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Bad Königshofen/Berlin
Buchpreis-Gewinnerin Iris Hanika: "Das Gender-Sternchen ist irrwitzig"
Auf der Leipziger Buchmesse sagte die Preisträgerin erst mal nur: "Puh!". Jetzt hat sie die Sprache wieder gefunden.  Ein Interview über Unterfranken, Mietwucher und die AfD.
Trägerin des Preises der Leipziger Buchmesse: Iris Hanika.
Foto: Alberto Novelli/Villa Massimo, dpa | Trägerin des Preises der Leipziger Buchmesse: Iris Hanika.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:47 Uhr

Sie wurde 1962 in Würzburg geboren, ist in Bad Königshofen im Grabfeld aufgewachsen und zog - absoluter Großstadt-Mensch - mit 17 Jahren schon nach Berlin. Für ihr umfangreiches Werk mit  Erzählungen und Romanen wie "Treffen sich zwei" oder "Wie der Müll geordnet wird" hat Iris Hanika schon zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Und eben, ganz frisch: den Preis der Leipziger Buchmesse 2021 für "Echos Kammern". Da erweise sich die Autorin als "kluge, witzige und wüste Erzählkonstrukteurin", urteilte die Jury. Und was sagt die Autorin? Ein Anruf in Berlin.

Frage: "Aus Gründen der Chronologie fangen wir in Manhattan an . . ." - so beginnt Ihr gerade ausgezeichneter Roman. Aus Gründen der Chronologie: Fangen wir das Gespräch in Würzburg an?

Iris Hanika: Wir können gerne in Würzburg anfangen.

Was ist Würzburg für Sie? Nur ein Ortsname in der Geburtsurkunde?

Hanika: Nein, natürlich nicht! Ich wurde in Würzburg in der Rotkreuzklinik geboren, damit gebe ich gerne an, weil das Gebäude das Haus ist, das Balthasar Neumann 1723 für sich selbst gebaut hat. Da hat er zwar nur zwei Jahre gewohnt, aber er hat es eben für sich gebaut. Ich gebe gerne damit an, daß ich einen Steinwurf von der Würzburger Residenz entfernt geboren wurde – und noch dazu in Balthasar Neumanns eigenem Haus.

Aufgewachsen und zur Schule gegangen sind Sie in Bad Königshofen. Geben Sie damit auch an?

Hanika: Mit Königshofen kann man schwer angeben, weil es niemand kennt. Obwohl es dort auch Interessantes zu sehen gibt: zum Beispiel ein Renaissance-Rathaus und einen historischen Kornstein auf dem Marktplatz, ein Getreideeichmaß.

"Um der Bahn der Ereignisse pfeilgerade zu folgen" – geht es in "Echos Kammern" weiter. Sie sind früh nach Berlin gezogen – und haben seitdem immer dort gelebt?

Hanika: Im Prinzip ja. Ich wurde gerade 17, als ich nach Berlin kam. Ich bin hier ein Jahr zur Schule gegangen, dann aber zurück nach Bad Königshofen, ich habe ein bayerisches Abitur. 1982 bin ich dann zum Studium nach Berlin zurückgezogen, seitdem war ich immer hier.

Weil es Sie nicht weggedrängt oder nirgendwo anders hingezogen hat?

Hanika: Weil es mich nicht fortgezogen hat, das kann man sagen. Man kommt hier nicht mehr weg, Berlin ist wunderbar. Ich habe regelmäßig Glücksanfälle, einfach nur, weil ich hier leben darf.

Immer noch? Trotz all der Entwicklungen, Veränderungen?

Hanika: Natürlich! Aber ich habe große Sorge, daß Berlin gerade dasselbe geschieht, wie es Manhattan, London, Paris geschehen ist, die alle vom Geld totgewalzt wurden. Friedrich der Große hat 1740 verfügt, daß hier jeder nach seiner Fasson glücklich werden müsse. Es ging dabei um Religion, aber dieses Versprechen hat sich auf alle Lebensbereiche ausgedehnt, und Berlin hat es bislang gehalten. Nun ist es in Gefahr durch die unerhörte Mietenentwicklung der letzten Jahre. Ich habe das jahrelang voller Sorge beobachtet und bin jetzt sehr froh über die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen", die einen Volksentscheid herbeiführen will, um profitorientierte Wohnungsunternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, nach Artikel 15 des Grundgesetzes zu vergesellschaften. Dieser Artikel würde dann zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik angewendet. Ich hoffe sehr, daß es im September zum Volksentscheid kommt, und noch mehr natürlich, daß er Erfolg hat.

