Ende Juni 1976 brachte der deutsche Terrorist Wilfried Böse mit seiner Komplizin Brigitte Kuhlmann und zwei Kämpfern der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ in Athen einen Airbus mit 250 Passagieren in ihre Gewalt. Die Terroristen forderten von Israel und anderen Ländern die Freilassung von 53 Häftlingen. Der Film „7 Tage in Entebbe“ von Regisseur José Padilha zeichnet das Geschehen minutiös nach. Daniel Brühl (39) spielt Wilfried Böse.
Frage: Herr Brühl, Sie treten in die Fußstapfen von Schauspielern wie Helmut Berger, Horst Buchholz und Klaus Kinski, die bereits in die Rolle des Wilfried Böse geschlüpft sind. Haben Sie sich die Filme der Kollegen angeschaut?
Daniel Brühl: Nicht im Zuge meiner Vorbereitungen auf die Rolle. Es hätte mich irritiert zu sehen, was andere daraus gemacht haben. Ich habe allerdings vor Jahren beim Zappen durchs Fernsehprogramm Horst Buchholz in „ . . . die keine Gnade kennen“ gesehen, einer der Filmversionen dieser Geschichte. Ich empfand diesen Film als relativ trashig.
Brauchte es auch deshalb eine differenziertere Aufarbeitung des Stoffes?
Brühl: Das war genau die Frage. Mich hat daran interessiert, dass „7 Tage in Entebbe“ ein Film der Perspektivwechsel ist. Alle beteiligten Seiten werden beleuchtet. Die alte Version, die ich gesehen hatte, malte ein Schwarz-Weiß-Bild monströser Terroristen. Horst Buchholz verkörpert eine wahre Mördermaschine, der heroische Soldaten gegenüberstehen. José Padilhas Ansatz war deutlich vielschichtiger.
Der Film zeigt Wilfried Böse als sehr ambivalente Figur. Was für ein Bild haben Sie sich persönlich von diesem Menschen geschaffen?
Brühl: Ich fand es sehr interessant, mich in jemanden hineinzudenken, der zuerst einmal hehre Ideale hatte. Seine Motivation kann ich komplett nachvollziehen. Dann hat sich Böse dazu entschlossen, einen radikalen Weg zu beschreiten, wie es in den 1970ern viele getan haben. Mich erstaunt das nach wie vor. Mir ist bewusst, was für eine Wut in diesem Land und auch andernorts geherrscht hat. Es war eine Revolution im Gange. Gerade die Studenten haben politisch aufbegehrt und gegen die Generation der Väter opponiert. Aber zur Unterstützung extremer, terroristischer Aktionen bereit zu sein und auch zu akzeptieren, dafür vielleicht sein Leben zu lassen, finde ich für mich unvorstellbar. Dafür kann ich keinerlei Empathie empfinden. Für mich als Schauspieler war es aber sehr spannend, mich in einen solchen inneren Konflikt hineinzuversetzen. Im Verlauf des Films werden die extremen Zweifel deutlich, von denen diese Figur geschüttelt wird. Böses Komplizin Brigitte Kuhlmann ist da viel taffer. Das haben auch die Zeitzeugen bestätigt, mit denen ich gesprochen habe. Böse hingegen wurde von der Situation regelrecht aufgedröselt und immer brüchiger. Er hat die ganze Motivation, mit der er in diese Situation hineingegangen ist, zum Schluss hin komplett hinterfragt. Diesen Bogen zu spielen, fand ich sehr herausfordernd.
Ist es Ihnen, wie vielen anderen, von jeher schwergefallen, sich im Konflikt der Palästinenser und der Israelis zu positionieren? Hat die Arbeit an diesem Film Ihre Ansicht noch einmal verändert?
Brühl: Ja. Hier in Deutschland befindet man sich ja noch einmal in einer gesonderten Position, was diesen Konflikt angeht. Er hat viel mit dem zu tun, was Deutschland angerichtet hat. Es ist schwer, da eine Position einzunehmen. Ich finde es immer sehr interessant, in der Geschichte zurückzublicken, um den Status Quo zu begreifen, in dem man sich gerade befindet. Für mich hat die Recherche wieder vieles in Erinnerung gerufen. Natürlich klingelte es bei mir, als ich „Entebbe“ hörte. Aber ich musste mich noch einmal komplett hineindenken. Wer waren die Konfliktparteien? Wie wurde in Israel verhandelt, um mit dieser Geiselnahme umzugehen? Mit welcher starken, menschlichen Motivation sind die palästinensischen Terroristen an diese Sache herangegangen? Und gerade die deutsche Seite hat mir noch einmal die Komplexität vor Augen geführt, die dieser Konflikt in sich birgt. Umso trauriger ist es, zu sehen, dass es mal Wege der Besserung gab. Auch in den 90ern, in denen ich aufgewachsen bin. Dieselben Politiker, die im Film vorkommen, also Shimon Peres und Jitzchak Rabin, waren mit Jassir Arafat dem Punkt einer friedlichen Lösung schon sehr viel näher. Heutzutage ist man wieder voneinander abgerückt und es ist keine Lösung in Sicht. Es bleibt hochkomplex. Auch unser Film kann keine Antworten liefern, so schön das auch wäre. Ich fand es aber für mich persönlich interessant, mich als Referenz noch einmal mit diesem einschneidenden Kapitel der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen.
Gerade die Vorgänge der letzten Zeit haben deutlich gemacht, dass der Antisemitismus in Deutschland noch lange nicht der Vergangenheit angehört. Das ist natürlich eine andere Form des Antisemitismus, so wie wir uns heutzutage auch mit einer anderen Form des Terrorismus auseinandersetzen müssen.
Das heißt?
Brühl: Vieles hat sich verändert und verlagert. Was den heutigen Terrorismus anbelangt, werden wir dieses Problem nicht so schnell lösen können. Es entspringt einer jahrhundertelangen, falschen Politik, die wir uns selbst zuzuschreiben haben. Das muss man eindeutig so sehen. Dass es Antisemitismus, egal wo er herrührt, hier nicht mehr geben darf, steht natürlich außer Frage. Er ist unerträglich und inakzeptabel. Die Vorurteile gegenüber dem Judentum müssen schon im Kindes- und Jugendalter ausgeräumt werden. Nur so kann man diese ewige Spirale stoppen. Ich finde die Toleranz toll, die in unserem Land herrscht. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern erfüllt Deutschland immer noch eine Vorbildfunktion. Dass die europäische Idee und die europäischen Werte in Deutschland hochgehalten werden, stimmt mich sehr glücklich. Innerhalb dieses Toleranzraumes ist kein Platz für Antisemitismus oder für ähnlich abscheuliche Dinge.
Sie haben gesagt, dass Sie den revolutionären Gedanken durchaus nachvollziehen können. Wollten Sie in Ihrer Jugend die Welt aus den Angeln heben?
Brühl: Mir ging es so, ja. Wie wahrscheinlich jedem anderen Jugendlichen auch. Ich habe für meine Jugendband, die ich hatte, schwer sozialkritische Texte geschrieben. Ich habe kürzlich mal wieder ein Band gefunden und mir angehört. Die Musik fand ich ganz gut. Die Texte, die ich da geschrieben habe, waren aber extrem schwierig, sehr naiv. Trotzdem möchte ich diese Zeit nicht missen. Es ist ja gerade das Tolle an der Jugend, dass sie mit Vehemenz die Dinge verändern will. Ich finde es schon auch wichtig, das nicht so komplett aufzugeben. Aber mit dem Alter beruhigt man sich ein bisschen.