Zu Tausenden schieben sich die Besucher durch die Halle 3.0 auf dem Frankfurter Messegelände. Ihre Stimmen vermengen sich zu einem auf- und abschwellenden Summen und Surren. Hände greifen nach Büchern, streicheln fast liebevoll über Einbände, blättern behutsam Seiten um. Die Menschen, die zur Buchmesse kommen, verbindet ihr Interesse für und ihre Liebe zur Literatur. Sie sind da, um auf der wichtigsten Messe der Welt für Buch, Multimedia und Kommunikation in den Werken, die ihnen mehr als 7000 Aussteller zu Füßen legen, etwas Neues, Aufregendes, Einzigartiges zu finden, sind auf der Suche nach der nächsten Harper Lee oder dem künftigen Haruki Murakami.
Mittendrin steht – das BlackBerry am Ohr – Markus Desaga. In der Presseabteilung der Verlagsgruppe Random House ist er dafür verantwortlich, dass die Titel der Verlage DVA, Manesse, Pantheon und Siedler in der Fülle der Angebote nicht untergehen. Deshalb sieht man ihn – wenn er nicht gerade im Gespräch mit Journalisten, Autoren oder Abgeordneten ist – die meiste Zeit mit dem Handy am Ohr oder in der Hand. Random House, eine hundertprozentige Tochter der Bertelsmann AG, vertritt 46 Verlagslabels und ist mit etwa 300 Mitarbeitern in Frankfurt präsent.
Der günstigste Messestand – Marke Eigenbau – ist für 382 Euro pro acht Quadratmeter zu haben, hinzu kommen 411 Euro für den Wasseranschluss sowie die Leihgebühr für sanitäre Einrichtungen. Bei einer Fläche, wie sie Random House nutzt, gibt man da schnell viel Geld aus. Eine Investition, die sich für die Verlage lohnen soll.
„Gerade Debütautoren müssen verbreitet werden“, sagt Markus Desaga, und rückt sich mit feingliedrigen Fingern die schwarz gerahmte Brille zurecht. Groß und schlaksig wie er ist, erinnert er in seinem braunen Anzug und dem rosa Hemd ein bisschen an den ZDF-Journalisten Theo Koll. Um ihn herum geht es geschäftig zu. An den schlichten Tischen sitzen auf Resopalstühlen Männer und Frauen, konzentriert ins Gespräch vertieft. Desaga steht da, umgeben von Regalen, und lässt seinen Blick über die Menschenmenge schweifen. Er entdeckt einen älteren Herren mit leicht schiefem Blick, läuft auf ihn zu, schüttelt ihm die Hand. „Ich will doch mal schauen, ob mein Buch auch hier ist“, sagt Wolfram Pyta, steuert auf das Bücherregal hinter Desaga zu und greift mit sichtlichem Stolz nach einer Ausgabe von „Hitler.
Der Künstler als Politiker und Feldherr“. Desaga lächelt, wechselt ein paar Sätze mit dem Autor, dann ist er schon wieder am Telefon.
Es riecht nach Kaffee. Ab und an hebt sich das leise Klirren eines Löffels, der auf einer Untertasse abgelegt wird, von dem monotonen Brummton der Masse ab. Eine in schwarz gekleidete Kellnerin reicht Pyta, der sich auf einer der Sitzbänke niedergelassen hat, den gewünschten Cappuccino. Eine Verlagsmitarbeiterin brieft den Autor. Desaga, der sein Telefonat beendet hat, macht sich auf den Weg zum nächsten Treffen. Aus der Ruhe bringt ihn der Trubel nicht. An seiner Souveränität lässt sich ablesen, dass er den Job seit fast 20 Jahren macht.
Vieles hat sich in dieser Zeit verändert. „Früher“, sagt er, „ging es vor allem darum, die Autoren auf der Buchemesse direkt am Stand des Verlegers als Interviewpartner anzubieten. Für viele Medienvertreter war das die einzige Möglichkeit für ein persönliches Gespräch.“ Heute, in Zeiten von E-Mail und Internet, sei das kein Riesenthema mehr, ein persönliches Treffen nicht unbedingt notwendig. „So schauen wir immer mehr und genauer darauf, ob es sich für den Autor wirklich lohnt, nach Frankfurt zu kommen.
Er soll nicht im Gewühle untergehen und nur darauf hoffen, dass sich jemand für ihn interessiert.“ Ein Schicksal, das Desagas Autor Klaus von Dohnanyi natürlich erspart bleibt. Der SPD-Politiker, mit der Lyrikerin Ulla Hahn verheiratet, ist den meisten Menschen nicht zuletzt durch seine Auftritte in Talkshows ein Begriff. An diesem Tag spricht er auf der „Spiegel“-Bühne mit dem ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur, Martin Doerry. „Mir hat Gott keinen Panzer ums Herz gegeben“ heißt Dohnanyis Buch, in dem er Briefe seines Vaters dokumentiert, die der Widerstandskämpfer seiner Frau und seinen Kindern zwischen 1943 und 1945 aus dem Militärgefängnis und der Gestapohaft schickte. Es ist ein Thema, das interessiert. Wie eine Insel der Stille liegt die Bühne mit dem orangefarbenen Teppich inmitten des geschäftigen Treibens, nur Dohnanyis Stimme ist zu hören.