Die drei siegreichen Bücher beim Preis der Leipziger Buchmesse 2021: 'Echos Kammern' von Iris Hanika, 'Menschwerdung eines Affen. Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung' von Heike Behrend und die Übersetzung des Werks Apropos Casanova von Timea Tanko aus dem Ungarischen. 
Foto: Jan Woitas, dpa | Die drei siegreichen Bücher beim Preis der Leipziger Buchmesse 2021: "Echos Kammern" von Iris Hanika, "Menschwerdung eines Affen.
In "Echos Kammern" geht es darum ja auch. Also um das Großstadtleben – und dass Berlin in Gefahr ist, ebenso vom Geld plattgewalzt zu werden wie New York.

Hanika: Es beschäftigt mich ja schon lange. Ich wohne in Kreuzberg, da ist Neukölln nicht weit, das jetzt total in ist und wo die Mieten geradezu lächerlich explodiert sind; in manchen Gegenden haben sie sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Die Vergesellschaftung scheint mir wirklich die einzige Lösung zu sein, sonst . . .  ach, ich will gar nicht dran denken.

Lächeln oder lachen Sie eigentlich beim Schreiben?

Hanika (lacht): . . . .

Die Frage deshalb, weil man sich als Leser bei manchem Satz in Ihren Büchern beim Lächeln ertappt. Und fast lacht.

Hanika: Innerlich bestimmt. Ich freue mich natürlich, wenn ich denke, jetzt ist mir was gelungen. Ich möchte schon gerne, daß die Leute lächeln oder lachen beim Lesen. Ich möchte auch eher heitere Bücher schreiben als andere.

Obwohl Ihre Themen nicht ganz so einfach oder amüsant sind . . .

Hanika: Nein, aber es hilft ja nichts. Man soll ein Buch gerne lesen wollen.

Weshalb schreiben Sie?

Hanika: Das weiß ich wirklich nicht. Ich wollte immer schon schreiben. Und Schreiben wollen ist das Schlüsselwort. Das Schreibenwollen kommt vor dem Schreiben. Warum? Keine Ahnung. Ist es eine Obsession? Vielleicht. Aber zu einem drängenden Thema unserer Zeit ein Buch beisteuern zu wollen – so ist es garantiert nicht.

Nie mit einer Botschaft?

Hanika: Auf gar keinen Fall, niemals. Die ewige Frage "Was will uns der Autor sagen?" muß man den Lehrern austreiben. Der Autor will weiter nichts sagen als: Ich wollte gerne ein Buch schreiben, schaut, das ist dabei herausgekommen.

Sie schreiben auch nicht wegen der Geschichte, die erzählt werden will?

Hanika: Geschichte ist das falsche Wort. Ich interessiere mich nicht für Geschichten. Nur bei "Das Eigentliche" ging es mir um den Inhalt: um die Nachwirkungen der Nazizeit, wie diese Zeit uns weiterhin in den Krallen hat, wie wir weiterhin unter diesem Verbrechen leiden – obwohl ich womöglich zur letzten Generation gehöre, die das so scharf empfindet. "Das Eigentliche" hatte ich von jeher schreiben wollen, auch daher der Titel. Nach dem Erfolg von "Treffen sich zwei" dachte ich, jetzt ist der richtige Moment dafür gekommen, jetzt kann ich alles schreiben und es wird zur Kenntnis genommen werden. Und so war es dann ja auch.

Was ist dann am Anfang? Wie beginnen Sie das Schreiben an einem Buch?

Hanika: Mit viel Leiden, weil ich nicht weiß, was ich schreiben soll, bis ich dann endlich die Tür ins Buch gefunden habe. Wie das genau geht, kann ich nicht beschreiben. Irgendwann kristallisiert sich etwas heraus und entwickelt sich dann weiter. Im nächsten Buch ist meistens drin, was in den letzten Jahren passiert ist.

Leiden?

Hanika: Leiden am Nichtschreiben, denn ich schreibe ja gerne. Damit meine ich auch das Handwerkliche, den Vorgang des Schreibens.

Mit Bleistift, Tinte, Kuli auf Papier?

Hanika: Mit Kuli würde ich nie im Leben schreiben! Ich schreibe nur mit Füllfederhaltern.

Schreiben, was in den letzten Jahren passiert ist . . . Sie nannten sich einmal "Chronistin". Und meinten, Sie würden sich nicht als Schriftstellerin bezeichnen.

Hanika: Wenn der Schriftsteller irgendeine Aufgabe hat, dann die, von seiner Zeit Mitteilung zu machen, daher kommt die Chronistin. Und sonst: Schriftsteller zu werden – das war ein so großer Wunsch, dass ich es anmaßend gefunden hätte, mich selbst so zu bezeichnen. Aber inzwischen . . . Als ich das Stipendium für die Villa Massimo bekam, dachte ich, nun könne ich Briefpapier mit der Berufsbezeichnung "Staatlich anerkannte Schriftstellerin" drucken lassen. Darauf kam ich, weil Oskar Maria Graf Briefpapier hatte, auf dem "Provinzschriftsteller" stand. Es ist jetzt offiziell, ich kann es nicht mehr verbergen.

