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Dan Brown in Dantes Hölle
Inferno: Übersetzer Rainer Schumacher über die ungewöhnliche Arbeit am neuen Thriller des US-Autors
Auf Englisch: Titelbild (Ausschnitt) der Originalausgabe mit Florenz (im Hintergrund) und einem Porträt von Dante. Unten im Text Übersetzer Rainer Schumacher. Fotos: O. Favre, Doubleday
| Auf Englisch: Titelbild (Ausschnitt) der Originalausgabe mit Florenz (im Hintergrund) und einem Porträt von Dante. Unten im Text Übersetzer Rainer Schumacher. Fotos: O. Favre, Doubleday
Das Gespräch führte Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:52 Uhr

Dan Browns neuester Thriller um den Symbolforscher Robert Langdon schreit geradezu nach werbetauglichen Superlativen. So wurde „Inferno“ – betitelt nach dem Inferno aus Dantes „Göttlicher Komödie“ – als das meisterwartete Buch der Welt angepriesen, das jeden Rekord brechen werde. Worum geht’s? Diesmal steigt Brown in die Hölle: Langdon muss gemeinsam mit einer Ärztin ein Geheimnis entschlüsseln. Gelingt dies nicht, scheinen Milliarden Menschen in höchster Gefahr. Die entscheidenden Hinweise zur Lösung des Rätsel findet Langdon in Dantes Hölleninferno. Ein Gespräch mit Browns deutschem Übersetzer Rainer Schumacher, der als Spezialist für Spannungsbestseller u. a. auch Ken Follett ins Deutsche übertragen hat.

frage: „Inferno“ ist der zweite Dan-Brown-Thriller, der von Ihnen übersetzt wurde. Hat sich bei Ihnen bereits Routine eingestellt?

Rainer Schumacher: Nun, das letzte Mal war hektischer, weil wir insgesamt nur drei Wochen Zeit hatten, die deutsche Fassung überhaupt auf den Markt zu bringen. Es war eine extreme Situation, weshalb wir damals ein sehr großes Team hatten. Und in diesem Fall ist es das erste Mal, dass ein Buch von Dan Brown weltweit zum gleichen Termin erscheint. Deshalb waren die Sicherheitsvorkehrungen wesentlich strenger.

Wie muss man sich das vorstellen?

Schumacher: Wir Deutschen wurden nach Mailand gebracht. Andere übrigens nach London, dort gab es auch noch eine Übersetzerwerkstatt. Im Verlagsgebäude von Mondadori haben wir recht abgeschieden in einem Raum gearbeitet – mit entsprechenden Sicherheitsauflagen. In diesen Raum durften nur ausgewählte Personen hinein. Vorher musste man seine Kommunikationsgeräte abgeben. Jeder Gang nach draußen wurde protokolliert. Unsere Computer wurden gesichert und sämtliche nicht genutzten Anschlüsse versiegelt. Alles Papier wurde über Nacht in Tresoren aufbewahrt. Ins Internet durften wir nur über speziell dafür präparierte Rechner. Wir hatten sogar eine eigene Serveranlage, die von allen anderen abgeschnitten war.

Durften Sie sich mit den anderen Übersetzern aus Frankreich, Spanien, Brasilien und Italien über das Buch unterhalten?

Schumacher: Ja. Es war spannend, mal zu gucken, wie die Kollegen aus den anderen Ländern denken und arbeiten. Ich war erstaunt, wie ähnlich wir Übersetzer uns sind. Ein Kernstück des Romans ist Dantes „Göttliche Komödie“. Vor allem die italienischen Kollegen waren da Gold wert mit ihrem Wissen über den Text. Italiener lernen die „Göttliche Komödie“ schon früh in der Schule kennen, wie wir Deutschen Goethes „Faust“. Normalerweise kommt man mit Kollegen überhaupt nicht in Kontakt. Als Übersetzer ist man eher Einzelkämpfer.

Was war die größte Schwierigkeit bei dieser Übersetzungsarbeit?

