Irgendwann einmal . . . Frankfurter Buchmesse 2012, das Wetter sonnig und kalt, Bücherherbst eben, und wen es am Stand von Ivo Illmer schon jetzt fröstelt, der sollte schnell hinunter in den ersten Stock der Halle vier. Oder in Halle drei. Oder auch in Halle eins. Denn noch lebt das Buch ja, auch wenn in Reihe Q schon an seinem Denkmal aus Holz gearbeitet wird. Und auch wenn auf dieser Messe ständig darüber debattiert wird, wie lange es noch lebt. Eigentlich ungehörig, aber na ja.
Und damit – Übergang von Halle vier zu Halle fünf – hinein in den Trubel. Nobelpreisträgerin Herta Müller sitzt auf dem blauen Sofa. Schmal, ganz in Schwarz, Hose wie Haar, und erzählt vom Dichten. Und was sie erzählt, klingt so, als sei sie herausgefallen aus dieser Zeit, in der über Content, Cloud-Publishing und Crowd-Sourcing gesprochen wird. Herta Müller, das muss man sich vorstellen, hat einen Schrank, in dem sie ihre Wörter lagert. Sortiert nach Anfangsbuchstaben. Die Wörter findet sie in Zeitschriften, Zeitungen, Katalogen, und schneidet sie aus. Sie sagt: „Sie werden einem geschenkt.“
Eine Wortsucherin also. Oder eine Wortfinderin. Und eine Wortliebhaberin. Sonst fällt einem so ein Satz ja auch gar nicht ein: „Wenn man ein Wort ausschneidet, ist es so nackt.“ Und damit es nicht so bleibt, klebt die Dichterin sie zu Collagen zusammen, lässt durch Zufall Bilder entstehen, bringt alles in einen Reim, zieht die Wörter so schön an wie ein Kind seine Lieblingspuppe. „Milch ist der Zwilling von Teer ist weiß oder schwarz.“ Wundert es da, dass Herta Müller gerne an Büchern riecht? Manche duften ja ein wenig nach Orange . . .
Sie sagt, warum sie klebt und reimt, sei eine ganz banale Sache. „Ich will etwas erzählen, und das erzähle ich mit diesen Wörtern.“ Wenn alle Menschen die Wörter nur ein bisschen so lieben würden wie Herta Müller, man müsste sich wohl keine Angst um die Bücher machen. So wie sie sich ja auch keine Angst um ihre Collagen macht. Wie lange der Klebstoff auf ihren Karten wohl hält, „ach, ich weiß es nicht“.
Der Verleger von Herta Müller, der dafür sorgt, dass ihre Collagen auch als Buch erscheinen, etwas haltbarer werden, ist Michael Krüger, Hanser Verlag. Ein Verleger alten Schlages. Also einer im Großformat. Michael Krüger hat schon einmal diesen Satz gesagt: „Ich bin so alt, ich habe nicht mal mehr Angst vor dem Tod. Da werde ich doch keine Angst vor dem E-Book haben.“ Er wird es wohl nicht gewesen sein, der bei Ivo Illmer vorsprach, oder?
Nein, gute Stimmung bitte! Die Zukunft, sie wird ja auf jeden Fall bunt. Siehe Halle 3.0. Kinder und Jugend. Schon vor Messebeginn hat Direktor Juergen Boos nimmermüde auf deren Bedeutung für den Buchmarkt hingewiesen, ein Zitat von Astrid Lindgren benutzt: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in großem Maß von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen.“ Oooh! Derzeit ist es jedenfalls eine Welt voll von riesigen Grüffelos und den seltsamen Warrior Cats. Am dazugehörigen Verlagsstand von Beltz findet sich ein Messeknüller. Der Cats-O-Mat. Erst sucht man sich einen Katzentypen aus – kuschelig lila zum Beispiel, – dann erscheint auf dem Monitor das Bild einer Katze. Nur die Augen sind die des Menschen, der davor steht. Toll!
Der Cyber-Classroom
Ganz im Entfernten hat das sogar etwas mit dem ganzen Content-Gefasel auf der Messe zu tun. Schau doch her, da gibt es die Warrior-Cats-Bücher, die Filme, die Hörbücher, die Website, die Spiele und nun auch noch diesen Cats-O-Maten . . . Ob Herta Müller demnächst auf ihrer neuen Website einen Wort-O-Maten vorstellt, in dem man ein Wort eingibt und ein Reim rauskommt? Ach so, den gibt es schon. Im Übrigen auch den Cyber-Classroom auf Ebene 4.2, in dem die Messebesucher mit 3-D-Brillen vor großen Bildschirmen sitzen, mal flugs DNA–Stränge zusammenbauen oder die Anatomie von Michelangelos David erkunden. So einfach ist die Welt zu verstehen. Nur die Bücherwelt derzeit nicht.