Was jetzt auf der Leipziger Buchmesse bestätigt wurde, ganz aktuell und hochoffiziell. Wie wichtig ist so ein Preis?

Hanika: Der Preis ist wichtig, weil damit auf das Buch aufmerksam gemacht wird und es dann vielleicht mehr Leser findet.

Sie schreiben - und sprechen hier - weiter mit dem scharfen S: daß. Was sagt die Chronistin der Gegenwart, die Bücher um des Schreibens willen schreibt, zu Veränderungen in unserer Sprache. Stichwort Gender-Sternchen. 

Hanika: Ich schreibe nicht einfach "daß" mit scharfem S, ich benutze insgesamt die reformierte Rechtschreibung nicht. Ich schreibe weiter in der Version, die ich gelernt habe, weil mir die mehr einleuchtet. Die Sprache ändert sich natürlich immer. Mir fällt auf, dass die Leute jetzt nicht mehr gehen, sondern nur noch laufen. Nicht mehr sprechen, sondern nur noch reden. Und das Plusquamperfekt wird in einem fort falsch verwendet. Es setzt sich eine gewisse Flapsigkeit durch. Das ist Sprachveränderung, sie geht organisch vor sich. Aber Sprache kann man nicht ändern, indem man Vorschriften macht, wie wir zu sprechen haben.

Sagt die Schriftsteller*in . . .

Hanika: Das Gender-Sternchen ist irrwitzig, kein Mensch kann so sprechen, geschweige denn einen ernstzunehmenden Text schreiben. Natürlich ist es ein Problem, dass die generische Form im Deutschen gleichzeitig die maskuline Form ist. Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch hat darum vor bald 40 Jahren vorgeschlagen, die Sache für die nächsten zehntausend Jahre einfach umzudrehen und die feminine Form zur generischen zu machen. Uns das Gendern aufzwingen zu wollen, ist unerhört. Das treibt den Rechten die Wähler zu.

Das Gender-Sternchen?

Hanika: Die AfD macht Wahlwerbung damit, dass sie Deutschland wieder "normal" haben möchte, wozu auch gehört, dass man wieder "normal" sprechen solle. So würde ich das auch sagen: redet doch bitte wieder normal! Aber wenn ich das sage, müßte ich nun jedes Mal dazusagen, daß ich den Rest des AfD-Programms aber nicht gut finde. Das ist doch furchtbar. Dabei gibt es genug Leute mit richtigen Problemen! Zum Beispiel, wie sie die Miete bezahlen sollen, wovon sie ihre Kinder ernähren sollen. Es ist ein Elend.

Dann zum Schluss, Themenwechsel zu etwas Angenehmen: An welche erste Lese-Erfahrung erinnert sich die Schriftstellerin Iris Hanika?

Hanika: Das erste Buch, bei dem ich dachte, das ist genau so, wie ich mir ein Buch vorstelle, war "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin. Das war das Buch, das ich gesucht hatte. Da war ich 17, das hat mich wirklich überwältigt. Und tut es noch immer.

Was lesen Sie heute am liebsten?

Hanika: Puh, alles Mögliche. Gerne Romane.

Unterhaltungsromane?

Hanika: Was sind Unterhaltungsromane?

Krimis vielleicht? Die meisten würden wohl sagen, Sie schreiben "richtige" Literatur.

Hanika: Ach so. Dann würde ich sagen, ich lese gerne "richtige" Literatur. Aber ich habe auch alle Krimis von Fred Vargas gelesen und finde einige Romane von Philip K. Dick absolut großartig; "Ubik" ist ein Meisterwerk.

Viele Rezensionen zu "Echos Kammern" klingen gefährlich. Man bekommt etwas Angst, dass man das Buch nicht versteht.

Hanika: Gute Literatur ist nie unverständlich! "Richtige" richtige Literatur ist nie schwer, sondern immer angenehm zu lesen. Ganz egal, worum es geht: Wenn das Buch gut geschrieben ist, liest man es gerne, auch wenn es schon 200 Jahre alt ist. Aber klar, meine Verlegerin würde sich natürlich freuen, wenn in einer Rezension stünde: Herrliche Strandlektüre!

Um am Ende der Chronologie dem Anfang Genüge zu tun . . . Welchen Bezug haben Sie heute noch zu Würzburg, zu Unterfranken?

Hanika: Ich finde es sehr interessant, daß ich in den letzten Jahren eine große Franken-Sentimentalität entwickle, obwohl ich schon so lange weg bin und obwohl ich meine Jugend nicht als die glücklichste Zeit meines Lebens bezeichnen würde. Trotzdem freue ich mich über alles, was mit Franken zu tun hat, und finde es darum angenehm, Markus Söder sprechen zu hören. Egal, was er sagt, es klingt immer vertraut. Aus der Ferne bin ich Franken sehr verbunden.

 
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