht. Seinen jüdischen Verhandlungspartnern begegnete er großspurig. Er war die treibende Kraft hinter der Deportation der ungarischen Juden, verantwortlich dafür, dass der Transport nach Auschwitz nahezu reibungslos klappte.
Seine Verhandlungspartner baten ihn immer wieder, die Deportationen so lange auszusetzen, wie die Bemühungen dauerten, seine Forderungen zu erfüllen. Aber das beeindruckte ihn nicht. Im Gegenteil, er war überzeugt, den Druck erhöhen zu können, wenn der Massenmord ohne Pause weiterging.
Von der „Banalität des Bösen“, die die Philosophin Hannah Arendt an Eichmann beobachtete, war bei den Verhandlungen mit Kasztner nichts zu merken. Da gab er den rücksichtslosen, brüllenden Herrenmenschen. Rezsö Kasztner, dessen Verhandlungen mit der SS immerhin fast 1700 Menschen vor den Gaskammern retteten, galt nach dem Zweiten Weltkrieg als Kollaborateur der Nazis. Himmlers Vertrauter Kurt Becher machte in der Bundesrepublik Karriere als Unternehmer. Eichmann wurde 1962 in Israel hingerichtet. Die Geschichte der Austauschjuden ist heute fast vergessen.
Thomas Ammann, Stefan Aust: Hitlers Menschenhändler. Das Schicksal der „Austauschjuden“ (Rotbuch, 333 Seiten, 24,99 Euro)