Guten Tag.“ – „Guten Tag.“ – „Ich bin hier wegen meiner Rückenschmerzen.“ – „Ah. Rückenschmerzen. Dann sollten sie auf jeden Fall schwere Bücherkost absetzen.“ – „Aha.“ – „Damit ist alles gemeint über 150 Seiten. Auch von Sachbüchern würde ich ihnen dringend abraten.“ – „Und was soll ich dann noch lesen?“ – „Kurzgeschichten zum Beispiel.
Der Mann, der da spricht, trägt zwar einen weißen Kittel, ist aber kein Arzt. Sondern Übersetzer. Name: Stefan Wieczorek. Wuscheliges Haar, Brille, wirkt immerhin vertrauenswürdig. Seine Praxis ist eine eher windige Holzbox, verhängt mit einer durchsichtigen Plastikplane. Wer sich in den Behandlungsraum wagt, wird von denen beäugt, die draußen stehen. Ein Riesenspaß für alle also. Und offenbar auch für Wieczorek, der hier gerade den Buchdoktor spielt: Er kichert.
„Ich habe da genau das Richtige für sie.“ – „Ja?“ – „Eine wunderbare Kurzgeschichte von Annelies Verbeke, die heißt ,Gruppenhüpfen‘. Es geht darum, die Freiheit der Kindheit wieder zu erlangen. Durchs Hüpfen.“
Buchdoktor also. Geniale Idee und eigentlich verwunderlich, dass so einer bei der Frankfurter Buchmesse bislang fehlte. Da musste erst das Ehrengast-Komitee auf die Idee kommen. Nun sitzen also Autoren und Übersetzer in der kleinen Box und stellen Bücher auf Rezept aus – gerne natürlich eigene Werke aus Flandern und den Niederlanden. Gegen Magenzwicken, Kopfrauschen oder auch Fußpilz – dazu aber später.
Man lebt von der Laufkundschaft, weil hier ohnehin fast jeder Besucher als Patient taugt. Buchsüchtige, Verleger, Autoren, Lektoren, Agenten, Buchhändler. Und wo doch hier von allen auch nach Rezepten gesucht wird: Wie man nämlich ein Buch an den Leser bringt.
Wäre es da nicht schön, man könnte Bücher, sind sie erst geschrieben, den Menschen auch einfach verschreiben? Rückenschmerzen – lesen Sie eine Geschichte übers Hüpfen, das macht den Rücken frei! Und wenn alleine auf Deutsch in diesem Jahr mehr als 76 000 neue Bücher erschienen sind, müsste es da nicht für jedes Leiden mindestens eines geben?
„Jetzt mal zu einem grundsätzlichen Problem: Entscheidungsschwäche beim Bücherkauf. Wenn man sieht, wie viele Krimis es alleine gibt!“ – Ja, da leiden ja viele. Da hilft nur über Bücher reden, reden, reden.“
Was bei der Buchmesse zu Genüge getan wird. Eigentlich nichts anderes, ein jeden Morgen langsam anschwellendes Gequassel. Wer mehr über Inhaltsstoffe wissen möchte, muss nur den Stimmen folgen, die übers Mikrofon etwas lauter über die Gänge wehen, schon landet man bei einem Autor, der erzählt.
