Jetzt hat die Jury die Qual der Wahl. An diesem Samstagabend vergibt sie im Berlinale-Palast den Goldenen und die Silbernen Bären der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Festivalpublikum und Kritiker haben vor der Preisgala einen klaren Favoriten: Den knapp dreistündigen Spielfilm „Boyhood“ von US-Regisseur Richard Linklater, der mit „Before Sunrise“ 1995 schon einmal den Silbernen Bären für die beste Regie holte. Aber: Berlinale-Jurys gelten als absolut unberechenbar. Und so könnte die Wahl des Gremiums, in dem auch der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz und „James Bond“-Produzentin Barbara Broccoli sitzen, bei der Frage nach dem besten Film am Ende auf ein völlig anderes Werk fallen.
Linklater rollte den Berlinale-Wettbewerb mit seinem Langzeit-Spielfilmprojekt „Boyhood“ gegen Ende des Festivals sozusagen von hinten auf. Keiner der insgesamt 20 Filme im Rennen um die Berlinale-Trophäen, darunter auch für Schauspieler-Leistungen, Regie und Kamera, begeisterte die Zuschauer mehr als „Boyhood“.
Starke deutsche Beiträge
Damit überholte er zum Schluss auch den deutschen Regisseur Dietrich Brüggemann, der mit seinem Drama „Kreuzweg“ über eine junge, radikale Anhängerin einer Gemeinde der katholischen Pius-Bruderschaft lange der Favorit war und immer noch Bären-Chancen hat. Das Besondere an „Boyhood“ ist seine beiläufige, entspannte Erzählweise und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Linklater holte über einen Zeitraum von zwölf Jahren dieselben Darsteller jedes Jahr wieder vor die Kamera.
So entstand mit Ellar Coltrane in der Hauptrolle das berührende Porträt eines Kindes und Heranwachsenden in Texas – mit geschiedenen, streitenden Eltern (Patricia Arquette und Ethan Hawke) und der Belastung einer neu gegründeten Patchwork-Familie. Einziger Makel von „Boyhood“: Der Film feierte seine Weltpremiere nicht in Berlin, sondern beim amerikanischen Sundance-Festival, wo er im vorigen Monat schon ausgiebig bejubelt wurde.
Was am Ende der elftägigen Berlinale bleiben wird, sind die vielen Glamour-Momente mit den Großen des Filmgeschäfts wie George Clooney oder Catherine Deneuve und das gute Abschneiden der vier deutschen Beiträge in der Bären-Konkurrenz. Am letzten Tag des Bären-Rennens starteten am Freitag noch Filme aus Österreich und Japan.