Spitzbübisch schaut Sabine Meyer drein, legt den Zeigefinger auf den Mund, fordert das Publikum auf, leise zu werden. Sie löst die Arretierung an einem nostalgischen Vogelkäfig mit einer mechanischen Nachtigall. Die beginnt anmutig zu zwitschern, Drehorgelklänge kommen hinzu. Wo sind wir denn? Flanieren wir gerade im Pariser Sommer an den Ufern der Seine? Nein! Der Kissinger Sommer machte seinen Ausflug ins Staatsbad Brückenau an die Ufer der Sinn.
Im ausverkauften König-Ludwig-I.-Saal erlebte das Publikum eine gelöste, lockere und beschwingte Sabine Meyer. Der Ausnahmeklarinettistin gelang mit ihrem Trio di Clarone (Reiner Wehle und Wolfgang Meyer) sowie Michael Riessler und Pierre Charial ein ungewöhnliches, klangexperimentelles Konzert, betitelt „Paris mécanique. Zwischen Programmmusik und Jazzbar: Jean Cocteau und seine Folgen“.
Heimlicher Star des Abends war Pierre Charial, geboren 1943 – der Mann aus Paris an der Odin-Drehorgel mit 156 Pfeifen und drei Registern. Rote Backen bekam er vom Antreiben der Drehorgel mit der Handkurbel. Heraus kamen keine leiernden Melodien, sondern Tonwerke, Tonreigen, Toncluster und spannende Intervalle. Virtuos, wie die Meyer-Geschwister (Klarinette), Wehle (Klarinette, Bassklarinette) und Riessler (Es-, Bassklarinette und Sopranino) dazu spielten. Sie entpuppten sich als fulminante Artisten mit präziser Rhythmik und akrobatischen Fingerfertigkeiten, wie bei György Ligetis eigens für Charial arrangierter „Musica ricercata“, die eigentlich für ein Bläser-Quintett komponiert ist.
„Unser Programm lebt vom Schwung und Sound jener Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, die die Franzosen 'Les années folles' nannten, die verrückten Jahre“, erklärte Wehle, der das Konzert moderierte. Die meisten Stücke, wie Erik Saties „Jack in the Box“, wurden für das Quintett arrangiert. Etliche komponierte Riessler. Beeindruckend „Mots croisés“ (Kreuzworträtsel), als Riessler zum Noten-Schlangenbeschwörer wurde. Oder „Orange“, als er die Bassklarinette ohne Mundstück ans Mikro hielt und ein Trommel-Klangsolo hinlegte.
„Musik wie Champagner: sehr prickelnd, doch auch ein klein wenig herb“, versprach Wehle bei Francis Poulencs „Sonate für zwei Klarinetten“. Da spielten die beiden Meyer-Geschwister: Sabine die zweite Geige, Bruder Wolfgang famos die erste Stimme. Natürlich glänzte sie auch solistisch: in Milhauds „Vif – Leuchtend“, dem ersten Satz von „Scaramouche“ op. 165b gemeinsam mit Charial. Nicht nur da war der brillante Sabine Meyer-Sound zu hören, diesmal nicht klassisch, sondern jazzig.