Im Gang C sitzt Friedrich Ani, redet über seinen Krimi, und weil die Moderatorin am Ende etwas sagt, was ihm offenbar nicht gefällt – dass das Buch doch eher ein Psychothriller sei – verabschiedet er sich mit den Worten: „Gut, dass dieses Gespräch nun zu Ende ist.“
Wenige Meter weiter bei Prinz Asfa-Wossen Asserate herrscht dagegen heiterer Plauderton. Der gebürtige Äthiopier, schick im Dreiteiler, hat in Deutschland mit seinem Buch über Manieren einst einen Bestseller erzielt, der verfolgt ihn nun auch nach 13 Jahren noch. Gerade erzählt er die Geschichte mit der Plastiktüte. Neulich, vor dem Supermarkt. „Da gehe ich voll beladen zu meinem Auto und es stellen mich fünf ältere Damen und sagen: Jetzt haben wir Sie erwischt.“ Wobei, habe er gefragt und da hätten die Damen gesagt: Erwischt, wie sie eine Plastiktüte tragen. Er hätte doch geschrieben, das würde sich für einen Mann nicht gehören. Er habe das aber nicht so geschrieben. Egal. „Ich habe mich dafür bedankt, dass sie mein Buch gelesen haben.“
„Woran leiden Schriftsteller?“ – „An Restexemplaren. Sie haben Wahnvorstellungen von Büchern, die in einer großen Pampe aufgelöst und dem Papierkreislauf zurückgeführt werden. Schlimme Sache.“
Wahnvorstellungen also, warum auch nicht! „Ich finde, Normalität wird überschätzt“, sagt Arnon Grünberg, wilde Socken, Ringellocken und auf der Buchmesse einer der prominentesten niederländischen Autoren. Grünberg hat sich aus Neugier einmal in die Psychiatrie einweisen lassen. Und aus Neugier auch als Zimmermädchen in Bayern gearbeitet. Weil er wissen wollte, wie sich so ein anderes Leben anfühlt. Und aus Neugier hat er sich nun beim Schreiben einer Novelle von Neurologen verkabeln und seine Hirnströme untersuchen lassen. „Ich wollte mal sehen, was geschieht da in meinem Kopf“, sagt Grünberg. Nach ihm sind nun die Leser in Frankfurt dran. Gleich neben dem Buchdoktor wurde in der nächsten Holzbox das Grünberg-Laboratorium eingerichtet. Wer sich traut, wird an Bauch, Fingern und Kopf verkabelt und dann beim Lesen des Textes gefilmt. Es gibt schon vorläufige Ergebnisse, die aber schrecken doch eher ab. Sieben Prozent mehr Spaß, verspricht demnach das Lesen einer Novelle, zugleich überkomme einen aber auch ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Ob das der Arzt gutheißt?
„Oh, ganz vergessen zu fragen: Nehmen Sie eigentlich auch Kassenpatienten?“ – „Aber natürlich, Kasse machen wir doch alle gerne.“
Wie aber macht man Kasse? Gute Frage, und wenn sie Autoren gestellt wird, oft mit einem kleinen „Äh“ oder verlegenem Lachen. Gehört sich ja nicht! Manieren bitte! Aber die Krimiautorin Nele Neuhaus sagt, da antworte sie gerne, weil sich viele falsche Vorstellungen machen würden. Von wegen 19 Euro pro Buch . . . Was da alles noch abgehe, für all die anderen, die ja auch Arbeit mit so einem Buch haben. Als sie das mal einem nassforschen Zwölfjährigen erzählt habe, hätte der am Ende erklärt: „Ich habe das jetzt mal so durchgerechnet, für das Geld würde ich kein Buch schreiben.“ Gelächter. Und Nele Neuhaus lacht fröhlich mit. Die Gesamtauflage ihrer Bücher beträgt mittlerweile sieben Millionen – mal x macht . . . Und weil da, selbst wenn x eine ganz kleine Zahl ist, eine märchenhafte Summe rauskommt, nun aber auch der aschenputtelhafte Anfang ihrer Geschichte: Die ersten drei ihrer Taunuskrimis hat Nele Neuhaus nicht nur selbst drucken lassen, sondern auch noch persönlich in den Buchhandlungen ausgeliefert. Bis dann eine begeisterte Buchhändlerin bei einer Verlagsvertreterin anmerkte, dieser Krimi habe sich bei ihr im Laden besser verkauft als Harry Potter.
