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FRANKFURT
Buchmesse-Rundgang von Wabe zu Wabe
Plakativ: Ein Mann geht am Stand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vorbei an einem Leuchtplakat vorbei, dessen Adressat unschwer zu erraten ist.
Foto: Arne Dedert, dpa | Plakativ: Ein Mann geht am Stand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vorbei an einem Leuchtplakat vorbei, dessen Adressat unschwer zu erraten ist.
reda
 |  aktualisiert: 12.10.2014 15:01 Uhr

Der Rundgang beginnt in Wabe H65. Die Sache mit der Wabe wird gleich erklärt. In Wabe H65 sitzt Bettina Deininger, 44 Jahre alt, und vor ihr liegt ein Buch. Es handelt von einem Mann aus Nagasaki, der eines Tages feststellt, dass er sein Haus offenbar mit einer Unbekannten teilt. Die Sache ist wirklich passiert, sie stand in einer japanischen Zeitung, ein Franzose namens Éric Faye hat einen Roman daraus gemacht, Bettina Deininger das Ganze übersetzt und verlegt. Ein schöner Roman. Er hat sogar einen ziemlich wichtigen Preis bekommen.

Und nun sitzt Bettina Deininger da. Wabe H65. Und es wäre schön, wenn ab und an einer vorbeikäme. Ein Buchhändler zum Beispiel. Buchhändler bei der Buchmesse, nichts leichter als das, könnte man denken. Leider aber liegt die Wabe H65 etwas abseitig. Und es gibt so viele andere Waben. Wenn man nach einem Vergleich sucht, um die Frankfurter Buchmesse zu beschreiben, kommt man jedenfalls irgendwann einmal auf den: Es ist wie in einem Bienenstock, ein einziges Gewimmel. Wabe an Wabe, manche größer, manche kleiner, und überall tropft und trieft der Lesestoff heraus, soll wie Honig all die Händler, Leser und Journalisten anlocken. Nun gut, das Bild ist ein klein wenig schief. Das liegt an den Männern. Es gibt hier zwar mehr Frauen als Männer, das liegt an der Branche, aber es gibt sie, und sie dürfen sogar König sein.

Zu den Königen zählt Lutz Seiler, der mit „Kruso“ den deutschen Buchpreis gewonnen hat und am zweiten Tag der Messe mit ordentlich gescheiteltem Haar, aber locker heraushängendem Hemd seinen Ehrungsrundgang beginnt. Oder David Nicholls, britischer Bestsellerautor, dessen Verlag einen Doppeldeckerbus in Halle drei platziert hat. So etwas also wie eine Luxuswabe.

Zu den Königen zählen natürlich auch der Brasilianer Paulo Coelho, dem man einmal direkt am Eingang begegnet, wie er rauchend dasteht und plaudert. Er trägt die wenigen Haare hinten zum weißen Zöpfchen zusammengebunden. Ein König darf das. Und noch ein Herrscher: Ken Follett, zufälligerweise wieder ein Brite. Wenn man König ist, kann man Sätze wie diesen sagen: „Ich wollte schon immer Bücher schreiben, die Millionen Leser genießen.“ Und alle applaudieren. Und die Sache mit dem Schreiben, sie klingt auf einmal so einfach: „Es muss immer etwas auf jeder Seite geben, wo der Leser denkt, hey, was kommt da jetzt, sodass man die Seiten auch umblättert“, sagt also Ken Follett, silbrig lockiges Haar, feiner blauer Zwirn, und, tja, der Erfolg gibt ihm recht.

Follett hat eben eine Trilogie mit mehr als 12 000 Seiten beendet. Der letzte Teil spielt auch an der Berliner Mauer, aber nicht nur. Um es so zu beschreiben: Follett hat mit „Kinder der Freiheit“ nicht nur den Wenderoman, sondern den Weltwenderoman gewuppt. Hey, so macht man das.