Im Grunde besteht die Messe aus mehreren durch lange Gänge und Rolltreppen miteinander verbundene Paralleluniversen. In denen man Politikern wie Andrea Nahles ebenso begegnen kann wie dem Fußballer Lothar Matthäus, und lustigerweise tun beide das Gleiche: über Bücher reden. In denen man aber auch ständig wechselnde Zeitzonen durchläuft. Am deutlichsten zu bemerken beim Übergang von Halle vier zu Halle sechs. Dort findet die Antiquariatsmesse statt. Man kann also etwa Dantes „Göttliche Komödie“ in einer wunderbaren, ledergebundenen Ausgabe von 1861 kaufen. Für 2800 Euro. Während es doch Dante umsonst auf Amazon gibt! Frage an Antiquar Manfred Nosbüsch: Wie geht es denn so, das Geschäft mit den wertvollen Büchern? Antwort: „Eher abnehmend. Es wachsen wenig jüngere Sammler nach.“ Deswegen vom sterbenden Metier zu sprechen, wäre dennoch falsch. „Wir müssen mehr PR machen, neue Wege gehen.“ Auch hier also. Unbedingt erwähnen aber muss man an dieser Stelle noch die Tirade des Antiquars auf die neuen Bücher. „Wenn sich das E-Book etablieren wird, dann liegt es auch daran, dass die Verleger qualitativ immer schlechtere Bücher machen. Die kann man ja nicht mehr lesen!“
Und damit – Vorsicht, Zeitsprung! – wieder in den Trubel. In Halle eins sitzt Donna Leon, die Brunetti-Erfinderin, Pagenkopf, lustige Uniformjacke und derart sympathisch, dass man loslaufen und ein Buch von ihr kaufen möchte. Am Tag davor saß da Arnold Schwarzenegger, scherzhaft als weltgrößter Narrator bezeichnet, sagte Sätze wie: „Wenn Sie Nein gesagt haben, habe ich Ja gehört.“ Nun also die zarte Amerikanerin. Deren Sätze klingen natürlich anders. „Ich habe ein Talent für das, was ich tue. Das reicht.“ So wird man aber nicht Gouverneur!
Donna Leon hat zusammen mit der Sopranistin Cecilia Bartoli an einem Projekt über den Barock-Komponisten Agostino Steffani gearbeitet. Nun gibt es Buch und CD. Manchmal wird sie von Lesern gefragt, ob man die Musik hören soll, während man das Buch liest. Donna Leon schüttelt den Kopf: „Das ist ja wie Spaghetti mit Schokoladensoße.“ Vermutlich ist Donna Leon dann auch kein Fall für die Enhanced Books, die mit Inhalt angereicherten E-Books. Die sind nämlich wie Spaghetti mit Schokoladensoße und Grillwürstel. Alles auf einmal. Per Klick gibt es Ton, Bilder und Filme zur Geschichte dazu.
Lieber zurück zum einfachen Menü? Zum Beispiel zum Whisky-Krimi-Autor Ralf Bernhardt, der samt Whisky und Büchern in seinem Messestand sitzt und sagt: „So einen Whisky-Krimi, den liest man im Sessel, als Papierbuch.“ Oder zum Buchdruck a la Gutenberg in Halle 4.1., wo die Zuschauer erfahren: „Von den 180 Bibeln, die 1750 gedruckt wurden, sind noch 48 erhalten.“ Ooooh. Oder Aaaah, zum Stand des Unions-Verlages, wo sich Verleger Lucien Leitess freut. Und freut. Und freut. Weil seinem Autor Mo Yan der Nobelpreis verliehen wurde. Seine Kollegin steht daneben, hält ein Buch von Mo Yan in der einen Hand, ein Glas Wein in der anderen, und kann sich deswegen die Tränen nicht aus den Augenwinkeln wischen.
Ein Bücherglück. Oder, nun zum Schluss, zu Richard Ford. Auch der sitzt auf dem blauen Sofa, trägt rosa Socken, seine Augen sind von viel schönerem Blau als das Sofa, blau wie das Meer. Zum Hineinfallen. Der Amerikaner lagert seine Manuskripte aus Sicherheitsgründen auch mal im Gefrierfach. Er sollte sich unbedingt mit Herta Müller unterhalten, vielleicht wäre das auch etwas für sie. Lauter schön gekühlte Wörter. Nur nackt sollten sie dann nicht sein. Richard Ford sagt, vielleicht lesen die Menschen irgendwann über Hologramme an der Decke. Aber: „Ich mache mir da keine Gedanken.“
Buchmesse-Bilanz
Mehr Lesepublikum, weniger Fachbesucher: Die Frankfurter Buchmesse endete am Sonntag mit einem leichten Besucher-Plus. Der Fachbesucher-Rückgang von 1,6 Prozent an den ersten drei Tagen wurde am Wochenende, das für alle offen war, mehr als ausgeglichen: Drei Prozent mehr Besucher seien gezählt worden, so die Veranstalter. 2011 hatten 280 000 Menschen die Bücherschau besucht.
Zufrieden zeigten sich Vertreter des Gastlandes Neuseeland: 80 Autoren waren nach Frankfurt gekommen. 100 Bücher des eher unbekannten Leselandes waren neu ins Deutsche übersetzt worden. Gastland im nächsten Jahr ist Brasilien. Text: dpa