„Wie viele Bücher sind gesund? Kann man überdosieren?“ – „Nein. Starten sie mit einem pro Woche. Steigern Sie dann langsam die Menge.“
Mit welchem also die nächste Woche beginnen? Vielleicht mit „Widerfahrnis“? So heißt eine Novelle von Bodo Kirchhoff, in der er von einer Italienreise, später Liebe und einem Flüchtlingsmädchen erzählt. Das Buch zur Stunde, aber auch das Buch der Stunde, weil seit Montag prämiert mit dem Deutschen Buchpreis. Kirchhoff ist einer, der aufsteht und sich verbeugt, wenn das Publikum klatscht. 68 Jahre, schwarzes Lederblouson, Turnschuhe, aber dann irgendwie doch alte Schule. Er gibt Schreibseminare in seinem Haus am Gardasee. Da erkläre er den Kursteilnehmern immer, was einen Schriftsteller ausmache. „Dass er keine Alternative hat zum Schreiben“, sagt Kirchhoff. „Ich hatte nie einen Plan B.“ Dass nun Plan A nach all den Jahren zu einem der wichtigsten deutschen Literaturpreise geführt hat, „empfinde ich als eine Erlösung.“ Vielleicht sogar – ein Widerfahrnis?
„Woran leiden Übersetzer?“ – „An Sprachverwirrung. Und gelegentlich an Unsichtbarkeit.“ – „Ach so. Na dann weiter. Welche Bücher sind schädlich. Sie wissen schon, wie Alkohol und so.“ – „Also keines der Bücher, die ich empfehle.“
Und da nun ist man plötzlich beim Leser. Ob bei dem alles so stimmt? Das fragen sich gerade auf dem Podium auch drei Krimiautoren, darunter Donna Leon, weil es schon merkwürdig ist, dass jeder vierte verkaufte Roman derzeit einer ist, in dem ein Verbrechen passiert. Und gekauft dann auch meist von einer Frau! Donna Leon aber, geliebt für ihren sanften Commissario Brunetti, sagt, das alles wundere sie nicht. Und wird ernst: „Frauen erleben Angst häufiger als Männer, sie sind häufiger Opfer von Gewalt, deswegen interessieren sie sich auch dafür.“ Ganz normal also. Dennoch sei sie gegen präzise Darstellung von Gewalt. So etwas auch nur zu lesen, das könne nicht gesund sein. „Aber jetzt“, sagt Donna Leon, „höre ich mich gerade ein bisschen an wie Kardinal Ratzinger. Oder?“ Da lacht das Publikum wieder.
„Was war nun der schwierigste Fall heute?“ – „Da kam ein Mann, der für einen Freund eines Freundes wissen wollte, welches Buch gegen Fußpilz hilft.“ – „Und konnten Sie helfen?“ – Ich habe dann abstrahiert, der Körper wird aufgefressen und da habe ich den Roman ,In Paradisum‘ von Yves Petry empfohlen. Ein flämischer Autor, der sich von der Geschichte des Kannibalen von Rotenburg inspirieren ließ. Ein feinsinniger, psychologischer Roman.“ – „Aha.“ – „Außerdem habe ich geraten, beim Lesen Schuhe und Socken auszuziehen.“ – „Vielen Dank für alles.“ – „Gute Besserung. Und halt, vergessen Sie ihr Rezept nicht. Einmal Gruppenhüpfen! “
Frankfurter Buchmesse
7100 Aussteller sind bei der weltgrößten Bücherschau in diesem Jahr vertreten. Gastland sind die Niederlande und Flandern.
Publikumstage sind an diesem Samstag (9 bis 18.30 Uhr) und Sonntag (9 bis 17.30 Uhr. Die Tageskarte kostet 19 Euro. Das Wochenendticket 28 Euro.
Parallel zur Buchmesse findet in Halle 4.1 die Antiquariatsmesse statt. 36 Aussteller aus dem In- und Ausland sind in diesem Jahr vertreten. Die Messe ist eine Verkaufsausstellung für antiquarische Bücher, Grafik und Autografen. Öffnungszeiten: Samstag 9–18.30 Uhr, Sonntag 9–17.30 Uhr.