Schumacher: Dan Brown verarbeitet Unmengen von Wissen in seinen Büchern. Das will alles bis ins kleinste Detail recherchiert sein. Wenn man nicht gerade selber Architekt oder Kunsthistoriker ist, hat man diese Begriffe ja gar nicht parat. Man muss beim Übersetzen auch sehr präzise sein, damit die ganzen Rätsel wirklich funktionieren. Wenn man die Bedeutung eines Wortes nicht zu 100 Prozent erfasst, kann es einem passieren, dass man 200 Seiten später noch einmal von vorn anfangen muss. Diese Herausforderung ist immer bei Dan Brown gegeben.

Haben Sie erst das Buch im Original gelesen und sich dann von Satz zu Satz durchgehangelt?

Schumacher: Nein. Axel Merz – der andere Übersetzer – und ich haben uns das Buch aufgeteilt. Aber der Lektor, Ruggero Leo, hat tatsächlich erst einmal das komplette Buch gelesen, um uns sagen zu können, welche Punkte von besonderer Wichtigkeit sind. Die haben wir dann zuerst übersetzt.

Wie haben Sie das Stilbildende konstruiert?

Schumacher: Nun, den Stil gibt ja Dan Brown vor. Zuerst einmal passt man sich als Übersetzer dem Autor an. Angelsachsen, Amerikaner und Australier benutzen sehr viele Partizipien. Wenn wir im Deutschen einen Einschub in den Einschub einbauen, ist das aber schlechter Stil. Ergo müssen wir das anders lösen. Teilweise müssen wir die Sätze zerschlagen und völlig neu aufbauen. Aus einem Satz im englischen Original können in der deutschen Fassung auf einmal drei oder vier werden. Bei solchen Sachen sind wir Übersetzer stilbildend. Die Art und Weise, wie ein Autor grundsätzlich erzählt, wird bei einer Übersetzung allerdings nicht verändert.

Was macht Dan Browns Stil aus, und wie hat dieser sich im Lauf der Jahre verändert?

Schumacher: Was seinen Stil ausmacht, ist eine sehr hohe handwerkliche Präzision. Seine Geschichten sind perfekt konstruiert. Egal, ob es Rätsellösungen oder Wendungen sind, es ist immer nachvollziehbar. Brown braucht keine plötzlichen, unmotivierten Ereignisse. Das ist seine größte Stärke. Und seit „Illuminati“, was man noch zu seinen Frühwerken zählen könnte, hat sich sein grundlegender Stil nicht wesentlich verändert.

Welche Beziehung haben Sie zu der Hauptfigur, Robert Langdon, entwickelt?

Schumacher: Die Figur Robert Langdon hat mich immer durch ein bestimmtes Thema geführt, aber als Charakter stand sie eher im Hintergrund. Langdon wird von Dan Brown nie präzise beschrieben. Jeder weiß, dass er eine Micky-Maus-Uhr oder seine Tweed-Jacke hat. Aber dass der Mann in meinem Kopf ein Bild bekommen hat, ist die Schuld von Tom Hanks. Er passt wirklich hervorragend in diese Rolle rein. Für mich ist es sehr hilfreich, wenn ich Dinge visualisieren kann. Dann werden abstrakte Beschreibungen auf einmal konkret.

Wenn man ein Buch übersetzt hat, das zu einem Bestseller wird, kommen dann die hoch dotierten Aufträge von ganz allein?

Schumacher: Schaden tut es jedenfalls nicht. Inwiefern es eine Rolle spielt, weiß ich aber nicht. Die Insider in der Branche haben noch ein Auge auf andere Dinge als der Konsument. Eigentlich arbeiten wir Übersetzer ja eher im Verborgenen. Wir stehen im Vorsatzblatt, und das registriert der normale Leser eigentlich nicht.

Was würden Sie Dan Brown fragen, wenn Sie ihn mal persönlich treffen würden?

Schumacher: Ich würde ihn gerne mal fragen, wie man auf die Idee kommt, sich von der Decke zu hängen. Das ist ja so ein Tick von ihm. Jeder, der in einem künstlerischen Beruf tätig ist, hat irgendwo einen Tick. Aber sich von der Decke zu hängen ist schon etwas skurril.

Dan Brown: Inferno (Lübbe, 688 S., 26 Euro)

 
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