Historische Klassikaufnahmen können, dank neuester digitaler Aufbereitungstechnik, alles sein: kurios bis grotesk, lehrreich, aber auch verblüffend mitreißend. Geiger lassen nichts über ihre Jascha-Heifetz-Alben kommen, Cellisten verehren unvermindert Jacqueline du Pré, und manchem Bachfan ist Glenn Gould Maßstab aller Dinge. Mit Sinfonik beziehungsweise Dirigenten ist das nicht anders. Toscanini (etwa mit legendär langsamem „Tannhäuser“), Furtwängler oder der junge Karajan bleiben (oder sind wieder) Idole.
In die Kategorie „lehrreich“ gehört die Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Franz Konwitschny (1901-1962, Vater des Opernregisseurs Peter Konwitschny) aus den Jahren 1959 bis 1961.
Sehr getragen, sehr sorgfältig ausformuliert, Beethoven zum Mitschreiben sozusagen. Allein für den Kopfsatz der „Eroica“ braucht Konwitschny fast fünf Minuten länger als etwa Norrington. Pauschal gesagt: Die schnellen Sätze klingen zwar erstaunlich transparent und authentisch, was die Klangfarben der Instrumente anbelangt. Dafür aber schwunglos bis schwerblütig und ein wenig pedantisch. Ergreifende Momente finden sich dagegen vor allem in den langsamen Moll-Sätzen, also den zweiten, etwa in den Sinfonien drei und und sieben.
Das Amadeus Quartet in seinen frühen Jahren - bedingungslos engagiert
In die Kategorie „erwartungsgemäß mitreißend“ gehört die Reihe der Aufnahmen, die das Amadeus Quartet einst für den Rias machte – deren sechster Teil befasst sich, nach Beethoven, Schubert, Mozart, Romantik und Moderne mit Haydn, dem Komponisten, den Primarius Norbert Brainin immer als den am schwersten zu spielenden bezeichnete.
14 zwischen 1950 und 1969 eingespielte Quartette aus drei Schaffensperioden plus die „Sieben letzten Worte“ sind in der vom Deutschlandradio Kultur bei audite herausgegebenen Box versammelt. Auf ihre Art sind sie alle mitreißend, wenn auch klanglich höchst uneinheitlich. Das zeigt sich besonders auf CD 4 mit op. 77/1 (eingespielt 1969) und op. 77/2 (1950), die so auf engstem Raum künstlerische und aufnahmetechnische Entwicklung gleichermaßen dokumentiert. Und während ausgerechnet das berühmte Kaiserthema (1951) reichlich topfig daherkommt, das Sonnenaufgangsquartett (1952) entschädigt mit jener gemeinsamen Verve, die mitunter auf Kosten von Intonation und Klangqualität gehen kann, immer aber von hypnotischer Ausstrahlung ist. Im Grunde kann man hier hören, wie Norbert Brainin (1923-2005) zu dem wurde, als den ihn die Nachwelt kennt: zum vielleicht charismatischsten Primarius des 20. Jahrhunderts. maw
Franz Konwitschny, Gewandhausorchester Leipzig: Beethoven-Sinfonien, 1959-1961, Berlin Classics Amadeus Quartet: The Rias Recordings, Vol. VI., Werke von Haydn, 1950-1969, audite
Nils Mönkemeyer zwischen Spätromantik und Moderne
Selbst das Booklet kommt nicht um das Schlagwort „Aschenputtelin-strument“ herum. Gemeint ist die Bratsche, unerlässlich als Klangfarbe in Quartett und Orchester, oft geschmäht als Soloinstrument. Zu Unrecht, wie nicht erst Nils Mönkemeyer längst bewiesen hat.
Mönkemeyers jüngste CD mit William Waltons Violakonzert, Max Bruchs „Kol Nidrei“ und Arvo Pärts „Fratres“ kommt denn auch ganz ohne den Aspekt „Ehrenrettung für die Bratsche“ aus. Herrlicher farben- und facettenreicher Ton, wunderbare Linien, die Bamberger Symphoniker unter Markus Poschner in Bestform – dieses Album ist eine echte Bereicherung.
Nils Mönkemeyer, Viola: Werke von Walton, Bruch, Pärt. Sony Classical