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Cranach und das Lutherbild-Problem
Lucas Cranach: Porträts aus der Werkstatt des Malers prägen bis heute die Vorstellungen von Luther. Doch: Entsprechen die seriell als Werbung für die Reformation produzierten Bilder der Wirklichkeit?
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 05.06.2015 17:28 Uhr

Wir wissen letztlich nicht, wie Luther ausgesehen hat“, sagt Dr. Daniel Hess. Wie das? Es gibt doch Bilder aus allen möglichen Lebensphasen des Reformators. Bilder, die seit dem 16. Jahrhundert zigfach reproduziert, in Büchern gedruckt, in Ausstellungen gezeigt wurden. Und Hess, Experte für Kunst vor 1800, steht im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg auch noch direkt vor einem Luther-Porträt. Es stammt von Lucas Cranach dem Älteren. Zeitgenössische Porträts von Martin Luther kommen meist aus der Werkstatt des um 1472 in Kronach geborenen Malers. Das Problem: Sie beeinflussen das Luther-Bild bis heute, doch ist keinesfalls sicher, dass Cranach Luther realistisch gemalt hat. Denn die Bilder dienten Werbezwecken – Public Relation, PR, wie man heute sagen würde. Das jedenfalls ist eine These der eigenwilligen Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum (siehe Kasten unten).

Mit der Wirklichkeit hat PR oft wenig zu tun. Wichtig sind Wiedererkennungswert und leichte Reproduzierbarkeit. Werbung will ja eine Idee in den Köpfen verankern. In diesem Fall eine religiöse Lehre. Cranach, zwischen 1505 und 1550 in Wittenberg Hofmaler von Kurfürst Friedrich dem Weisen, freundete sich mit Luther an, der ab 1511 in der Stadt lebte. Cranach war Trauzeuge bei dessen Heirat mit Katharina von Bora. Er sympathisierte mit Luthers Ideen.

Das war nur ein Grund, warum er half, die Reformation zu verbreiten. Lucas Cranach der Ältere war Geschäftsmann. Luther versprach gute Geschäfte. Der ehemalige Augustinermönch war schon zu Lebzeiten berühmt, bei manchen auch berüchtigt. Jeder wollte wissen, wie der Mann aussah, der der mächtigen Kirche die Stirn bot. Cranach fertigte Luther-Porträts in Serie: Luther als frommer Mönch, als streitbarer Junker Jörg, als väterlicher Reformator. „Welcher Typ wurde zu welcher Zeit auf den Markt geworfen?“ ist eine Frage, die Cranach-Forscher wie Daniel Hess zu beantworten suchen. Denn Bilder und Drucke wurden wohl mit Kalkül produziert – womöglich sogar mit einer Schablone, wie Hess mutmaßt. Bekannt ist in der Forschung, dass die Cranach-Werkstatt in anderen Fällen nach Schablonen arbeitete – etwa bei Porträts von Herzog Georg dem Bärtigen.

Lucas Cranach hat mit den Luther-Porträts der Reformation ein Gesicht gegeben. Ohne eine große Werkstatt wäre das nicht möglich gewesen. Dass der Meister in späteren Jahren wohl das Wenigste selbst erledigte, war kein Problem. Daniel Hess: „Es war in jedem Fall ein Markenprodukt.“ Markenprodukte aus der Manufaktur Cranach haben auch ein Markenzeichen: Sie sind mit einem markanten Wappen signiert, das eine geflügelte Schlange mit Krone zeigt. „Sein Manufakturbetrieb war einzigartig in Europa“, sagt Daniel Hess.

Cranach beschäftigte in Wittenberg Maler, Schüler und Spezialisten, die seine Farben anrührten. Deren Rezeptur blieb geheim. Die Konkurrenz schlief schon damals nicht. Und wer die leuchtenderen Farben hatte, zog womöglich die besseren Aufträge an Land. Cranachs florierende Werkstatt schuf zahllose Grafiken und an die 5000 Gemälde, von denen 1000 noch erhalten sind. Derartige Massenproduktion funktionierte nur bei größtmöglicher Effizienz: Manches Motiv, etwa eine Kreuzigungsgruppe, wurde in andere Bilder übertragen, nur leicht modifiziert.

