Wer als mündiger Leser gesagt bekommt, es sei „keine Übertreibung“, den Roman „Ein wenig Leben“ ein „Meisterwerk zu nennen“, denn eigentlich sei „dieses Wort nicht groß genug“, der könnte geneigt sein, beim Lesen besonders kritisch zu sein. Diese Tendenz vergeht schnell. Sich dem Reiz dieses Buches zu entziehen, ist einfach zu schwer.
Nicht nur, weil man wissen will, was aus der mal mehr, mal weniger intensiven Studien-Freundschaft zwischen Jude, JB, Willem und Malcolm wird. Nicht nur, weil es spannend ist, vier ganz unterschiedliche Leben, Karrieren und Krisen über viele Jahre zu begleiten. Und bestimmt nicht nur, weil der Roman dem Leser das Dranbleiben mit seiner klaren, unprätentiösen und eindringlichen Sprache leicht macht.
Nein, es liegt an Jude. Schon nach wenigen Seiten ist klar, dass er der Mittelpunkt der kleinen Clique ist. Es scheint eine stillschweigende Übereinkunft der anderen zu geben, ihn zu beschützen. Jude ist genauso stark wie er schwach ist. Sein schweres Kindheitstrauma ist Ursache schlimmster körperlicher und seelischer Schmerzen. Dieses Trauma liegt wie ein schwerer, schwarzer Schatten über allem – auch über dem Leser.
Menschen können sich schreckliche Dinge antun. Es gibt Verletzungen, die nicht heilen. Trotzdem ist dieses Buch eine Hommage an das Leben, an Güte, Toleranz und die Freundschaft als wahre Liebe. Klingt widersprüchlich, ist es aber nicht. Schnell vergessen kann man dieses Buch nicht. and
HanyaYanagihara: Ein wenig Leben, Hanser Berlin, 28 Euro