Erst My Space, dann „Sing meinen Song“: Daniel Wirtz lässt keine multimedialen Hilfsmittel aus, um seine Musik zu pushen – und schafft es dennoch, ein authentischer Künstler mit Ecken und Kanten zu bleiben. In die smarte Popmusik-Runde auf VOX hatte er mit unzähligen Tattoos und Ohr-Plugs partout nicht passen wollen – und hat doch mit seinem rauen Charme die Herzen erobert. Und mit seinem gleichermaßen rockigen wie gefühlvollen Gesang. Der Wahl-Frankfurter, geboren am 19. Oktober 1975 im direkt an der Grenze zu den Niederlanden liegenden Heinsberg, startete bei der Hardrock-Band Sub7even, die auf den großen internationalen Durchbruch getrimmt war. Als der ausblieb, ging der Sänger Solopfade. 2008 debütierte er mit dem Album „11 Zeugen“. Ein Jahr zuvor hatte er drei Songs auf dem Internet-Portal My Space präsentiert – mit überragenden Klickzahlen. Seine fünfte Scheibe („Die fünfte Dimension“) kam 2017 auf den Markt und erreichte Platz drei der deutschen Album-Charts. Am 13. November tritt Daniel Wirtz mit seiner Band in der Würzburger Posthalle auf.
Frage: „Sing meinen Song“ ist Geschichte. Hat der Fernsehauftritt was verändert in Ihrer Karriere?
Daniel Wirtz: Gefühlt nichts. Aber das war natürlich ein Massenmedium, bei dem mich plötzlich eine Menge Leute auf dem Schirm hatten, egal, ob sie etwas mit mir anfangen können. Ich kriege jetzt an der Käsetheke den ein oder anderen Blick mehr. Aber ich muss nur die Basecap abnehmen und das Fell im Gesicht kürzer schneiden, schon habe ich wieder ein Stück Anonymität zurück. Mein Leben hat sich nicht groß geändert, außer dass ich einige Leute zusätzlich abgeholt habe, die auf diese Musik stehen. Da gab es zwar bei den alten Fans einige Stimmen, die neuen würden bei Konzerten die Stimmung kaputtmachen, aber ich habe keine neuen Stimmungstöter ausmachen können. Selbst wenn ich mir mal eine Person ausgesucht hatte und dachte, das muss doch eine aus der VOX-Geschichte sein, hat sie zwei Songs später bei einer Uralt-Nummer lauthals mitgesungen.
Die Fünfte Dimension – der Titel Ihrer aktuellen Platte klingt spaciger als es Ihr Naturell zu sein scheint.
Wirtz: Ich hab die Platte rauf und runter gehört und gerätselt, wie das Ding denn heißen könnte. Die Fünf steht für das fünfte Studioalbum, und ja, fünfte Dimension hört sich schon esoterisch an. In der fünften Dimension geht es viel um Energien, aber es gibt eben auch die dritte und vierte, wo es um Raum und Zeit geht. Da waren die Gedanken: Raum ist die Bühne, Zeit die Zeit, die wir live spielen – und so habe ich mir das dann zurechtgebogen. Eindimensional denken ist nicht gut, zweidimensional schon okay, je mehrdimensionaler desto besser. Je mehr man sich mit seinem Umfeld beschäftigt, umso besser kann das Umfeld werden.
In Deutschland sprießen die Schmusepopper nur so aus dem Boden. Sie setzen beharrlich auf bodenständigen Rock. Ist Deutschland noch empfänglich dafür? Oder fühlen Sie sich als Exot und womöglich auch noch wohl in der Rolle?
Wirtz: Was andere machen, ist deren Ding. Ich kann ja nur, was ich mache. Das ist das, womit ich mir selbst gefalle. Doch ich hoffe natürlich, dass wieder mehr Leute Gitarren und die Sparte Rock präsenter machen. Wenn ich so höre, was im Radio rauf und runter gespielt wird, könnten mehr Gitarren auftauchen. Als ich früher noch MTV geguckt habe, war das schwer vertreten. Alles hat seine Renaissance, da muss ich wohl nur noch etwas durchhalten.
Reichlich Rock gab's ja auf den großen Festivals. Sie waren bei Rock im Park und auf dem Wacken Open Air. Wo waren Sie mehr zu Hause? Am Ende doch im kleinen Club?
Wirtz: Das schönste Konzert ist das, bei dem die Menschen vor der Bühne auch zuhören. Die Aufmerksamkeit ist wichtiger als die Menge. Ein Konzert mit zehn Leuten kann das schönste des Jahres sein, aber auch eines mit 70 000. In Wacken zum Beispiel hatte ich Angst, dass ich dort zu soft bin. Hatte mir anfangs gedacht, ich kratze alle Songs, die ballern, zusammen, und das ist die Setlist. Aber ich habe mich dazu entschlossen, mich nicht zu verbiegen. Und dann musste ich um 14 Uhr bei einer Bullenhitze im Zelt spielen und befürchtete, dass da vielleicht 300 Leute stehen, wenn der Vorhang fällt. Dann ging er auf und da standen 10 000 Leute, die dann sogar noch voll abfeiern, obwohl wir eine der wenigen Bands waren, die eine Akkordfolge mit Melodie angeboten haben.
Eine Art Festival gab's ja auch in Chemnitz. Rock gegen Rechts, unter anderem mit den Toten Hosen. Wären Sie einer Einladung nach Chemnitz gefolgt?
Wirtz: Ich hab' da sogar angerufen. Wir haben am Vortag woanders gespielt, es wären 450 Kilometer Anreise gewesen, aber wir wären gerne gekommen. Doch das Line Up war schon zu voll. Wir wären aber sehr gerne dabei gewesen, um Flagge zu zeigen.