Doerry selbst hat vor über zehn Jahren ein Buch veröffentlicht, in dem er anhand von Briefen das Schicksal seiner jüdischen Großmutter aufzeigt. Aufgrund der ähnlichen Thematik lag es nahe, ihn auf Dohnanyi aufmerksam zu machen. So entstand das Gespräch auf der Buchmesse. Hinzu kommt, dass zwischen DVA und „Spiegel“ eine besondere Beziehung besteht. Seit 2002 kooperieren die beiden Verlage, bringen seit der ersten Veröffentlichung („11. September. Geschichte eines Terrorangriffs“) pro Saison drei bis vier Bücher gemeinsam auf den Markt. Von der Zusammenarbeit profitieren beide Seiten. Der „Spiegel“, weil er bei DVA die schon vorhandenen Verlagsstrukturen für die Verbreitung seiner Inhalte nutzen kann, Desaga und sein Team, weil das renommierte Magazin für ein gewisses Maß an Werbung sorgt. Dohnanyi und Doerry haben ihr Gespräch inzwischen beendet, sind umgeben von einer kleinen Gruppe Menschen, die noch ein paar Sätze mit ihnen sprechen, ein paar Fragen zum Buch stellen wollen. Als sich die Menge verzogen hat, gesellt sich Gregor Schöllgen zu den beiden; ein angeregtes Gespräch beginnt. Vielleicht auch über Schöllgens Schröder-Biografie, die DVA im September auf den Markt gebracht hat.
Für Desaga ist das Sachbuch, das momentan auf Platz 15 der „Spiegel“-Bestsellerliste steht, einer der Überraschungserfolge des Jahres. „Ein Buch für fast 35 Euro, das sich so lange oben hält, das ist erstaunlich“, meint er und fügt fast überrascht ob des Interesses hinzu: „Das sind 1000 Seiten nur über Schröder.“ An die 30 000-mal wurde die Biografie schon verkauft, bald erscheint die 2. Auflage, und Weihnachten, traditionsgemäß eine der stärksten Verkaufszeiten im Buchhandel, steht erst noch vor der Tür.
Zu dem Erfolg des Buches hat sicher auch die Präsentation durch Bundeskanzlerin Angela Merkel beigetragen. Ihr Auftritt mit Altkanzler Gerhard Schröder – eine organisatorische Meisterleistung – fand deutschlandweit Beachtung und bestätigt die Strategie Desagas. Gelingt es ihm, seine Autoren in einem bekannten überregionalen Medium zu positionieren, läuft die Marketing-Maschinerie meist von selbst an. Das Beispiel der Schröder-Biografie zeigt auch, dass die PR-Abteilungen großer Verlage das ganze Jahr daran arbeiteten, Akzente zu setzen, Dennoch bleibt die Buchmesse ein Dreh- und Angelpunkt. Während sich mit Werbetüten und Flyern bepackte Besucher durch die Hallen schieben, wird in den Hinterzimmern oder bei den Abendveranstaltungen über Lizenzen verhandelt.
Das Netzwerk auszubauen, zu halten und die Fühler auszustecken gilt als A und O. So ist auch Desagas Kollegin Julia Hoffmann schon vor der offiziellen Eröffnung der Buchmesse nach Frankfurt gereist. „Es ist eine von zwei Gelegenheiten im Jahr, sich zu treffen“, erklärt sie und meint mit „sich“ wohl das Who's who der Verlagswelt. Als Programmleiterin DVA Sachbuch ist es ihre Aufgabe, neue Autoren zu finden und Preise zu verhandeln. Lizenzen sind bei Sachbüchern in der Regel zwar günstiger zu haben als im Bereich der Belletristik, können aber auch den sechsstelligen Bereich erreichen. Auf der Buchmesse macht sich die kleine Frau mit den kurzen Haaren und den wachen Augen auch ein Bild davon, wie ihre Autoren ankommen. Mit Dohnanyi, dessen Auftritt sie gerade auf der Bühne verfolgt hat, scheint Hoffmann zufrieden. Sie wechselt ein paar Sätze mit Desaga, lächelt und verschwindet in der Menge.
Für Desaga ist der Tag noch nicht vorbei. Inzwischen ist es in der Halle voller als noch am Morgen. Das Klirren der Kaffeelöffel geht im lauter werdenden Rauschen der Stimmen unter. Bevor die Tore um 18.30 Uhr schließen, will sich ein Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Bildungs- und Kulturausschuss, bei Desaga über Neuerscheinungen informieren. Einer der Autoren hat später noch einen Auftritt, und zwischendurch soll trotz aller Planung Raum für das ein oder andere spontane Gespräch bleiben. Wenn die Messe zu Ende ist, hat Desaga kurz Zeit, durchzuatmen. Aber nicht lange. Denn im November steht bereits die nächste Veröffentlichung an.