Für die „Cranach-Werke“ waren nicht nur Luther und andere Reformatoren eine Geldquelle. Sie arbeiteten auch für die Gegenseite, die katholische Kirche. Da war Cranach ganz pragmatisch. Der wohlhabende Malerfürst betrieb nebenbei zudem eine Apotheke und einen Branntweinausschank. Dieser „Mischkonzern“ verletzte an sich die Zunftregeln. Den Mann, der sich selbst mit trutzigem Gesichtsausdruck und langem, in zwei Spitzen auslaufendem Bart darstellte, scherte das aber wenig. Zudem wurden die Zunftgesetze in der Aufbruchstimmung der Renaissance nicht mehr so eng ausgelegt wie im Mittelalter.

Lucas Cranach der Ältere nutzte Bilder und die damals revolutionäre Technik des Drucks im nahezu modernen Sinn des Massenmediums – sich der Wirkung voll bewusst. Er arbeitete mit einem Marketingkonzept, aber: Er war nicht nur Geschäftsmann. Er hat vor allem die Kunst revolutioniert. So bezog er etwa die Landschaft als Stimmungsträgerin in den Bildinhalt ein. Und häufig suchen seine Figuren Blickkontakt mit dem Betrachter und stellen so eine Beziehung zwischen Kunst und Wirklichkeit her, die bis dahin undenkbar war.

Der Alte starb 1553. An sich hätte sein ältester Sohn Hans die Werkstatt übernehmen sollen. Doch der war 1537 mit nur 24 Jahren gestorben. Das Werk des Vaters führte Lucas der Jüngere (1515 bis 1586) erfolgreich fort. Eigentlich wird in diesem Jahr er gefeiert – er wurde vor 500 Jahren geboren. Doch aus dem Schatten des Vaters kam er nie heraus.

Cranach im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg

„Zwischen Venus und Luther“ heißt eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Untertitel: „Cranachs Medien der Verführung“. Gezeigt wird einerseits, wie Cranach und Werkstatt die damals neuen Medien nutzten, auch um die Reformation zu unterstützen (siehe oben). Andererseits wird gezeigt, wie der Maler die Kunst revolutionierte.

Die Schau integriert Bilder, die in der Dauerausstellung zu sehen sind, darunter „Das ungleiche Paar“, entstanden um 1530 (links) und „Venus mit Amor als Honigdieb“ (um 1537). Auch Luther-Porträts sind zu sehen. Dass man die Bilder für die Cranach-Ausstellung nicht umgehängt hat, habe unter anderem den Vorteil, dass sie nun im Kontext anderer Werke der Renaissance zu sehen seien, begründet man im Museum die unübliche Art der Sonderausstellung.

Die Cranach-Werke sind innerhalb der Dauerausstellung speziell markiert: Ein rundes Schild mit Amorskopf weist den Weg. Eigens für die Sonderschau wurde der Audioführer mit neuen Texten besprochen. Ein Display auf dem Gerät bietet kleine Videos mit Zusatzinformationen zu den Werken.

Nur vorübergehend gezeigt werden gut 40 seltene druckgrafische Blätter und Zeichnungen aus dem Cranach-Bestand des Museums. Darunter sind provokante Flugschriften sowie Spott- und Satirebilder, aber auch klassische Motive wie die „Ruhe auf der Flucht“ der heiligen Familie oder eine Darstellung des heiligen Christophorus. Auch dabei ging Lucas Cranach der Ältere aber revolutionär vor: Er inszenierte die Szenen neu, erhob bisher nur nebensächlich und dekorativ aufgefasste Motive zum eigenständigen Bildgegenstand. Zu sehen sind die Werke in dieser Zusammenstellung bis 22. Mai 2016. Dann endet die Schau mit den Grafiken. Die Gemälde bleiben natürlich in der Dauerausstellung (Dienstag bis Sonntag 10–18, Mittwoch bis 21 Uhr).

 
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