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KLINGENBERG
Claus Wilcke: Zielsicher wie Percy Stuart
Vor über 40 Jahren spielte er den Draufgänger in einer ZDF-Serie. Jetzt steht er in „My fair Lady“ auf der Bühne der Clingenburg. Der Künstler hat seine eigenen Ansichten übers Fernsehen, das Theater und die Welt.
Action: Claus Wilcke 1970 als Percy Stuart. Stunts erledigte der Schauspieler seinerzeit selbst. Heute wird zu viel digital getrickst, meint er.
Foto: Cinetext, Appeal, Hans Heer | Action: Claus Wilcke 1970 als Percy Stuart. Stunts erledigte der Schauspieler seinerzeit selbst. Heute wird zu viel digital getrickst, meint er.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 02.04.2019 09:43 Uhr

Percy Stuart? Klar redet er da drüber. Auch wenn es über 40 Jahre her ist, dass Claus Wilcke den Abenteurer in der ZDF-Serie spielte. Auch wenn er seitdem jede Menge anderer Dinge gemacht hat, an Theatern und auf Tourneen, von Schiller bis Hitchcock, von „Anatevka“ bis zum „Eingebildeten Kranken“. Auch fürs Fernsehen hat er gearbeitet, hat Kommentare für Dokus gesprochen, war in literarischen Sendungen ebenso dabei wie in Seifenopern. 280 Folgen „Jede Menge Leben“ hat er gespielt, und auch in „Verbotene Liebe“. Wie bei „Percy Stuart“ sei das heute nicht mehr. Damals wurde vor allem in Spanien gedreht. Vier Jahre lang habe er – die Vorabendserie lief von 1969 bis 1972 – im Hotel in Barcelona gewohnt. „Wir hatten Zeit, es waren angenehme Dreharbeiten“ erinnert sich der 74-Jährige. „Heute wird scharf kalkuliert. Alles muss schnell gehen. Egal ob Klassiker, ,Tatort‘ oder Unterhaltung: In 20 Tagen muss alles abgedreht sein.“ Nicht gut für die Qualität.

Zielsicher wie Percy Stuart in seinen Abenteuern, steuert Wilcke von der alten Serie weg auf Themen zu, die ihm am Herzen liegen. „Casting!“ Wilcke presst das Wort heraus, als sei es ein Synonym für den Untergang der abendländischen Kultur. Besetzt wird nach Typ. Professionelle Ausbildung? Unwichtig. Sprachtraining? Vergiss es. „Goldige Menschen mit wunderbaren Charakteren“ habe er bei diversen TV-Dreharbeiten kennengelernt. „Aber vom Theater haben die keine Ahnung. Die Stimmen: So was von schwach! Keine Substanz – nichts!“

Wilcke, dem man das Stimmtraining jederzeit anhört, hat andere Vorstellungen: „Ein Schauspieler muss auf seinen Stimmbändern spielen können wie auf einer Stradivari.“ „Diese Leute“ – Wilcke meint unausgebildetes Personal – „nehmen den wirklich ausgebildeten und professionellen Schauspielern die Arbeitsplätze weg. Das sollten sich mal einige Verantwortliche durch den Kopf gehen lassen.“ Guten Nachwuchs gebe es ja, „Leute, die am Theater angefangen haben und dort richtig erzogen worden sind“. Viele von ihnen fänden dennoch keinen Job. Das von Castingfirmen und ihren „Machenschaften“ (Wilcke) dominierte Fernsehen trage daran zumindest eine Teilschuld.

Dann wird Claus Wilcke grundsätzlich. Unmöglich findet er es, wie die deutsche Politik mit Kultur umgehe. „Ich bin ganz böse“, sagt er. Nicht ein einziges Mal habe er in den Wahlkämpfen aller Parteien die Worte Kultur und Theater gehört. Immer wieder müssten Häuser gegen die Schließung kämpfen, weil Geld fehlt. Das dürfe im Land der Dichter und Denker doch nicht sein: „Das kleine Österreich gibt vergleichsweise dreimal so viel Geld für Kunst und Kultur aus.“ Claus Wilcke beugt sich nach vorne. Der Blick der dunklen Augen wird ebenso eindringlich wie die Stimme (er kann Worten Gewicht verleihen, ohne laut zu werden): „Theater ist die Mutter aller Kunst.“

