Buch-Tipps
Elisabeth Herrmann: Der Schneegänger (Goldmann, 448 Seiten, 19,99 Euro)
Ein kleiner Junge wird entführt, alle Ermittlungen laufen ins Leere. Vier Jahre später wird sein Skelett im Wald gefunden. Polizeimeisterin Sanela Beara muss dem Vater die schlimme Nachricht überbringen. Doch die Begegnung mit dem gut aussehenden Darko, der in den Wäldern Brandenburgs als Wolfsforscher arbeitet, löst Zweifel in ihr aus: War es wirklich eine Entführung? Oder wurde der Junge aus einfachen Verhältnissen etwa verwechselt? Doch alle Beteiligten schweigen eisern. Für Sanela gibt es nur eine Chance: Sie schleust sich undercover in die Villa der schwerreichen Familie Reinartz ein, bei der die Mutter des ermordeten Jungen damals gearbeitet hat, und wird hineingezogen in einen Strudel aus Hass, Gier, Verachtung, der auch sie zu vernichten droht.
Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy (C.H. Beck, 366 Seiten, 19,95 Euro)
Jemen 1935. Der kleine Jama, ein halbwilder Straßenjunge, streift mit seinen Freunden durch die Gassen Adens auf der Suche nach Nahrung und ein paar Münzen. Als seine Mutter stirbt, begibt er sich, allein und gefährdet, auf eine Odyssee durch das von Kolonialismus und Faschismus verheerte Ostafrika, nach Somaliland, Dschibuti, Eritrea, in den Sudan, bis nach Ägypten, auf der Suche nach seinem geheimnisvollen, nie gesehenen Vater, dann auf der Suche nach Arbeit und einer Grundlage für ein eigenes Leben. Viele Jahre später führt ihn diese abenteuerliche und verzehrende Reise – Jama ist inzwischen Seemann geworden – nach England. Auf der Grundlage der Erlebnisse ihres Vaters schrieb Nadifa Mohamed einen ebenso erschütternden wie aufwühlenden Roman, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurde.
Nicola Nürnberger: Westschrippe (Open House, 192 Seiten, 22 Euro)
Der Blick der Erzählerin aus einem Berliner Vorort, vermischt mit der ebenso naiven wie schonungslosen Wahrnehmung der Heranwachsenden, macht die Spätphase der Bundesrepublik in vielen Einzelszenen wieder lebendig: den Enthusiasmus der Friedensbewegung, die letzten gefährlichen Zuckungen des Kalten Krieges, die öffentlich ins Bewusstsein gepushte und doch weggeschwiegene RAF, seltsam vergangen wirkende Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten, ländliche Bildungsoffensiven, künstlerisch tätige Aussteiger. Nach vielen Büchern über die letzten Jahre der DDR ist dies ein von Humor durchsetzter Roman über die Endphase der Bundesrepublik.
Alfred Polgar, Ulrich Weinzierl: Marlene (Hanser/Zsolnay, 160 Seiten, 17,90 Euro)
Bereits Mitte der 1920er Jahre, bevor aus der Tingeltangel-Tänzerin der Weltstar wurde, zählte Alfred Polgar zu den Bewunderern Marlene Dietrichs. Sie freundeten sich an, und ehe Polgar 1938 vor den Nazis flüchten musste, schrieb er ein wunderbar zartes Buch über die Diva, das ihre Eigenschaften und Eigenheiten einzigartig zum Ausdruck bringt. Das Gesicht, die Stimme, Beine, Handflächen, ihr Sex-Appeal werden auf unnachahmliche Weise skizziert. Der Leser erfährt von der Zusammenarbeit mit Josef von Sternberg, den Verhältnissen in Hollywood und was sie 1937 über die Zukunft denkt. Jetzt, mehr als 75 Jahre nach seiner Entstehung, erscheint das Buch zum ersten Mal.
Alfred Hayes: In Love (Hanser/Nagel & Kimche, 144 Seiten, 16,90 Euro)
New York in den 1950er Jahren: Auf einer Party erhält eine junge Frau das unmoralische Angebot eines distinguierten Herrn, gegen Bezahlung mit ihm zu gehen. Sie könnte ablehnen, lässt sich aber darauf ein – und zerstört ihr bisheriges Leben. Erst jetzt wird ihrem Freund, den sie verlässt, bewusst, wie sehr er sie liebt. Das Gefühl, die Chance seines Lebens verpasst zu haben, wird ihn für immer begleiten. Im rauchigen, melancholischen Ton eines Miles-Davis-Songs erzählt ist „In Love“ wie John Williams' „Stoner“ oder die Romane von Richard Yates, eine echte Wiederentdeckung.