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FERNSEHEN
Captain Kirk als Anwalt: "Boston Legal"
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „Boston Legal“ oder Der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit.
Traumhaftes Paar: James Spader (links) als Alan Shore und William Shatner als Denny Crane in „Boston Legal“.
Foto: Cinetext | Traumhaftes Paar: James Spader (links) als Alan Shore und William Shatner als Denny Crane in „Boston Legal“.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.02.2015 12:02 Uhr

Die letzte Pointe der letzten Folge der letzten Staffel von „Boston Legal“ fasst zusammen, worum es geht: Das Recht ist alles andere als ein Mittel, das jedem Menschen zur Verfügung steht, auf dass ihm Gerechtigkeit widerfahre. Das Recht hat absolut nichts zu tun mit dieser Justitia-Figur mit den verbundenen Augen und der Waage. Das Recht ist ein Werkzeug, das der für sich einsetzen kann, der weiß, wie. Der über das Geld und die Findigkeit verfügt, die es braucht, um parteiische, senile oder einfach nur desinteressierte Richter und rührselige, herzlose oder bornierte Geschworene für sich zu gewinnen.

In der letzten Folge von „Boston Legal“ also heiraten die beiden zentralen Figuren Alan Shore und Denny Crane. Alan Shore, der Liberale, ein Genie von einem Anwalt und charismatischer Meisterdemagoge, der absolut skrupellos werden kann, wenn es um die richtige Sache geht, und Denny Crane, der Patriot, Ex-Staranwalt an der Grenze zur Demenz, Mitgründer und -inhaber der Kanzlei Crane, Poole & Schmidt. Sie lieben einander, das schon, aber sie sind nicht schwul. Sie lieben einander auf eine ziemlich komplexe und immer wieder überraschende Art. Und sie heiraten, damit Alan als direkter Angehöriger für Denny sorgen kann, wenn der in die völlige Umnachtung abdriftet. Nach fünf Staffeln, deren jede Folge ein Lehrstück an ethischer Dialektik ist. Im Grunde wird jeder Fall zu einer Diskussion über die Grundfragen menschlichen Zusammenlebens, ob es nun um Aids, Guantánamo, Sex oder einfach nur die Zugehörigkeit zu einer Studentinnenverbindung geht. Ironischerweise müssen Alan und Denny sich das Recht zu heiraten gegen die Klage einer schwul-lesbischen Organisation vor Gericht erkämpfen.

„Boston Legal“ – witzigerweise produziert vom ultrakonservativen US-Sender Fox – lief von 2004 bis 2008, also in der zweiten Hälfte der George-W.-Bush-Ära, und verstand sich ausdrücklich als Sprachrohr des kritischen, des aufgeklärten, des intellektuellen Amerika. Es vergeht keine Folge, in der der Präsident nicht einen Seitenhieb abbekäme – meistens übrigens (und nicht immer unabsichtlich) von Denny, der ein glühender Republikaner und großer Verächter von hinderlichen Sentimentalitäten wie den Menschenrechten ist. Rechtsverletzungen im paranoiden Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigt er ganz souverän: „Menschenrechte sind uns egal. Das ist das alte Amerika. Jetzt wollen wir einfach nicht in die Luft gesprengt werden. Das ist das neue Amerika.“

Der große William Shatner spielt diesen Denny Crane mit selbstvergessener Grandezza als dauergeiles Riesenbaby, das in seinen klaren Momenten zu großer Weisheit findet. In den unklaren Momenten ist er herrlich impertinent, großartig vernagelt und anrührend liebesbedürftig. Seine ganz große Liebe ist seine Ex-Flamme Shirley Schmidt, Mitinhaberin der Kanzlei. Candice Bergen stattet sie mit so viel Größe und abgeklärter Sexiness aus, dass Dennys quasi reflexhafte Nachstellungen aussehen wie lässliche Dummejungenstreiche.

James Spader, das einstige Milchgesicht aus „Stargate“, spielt Alan Shore. Benjamin Völz synchronisiert ihn sehr ordentlich, kommt aber der Ausstrahlung von Spaders Stimme nicht einmal nahe. Diesem sehr weit hinten sitzenden, mit ganz wenig Kraft bewegten, leicht rauen Organ, das sofort alle in seinen Bann schlägt – vor allem Richterinnen und Geschworene. Wenn sich Alan Shore zum Plädoyer erhebt und mit dieser umständlichen, aber doch geübten Bewegung mit abgespreizten Ellbogen und spitzen Fingern sein Jackett zuknöpft, weiß man, jetzt kommt ein großer Moment. Jetzt wird er das Ruder herumreißen, jetzt wird er allen die Augen öffnen.

Alan liebt durchaus die Gerechtigkeit, vor allem aber hasst er es, zu verlieren. Und bringt sich damit immer wieder selbst in moralische Bedrängnis. Denn so vehement er für grundsätzliche Prinzipien eintreten kann, so brutal kann er sich die Schwächen seiner Gegner zunutze machen. Diese Unbehaustheit spiegelt sich in seinem Leben: Alan Shore wohnt im Hotel, und seine einzige wirklich stabile Beziehung ist die zu Denny Crane.

Am Ende jeder Folge treffen sich die beiden auf dem Balkon der Kanzlei, rauchen eine Zigarre, trinken ihren Whiskey und besprechen die Ereignisse der Folge. Es sind dies die Momente, in denen Sätze von großer Einfachheit und Wahrheit fallen. Alan: „Es ist furchterregend, eine Frau zu lieben.“ Denny: „Das ist das Größte, das Einzige, was zählt.“

„Boston Legal“ lebt auch von einer Fülle liebevoll gezeichneter Nebencharaktere. Dem krankhaft schüchternen Clarence etwa, dem gar nicht so tumben Ex-Marine Brad oder dem tapferen Jerry, der es schafft, trotz der Zwanghaftigkeiten, die ihm das Asperger-Syndrom auferlegt, vor Gericht zu plädieren und nicht selten zu gewinnen. Und es gibt diese vielen wunderbaren Anspielungen auf William Shatners „Star-Trek“-Vergangenheit. Einmal zieht Denny sogar seinen ultimativen Trumpf aus dem Ärmel, um eine Horde Journalisten zu beeindrucken, die ihm bei Gericht auflauert: „Ich war einmal Kapitän meines eigenen Raumschiffs.“

 
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