Der Mann, der Percy Stuart war, erweist sich an diesem Sommernachmittag, hoch über dem Maintal auf der Terrasse der Clingenburg, als Theatermensch. Durch und durch: „Ich bin eine Rampensau.“ Um am Theater anzufangen, hatte der Sohn aus armem Hause die Lehre im Wolle-Im-und-Export geschmissen. An Ruhestand will er auch kurz vor seinem 75. Geburtstag (am 12. August) nicht denken: „Ich könnt' gar nicht ohne Theater.“

Claus Wilcke zündet sich eine Zigarette an. „Ein kleines Laster“, beruhigt er sich. Er rauche nur noch ganz selten. Sein Leben lang hat er Sport getrieben. In England hat er sich zum Stuntman ausbilden lassen, „wohl mit ein Grund, dass ich die Rolle als Percy Stuart gekriegt hab“. Autoüberschläge und andere gefährliche Szenen übernahm er selbst. Percy Stuart, der Abenteuer in aller Welt bestand, um in den exklusiven Excentric-Club aufgenommen zu werden, ist der erste Action-Held der deutschen Fernsehgeschichte. Alles echt, sagt Wilcke: „Wir hatten noch kein digitales Fernsehen. Da konnte nicht getrickst werden wie heute.“ Die Serie war ein Hit. Fünf Säcke voll Fanpost habe man ihm jede Woche ins Haus geschleppt.

Der Wind fährt ihm in die Haare. Die einst pechschwarze Percy-Stuart-Tolle ist dünner geworden und weiß. Die damals angesagten langen Koteletten sind einem kurzen weißen Bart gewichen. „Den trage ich auch privat“, sagt Wilcke. „Und er passt zu der Rolle.“ Über ihm ragt die Ruine der Clingenburg empor, auf deren Freilichtbühne er den Vater Doolittle in „My fair Lady“ spielt.

Auf der Verliererstraße

„Wir Schauspieler haben den schönsten Beruf, den's überhaupt gibt. Wir unterhalten Menschen, nehmen ihnen für drei Stunden die Probleme.“ Theater habe auch einen pädagogischen Auftrag durch „unsere hervorragenden Schriftsteller“. Vor Jahren habe er den Mephisto im „Faust“ gespielt. „Es gibt nichts Schöneres zu lesen, zu sehen und zu hören“ schwärmt er von Goethes „noch so modernem“ Drama. Doch der Regisseur wollte es in einer modernen Sprache aufführen. Wilcke drohte zu gehen, der Regisseur gab nach, und das Jahrtausendwerk wurde vor einem „Verbrechen Herrn Goethe gegenüber“ bewahrt. Wenn's um die Kunst geht, ist er wohl kein einfacher Mensch . . .

Doch nicht nur in der Kultur sieht der Schauspieler, der „soziales Engagement von den Eltern gelernt hat“, Oberflächlichkeit auf dem Vormarsch. Seit 25 Jahren besuche er alte Menschen, die in Heime „abgeschoben“ wurden. Er lese für sie, rede mit ihnen. „Die weinen oft, so allein sind sie“, erzählt er und: „Wissen Sie, wie oft Mama oder Papa im Heim durchschnittlich besucht werden? Einmal pro Jahr!“ Die Gesellschaft sei auf der Verliererstraße, „wenn wir es nicht schaffen, uns offen in die Augen zu schauen und miteinander in aller Ehrfurcht und Bescheidenheit umzugehen.“

Clingenburg-Festspiele

Die größten Freilichtspiele in Unterfranken finden auf der Ruine der Clingenburg über Klingenberg am Main statt. Auf dem Programm stehen in diesem Jahr „My fair Lady“ (bis 20. Juli), „Pippi Langstrumpf“ (bis 3. August) und „Jedermann“ (24. Juli bis 3. August). Vorverkauf: Tel. (0 93 72) 30 40.

Claus Wilcke heute
| Claus Wilcke heute
Wilcke 1974 bei einem Benefizfußballspiel in Würzburg (links Zweiter Bürgermeister Hermann Zürrlein).
| Wilcke 1974 bei einem Benefizfußballspiel in Würzburg (links Zweiter Bürgermeister Hermann Zürrlein).
 
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