Herr Lehmann wird im gleichnamigen Roman beim Mauerfall 30 Jahre alt, ist auf leicht aggressive Weise immer auf seine Ruhe bedacht – Autor Sven Regener schilderte das 2001 in langen Innensicht-Sätzen zum Pläsier von gut einer Million Leser. Genau derselbe Tonfall verblüffte zwölf Jahre später, als Regener in „Magical Mystery“ die Story von Lehmanns bestem Freund Karl erzählte. Das Innenleben von beiden klang vollkommen identisch! Dabei waren sie gar nicht so enge Seelenverwandte…
Nun erscheint ein weiterer Band aus Frank Lehmanns Leben: Als 21-Jähriger freut er sich über seinen Putzjob in einer Kreuzberger Szenekneipe und verschafft sich Anerkennung unter Fremden. Punks und Aktionskünstler, Karl, ein schwäbischer Kneipier und dessen gefährliche Nichte tauchen wieder auf. Wer Regeners Roman „Der kleine Bruder“ mochte, der erfährt hier Neues von diesen schrägen Typen.
Nur haben sie diesmal ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn immer wieder wechselt die Erzählperspektive zwischen den Figuren. Der Autor spricht aus ihrem Inneren heraus – und alle denken so atemlos, nervös und abschweifend wie Herr Lehmann. Das funktioniert nicht und macht auch das Szenepanorama aus dem 80er-Jahre-Berlin fragwürdig: Die Zeitzeugen sind gefälscht. Dafür entspringt, neu bei Regener, manche Szene direkt aus dem Comic: Gute Unterhaltung mit grobem Strickfehler. jfi
Sven Regener: Wiener Straße. Verlag Galiani Berlin, 296 Seiten, 22 Euro