Buchtipp
Seinen Langzeithelden Kommissar Wallander hatte Henning Mankell schon 2010 in die Dunkelheit des Vergessens entlassen. Nun erscheint posthum der letzte große Roman des schwedischen Autors, der am 5. Oktober 2015 starb: „Die schwedischen Gummistiefel“ wirkt zunächst wie die Geschichte eines Abschieds, entpuppt sich aber bald als Geschichte einer Rückkehr. Anders gesagt: Es findet ein Abschied statt, aber er ist kein Abschied aus dem Leben, sondern einer aus hoffnungsloser Gleichgültigkeit und ein Fußfassen im Hier und Jetzt, kurz bevor es zu spät ist.
Das Buch ist die Fortsetzung von „Die italienischen Schuhe“, es spielt acht Jahre, nachdem der Ich-Erzähler Fredrik Welin, der in trotziger Einsamkeit auf einer Schäre lebt, erfahren hat, dass er eine erwachsene Tochter hat von einer Frau, die er nach einer Affäre sitzengelassen hatte. Mitten in der Nacht weckt ihn grelles Licht: Sein altes Holzhaus brennt lichterloh, Welin kann sich gerade noch ins Freie retten.
Das Feuer vernichtet so gut wie alles, was er besitzt – Möbel, Bücher, Kleider, Papiere, Fotos. Die optimale Versuchsanordnung also, um sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was einen Menschen ausmacht – was er braucht, um an der Gegenwart teilnehmen zu können, was andere brauchen, um ihn im Gemeinwesen verorten zu können.
Welin, knapp 70 Jahre alt, muss für sich klären, ob er noch einmal von vorn anfangen will. Ob es für ihn überhaupt noch so etwas wie Zukunft gibt. Im Gegensatz zu seinem Schöpfer Mankell, der sich auch literarisch mit seiner Krebserkrankung auseinandersetzte, ist sein Held körperlich gesund.
Fredrik Welin ist nicht übermäßig sympathisch. Er war ein Leben lang Egozentriker und Egoist, unfähig zu Nähe und Mitgefühl. Nun erfährt er, wie es ist, wenn man andere nicht nur als Objekte braucht, die man ausnutzen kann. Das macht ihn aber nicht wirklich demütiger. Erst die – reichlich späte – Entdeckung, dass jeder Mensch in seinem eigenen Universum an Bedürfnissen und Bezugssystemen lebt, gibt ihm den entscheidenden Anschub, sich aus dem selbstgewählten Kerker seiner Teilnahmslosigkeit zu befreien.
Zunächst ist das schwer vorstellbar: Dass ein Mann erst an der Schwelle des Alters entdecken soll, dass selbst er so etwas wie Zuneigung braucht. Dass dieses Leben erst dann etwas wert ist, wenn man sich zu ihm bekennt.
„Die schwedischen Gummistiefel“ ist kein düsteres Buch. Es ist ein langsames Buch voll herbstlich gedämpfter Atmosphäre. Der Leser begleitet Welin auf seinen Bootsfahrten über den Sund, auf einer Reise nach Paris, die gleichzeitig eine Reise in die Vergangenheit ist, wird Zeuge seines unbeholfenen Werbens um die Journalistin Lisa und der Dispute mit Tochter Louise. Und bekommt dabei reichlich Gelegenheit, selbst über sein Leben und dessen Endlichkeit nachzudenken.
Henning Mankell:
Die schwedischen Gummistiefel. Zsolnay, 475 Seiten, 26 Euro.