Was hat denn nun Bettina Deininger gewuppt, Arbeiterin aus Wabe H65? Eine Wabe, die sie sich mit anderen kleinen Verlagen teilt. Ihrer, das ist der Austernbank-Verlag. Es sind bislang drei Bücher erschienen, und was man auf den ersten Blick sagen kann: Sie sehen gut aus. Auf dem Roman von Faye ist das Schattenbild einer Frau und eines Mannes zu sehen, der Mann schwarz, die Frau rot. Der Roman trägt den Titel „Zimmer frei in Nagasaki“.

Wenn man ihre Gestalterin, Anja Wesner, erwähnen könnte, wäre das nett, sagt Bettina Deininger. Das ist es ja, weshalb sie hier ist. Sich, den Verlag, die Gestalterin und die Bücher zu vermarkten. Gesehen und gehört zu werden. Mit Vertriebsmenschen zu sprechen, mit Buchhändlern, mit Journalisten. Sie sagt, es sei zwar ein wenig widersinnig, wo doch das Lesen so eine stille Angelegenheit sei, aber man müsse hier so laut wie möglich trommeln. Ein Kollege hat zu ihr gesagt: „Angeben, bis die Schwarte kracht.“

In den anderen Waben wird es vorgemacht. Lustigerweise findet man in einer die Bundesregierung. Klingt komisch, ist aber so. Bücher gibt es nicht, dafür kann man sich ein Lesezeichen mit dem Bild der Kanzlerin in die Tasche stecken oder an einem lustigen Quiz teilnehmen. Gefragt wird zum Beispiel, welchen Preis die Europäische Union 2012 erhalten hat. Die Antwort, die nicht stimmt, lautet: den Oscar.

In der Wabe wird gelacht. „Erst denken, dann den Knopf drücken“, sagt die Moderatorin. Gegen die Bundesregierung, das steht fest, ist auf der Buchmesse nicht so leicht anzukommen.

Nebenan steht eine Frau, versucht es tapfer, wackelt mit einer Plüschhandpuppe, die Bina Bienchen heißt und die Heldin eines Kinderbuches ist. „Hallo“, ruft sie mit hoher, verstellter Stimme: Wie lange sie das heute machen werde? „Bis mir die Hand abfällt.“ Bundesregierung, Bienen, Buchpreisgewinner, Bestsellerkönige, das also ist die Konkurrenz. Außerdem noch hunderttausend andere Werke, Bücher, Hörbücher, E-Books, Kochbücher, Krimis, Kinderbücher. Und überall kracht die Schwarte, wird prämiert, gekürt, getrommelt. Trifft man also in der einen Wabe den Romanautor Bodo Kirchhoff, der über Tiere spricht – „Das ist eine ganz andere Liebe, eine unschuldige“ –, und in der nächsten erzählt ein Schamane mit Cowboyhut, was die Hände so alles über den Menschen verraten. Was denn? „Alles“, sagt er.

Geht es auch anders? Leiser? Die Stiftung Buchkunst versucht es in Halle vier, Wabe Q17. Ausgestellt sind dort die schönsten deutschen Bücher. Ein schillerndes Buch über Insekten zum Beispiel. Aber die schönsten Bücher sind nicht unbedingt die erfolgreichsten. Die erfolgreichsten Bücher nicht unbedingt die besten. Die besten Bücher nicht unbedingt die lustigsten. Und mit lustigen Büchern ist es ohnehin schwierig.

Bettina Deininger sagt, wenn die Leute lustig hören, dann denken sie: nicht anspruchsvoll. Sie sagt auch, der Roman von Éric Faye sei zugleich komisch und ernst, also eben lustig und anspruchsvoll. Nach solchen Büchern suche sie für ihren Verlag. Sie wartet auch mal, bis sie wieder eines findet. „Ich habe ja Respekt davor, so ein Buch hinaus in die Welt zu schicken.“ Vielleicht, meint sie, sogar ein bisschen zu viel.

Bettina Deininger wirbt mit dem Slogan „Leser verspeisende Bücher“. Nicht schlecht. Unten aber tanzt der Grüffelo.

 
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