Ausnahmsweise beginnt die Kritik zur Meininger Premiere von „Dantons Tod“ mit einem Zitat. Weil es so wahrhaftig ist und so unpathetisch daherkommt – wie vieles, das Georg Büchner (1813-1837) zu Papier gebracht hat. Ganz im Gegensatz zu den Idealisten unter seinen Zeitgenossen.
Das Zitat ist einer der Schlüsselsätze der Inszenierung von Tobias Rott, des künftigen neuen Schauspieldirektors. Es erinnert daran, dass der Weg von hehrem Idealismus und keimfreier Moral, mit der die Menschheit beglückt werden soll, bis zum Terror despotischer Macht fürchterlich kurz ist. Gerade dann, wenn die tugendhaftesten Sprüche auf den Fahnen von Despoten und jubelndem Volk wehen.
Die Revolution frisst ihre Kinder und ihre Anführer
„Wir alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: Die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit, als man sich einbildet.“ So spricht der eingekerkerte und von Todesangst und lichten Augenblicken gepeinigte Camille (Phillip Henry Brehl), der zusammen mit seinen Weggefährten Danton (Anja Lenßen in ihrer ersten Rolle nach der Mutterschaftspause) und Lacroix (Vivian Frey) auf die Hinrichtung wartet.
Nun gibt es in Büchners Drama über das Ende der Französischen Revolution genügend Sätze, die den Zustand des Menschen wahrhaftig sezieren, egal, ob sich der Träger ihrer bewusst ist oder nicht, und egal, welcher Fraktion er angehört: Danton, einst glühender Anführer des grausamen Revolutionstribunals. Jetzt verzweifelt wegen der Erkenntnis, dass die Revolution ihre Kinder frisst und die Guillotine vor niemandem Halt macht.
Danton wird von einer Frau gespielt
Dass Danton von einer Frau gespielt wird, verändert die Wahrnehmung der menschlichen Makel nicht. Daneben: die liebenden Ehefrauen und Grisettes, also die Unverheirateten (Carla Witte, Mira Elisa Goeres, Evelyn Fuchs). Auf der anderen Seite: Robespierre (Björn Boresch) – Terrorist der Tugendhaftigkeit und ehemaliger Kampfgefährte Dantons. Neben ihm: seine Bluthunde St. Just (Michael Jeske) und Herman (Matthias Herold). Dann: das Volk (im Vordergrund Ulrike Walther und Peter Bernhardt), das aus dem Boden zu wachsen scheint und sogleich mit anschwellender Wucht „Wir sind das Volk“ in die Welt brüllt, mit bedrohlichem Unterton für alles Fremde und Verhasste.
Und dazwischen: Die braven Bürger, die auf dem Boulevard flanieren (zum Beispiel Renatus Scheibe und Hans-Joachim Rodewald), ihr Fähnchen nach dem Wind hängen und über das neueste Theaterstück parlieren. Susanne Füller manifestiert deren Gedanken als abstraktes Bühnenbild, das langsam aber stetig um sich selbst kreist: „Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen, und alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt.“ Derweil haben die Bewunderer babylonischer Türme Angst vor der nächsten Pfütze. Es könnte sich darunter ja ein Abgrund auftun, der direkt ins Nichts führt.
Wortgewaltige Texte treffen auf wortgewaltige Handlung
So weit, so symbolträchtig. Es gibt bei Büchner viele Anspielungen auf die ewigen Widersprüche menschlicher Natur. Es gibt in der Inszenierung wunderbar ästhetische Choreografien des Schreckens, mit Gestalten in zeitübergreifenden, teils ironisierenden Kostümen von Kerstin Jacobssen. Und es gibt reichlich Nebel aus der Nebelmaschine. Dieser Nebel könnte auch sinnbildlich für das Dilemma der Inszenierung stehen: Wortgewaltige Texte treffen auf wortgewaltige Handlung.
Und die trifft auf Schauspieler, die die Worte so wiedergeben sollten, dass man als Zuschauer nicht Verdacht schöpft, sie gehörten vor allem dem Dramatiker und weniger den Handelnden. Nicht selten jedoch glaubt man die Regieanweisungen („wütend“, „fanatisch“, „verzweifelt“) vor ihren Reden zu hören. Dieses Deklamatorische legt sich wie ein Nebelschleier zwischen Darsteller und Publikum.
Man würde die Figuren gerne als wahrhaftige Geschöpfe wahrnehmen
Man würde als Zuschauer die Figuren auf der Bühne gerne als wahrhaftige Geschöpfe wahrnehmen und nicht als solche, die Gedanken und Gefühle in den Raum rufen, ohne die feinen Nuancen des Miteinanders und Gegeneinanders im richtigen Leben zu imitieren. Dazu aber erscheinen die Menschen zu sehr als Träger von Botschaften und zu wenig als allzu menschliche Wesen.
Vielleicht nicht zuletzt wegen dieser Gefahr hat Regisseur Jarg Patakis in seiner spektakulären Meininger Inszenierung von „Dantons Tod“ 2004 aus seinen Akteuren Homunculi gemacht, die in einem Rausch der Bewegung über die Bühne kullern und im Nichts verschwinden. In dem Loch, das sich überall dort auftut, wo Menschen in den Wahn verfallen, sie könnten mit der Tyrannei der Tugend die Welt verbessern.
Nächste Vorstellungen: 1. Juni (19.30 Uhr), 3. Juni (19 Uhr), 9. Juni (19.30 Uhr), 8. Juli (15 Uhr). Karten: Tel. (0 36 93) 451 222. www.meininger-staatstheater.de