Im Nachfeld der Veranstaltung gab es hitzige Diskussionen um die in Chemnitz vertretenen Bands Feine Sahne Fischfilet und K.I.Z. und deren teils gewaltverherrlichende Texte. Wie politisch darf Rockmusik sein?
Wirtz: Das Thema Politik und Musik ist grundsätzlich kompliziert. Da kann man lichterloh in der Luft verbrannt werden. Ich selbst habe die schon länger anhaltende Situation in Deutschland und der Welt auch auf meiner neuen Platte thematisiert, habe mich da aber der Vergangenheit dieses Landes bedient und dem, was dabei herausgekommen ist, als der Diktator dann an der Macht war. Ich wollte damit „nur“ vermitteln, wie leicht das wieder passieren kann. Man kann natürlich auch einen Song schreiben, wie es wäre, wenn hier alles brennt – und das dann für politische Provokation halten. Interpretationssache. Wenn ich einen Song schreibe, gehen die Leute halt davon aus, dass ich das, was ich sage, auch genau so ernst meine. Ich habe, wenn ich auf der Bühne stehe, auch eine Vorbildfunktion. Und da sollte man auf jedes Wort achten, damit überhaupt nicht erst ein Missverständnis aufkommen kann, gerade bei politischen Themen.
Thema Flüchtlinge. Sehr viele Künstler versuchen sich daran. Es besteht die Gefahr, es zu überstrapazieren. Oder kann es gar nicht genug Beiträge geben?
Wirtz: Klar gibt es Themen, die man tottreten kann, aber es gibt ein paar Themen, die können gar nicht totgetreten werden. Und dazu gehört, dass man hier nicht an der Seite von Nazis leben möchte. Ich selbst würde das Thema so angehen, dass ich mich auf den Stuhl des Flüchtlings setze, erzähle, wie es ist, wenn zu Hause alles brennt und ich hier alleine bin ohne meine Verwandten. Also ich verstehe das jetzt mal als Hausaufgabe. Mein Ziel wäre es, dass sich der ein oder andere beim Zuhören ertappt und denkt: „Hey scheiße, wenn ich hier nicht mehr in so einer komfortablen Lage wäre, würde ich mich auch freuen, wenn mir Jemand hilft und dieser Jemand nicht als Gutmensch beschimpft wird.“ Man muss sich vergegenwärtigen können, warum es überhaupt Flüchtlinge gibt. Sonst läuft es wie in der Schulmedizin: Dort bekommt man bei Kopfschmerzen eine Kopfschmerztablette, aber es wird nicht gefragt, woher die Kopfschmerzen kommen. Wir müssen uns als Europa da an die eigene Nase fassen, bei vielen Problemen in klassischen Flüchtlingsnationen sind wir zumindest teilweise der Ursprung.
Genau darüber wird in sozialen Medien fleißig diskutiert. Und diese Diskussionen laufen immer mehr au dem Ruder.
Wirtz: Im Netz sind die Leute glücklich, wenn sich eine arme Sau findet, auf die man draufschlagen kann. Dort wird eine individuelle Meinung auf die gleiche Stufe gestellt wie seriöser Journalismus. Da stehen dann zwei Meinungen gegenüber, der eine hat es erlebt, der andere sagt einfach etwas – beides hat zunächst das gleiche Gewicht.
Ihr Sohn ist Fünf. Er wird in keiner sehr harmonischen Welt aufwachsen.
Wirtz: Puh. Gott sei Dank ist der Mensch ein unglaublich anpassungsfähiges Individuum. Es gibt ja auch Kinder, die zwischen Bombenhagel groß werden. Man will dann natürlich nicht wissen, welchen psychologischen Knacks sie haben. Aber es stimmt schon, es wird unentspannter. Wir sägen an einem dicken Ast, auf dem wir alle sitzen. Auch wenn wir offenbar so gepolt sind, dass wir auch überleben, wenn wir runterfallen: Die nächsten 70 Jahre werden wohl nicht so laufen wie die letzten 70.
Für ein Umdenken ist es nie zu spät. Glauben Sie an das Gute im Menschen?
Wirtz: Wenn wir diesen Glauben verlieren, bleibt nur noch Zynismus, Zyniker jedoch haben per se schon aufgegeben, das Aufgeben entspricht nun aber so gar nicht meinem Naturell. Aber ich habe auch schon das Gefühl, dass derzeit gerade jüngere Menschen das System, das wir fahren, schon komplett hinterfragen. Klar, auch, weil sie wissen, dass es um ihre Existenz geht. Aber es entwickelt sich auch ein richtig neues Bewusstsein. Das muss man bestärken: Genau so geht es.
Die ganz Jungen dürfen ja noch nicht wählen. Bayern hat gewählt . . .
Wirtz: Ja und es war erfreulich, dass die AfD doch deutlich hinter den Prognosen zurückgeblieben ist. Das eigentliche Signal dieser Wahl ist aber meines Erachtens, dass die Wähler den sogenannten Volksparteien nicht mehr zutrauen, Antworten auf die Fragen zu geben, die sich angesichts der rasanten Veränderungen unserer Zeit eindringlich stellen. Wir leben in einer Zeit, in der die „Industrielle Revolution“ geradezu anmutig wirkt. Das digitale Zeitalter verändert die Welt in einem aberwitzigen Tempo. Da reicht der Hinweis auf Tradition und Kontinuität nicht aus, weil man damit nicht mehr weit kommt, und weil man den Fragen damit nicht mehr gerecht wird. Das bayrische „Mia san mia“ erscheint wie ein Relikt aus einer Zeit, die es schon lange nicht mehr gibt.