Es geht eine eigentümliche Ruhe aus von dieser Ausstellung. So, als hätten diese Zeichnungen und Skulpturen nach langer Zeit der Trennung aus vielen Richtungen kommend wieder zueinander gefunden. Dabei waren die allermeisten ganz in der Nähe: Im Depot des Würzburger Museums im Kulturspeicher.
Der Kulturspeicher bewahrt den Nachlass der Bildhauerin Emy Roeder (1890-1971). 104 Skulpturen und 778 Zeichnungen, die die Künstlerin in ihrer Geburtsstadt Würzburg wissen wollte, obwohl sie diese mit 20 verließ und nie mehr dort lebte. Ebenfalls auf eigenen Wunsch wurde sie auf dem Würzburger Hauptfriedhof beigesetzt - auch das ein Grund, warum die Würzburger sie gerne für sich vereinnahmen, was wiederum die Gefahr berge, dass Emy Roeder nur als "Regionalkünstlerin" wahrgenommen werde, wie Henrike Holsing vom Kulturspeicher sagt: "Das war sie ganz und gar nicht. Sie war in ganz Deutschland bekannt und ist in eine Liga mit Namen wie Gerhard Marcks einzuordnen." Doch nach Jahrzehnten großer Anerkennung drohe die Künstlerin in letzter Zeit wieder in Vergessenheit zu geraten. Holsing: "Deshalb haben wir gesagt, wir müssen mal wieder was machen."
Holsing ist Kuratorin der großen Emy-Roeder-Retrospektive unter dem Titel "Das Kosmische allen Seins", die bis 10. März 75 Skulpturen und 106 Zeichnungen aus allen Schaffensphasen der Bildhauerin zeigt. Und als weiteres Argument gegen die rein regionale Wahrnehmung geht die Ausstellung anschließend ins Landesmuseum Mainz, die Stadt, in der Emy Roeder nach dem Krieg lehrte, und ins Georg Kolbe Museum in Berlin, wo sie ihre ersten großen Erfolge hatte.
Die Werke stehen in einem reizvollen und – wie sich herausstellt – nur scheinbaren Gegensatz zur bewegten Biografie Emy Roeders: Zeitlebens ist sie unterwegs, um zu lernen, zu schauen, zu zeichnen, zu arbeiten. In Berlin schließt sie sich der Neuen Secession an und ist Mitgründerin der "Novembergruppe", die gleich mit ihrer ersten Ausstellung im Rahmen der Großen Kunstausstellung 1920 in Berlin neben den akademischen Arbeiten des Mainstreams dieser Zeit für Furore sorgt.
Die Zeit des Zweiten Weltkriegs verbringt sie in Florenz
1937 landet ihre Skulptur "Schwangere" in der Nazi-Propagandausstellung "Entartete Kunst". Die Nachricht erreicht sie bereits in Florenz, wo sie nach einem Stipendium in der Villa Romana bis Kriegsende bleibt. 1944 wird sie als Deutsche von den Alliierten sechs Monate lang im süditalienischen Padula interniert, es folgen Jahre der Not in Rom, erst 1949 kehrt sie nach Deutschland zurück, wo sie schnell wieder erfolgreich ist und auch dank sorgfältig gepflegter Netzwerke – sie ist etwa mit Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff befreundet – an der ersten "documenta" 1955 teilnehmen kann.
Selten sieht man ein Lebenswerk, das so wenig offensichtlich von eben diesem Leben gezeichnet zu sein scheint. Tatsächlich arbeitet Emy Roeder ein Leben lang daran, sich in all ihren Themen dem Wesentlichen – "dem Kosmischen allen Seins" – zu nähern. Und obwohl die Phasen ihres Schaffens klar erkennbar sind, vom stark expressionistisch geprägten Frühwerk mit der "Schwangeren" oder den bekannten beiden Arbeiten "Stute und Fohlen" über eine Hinwendung zu naturalistischeren Formen, einem klassizistischen Abschnitt unter Einfluss der florentinischen Renaissance bis hin zur maximalen Reduktion ihrer überdimensionalen Frauengestalten im Spätwerk – obwohl also durchaus Brüche und Schwenks sichtbar werden, so strahlen die Arbeiten doch immer eine sehr charakteristische Harmonie aus. Henrike Holsing: "Es geht ihr um ein inneres Gegenbild, um ein in sich ruhendes, harmonisches Sein."
Dabei stellt sie, anders als Bildhauer späterer Generationen, nicht bestimmte Zustände oder Gefühle unabhängig vom physisch existenten Modell dar. Das, was sie sucht, findet sie immer im leibhaftigen Modell. Eine wichtige Funktion hat dabei die Zeichnung: Oft lässt sich genau nachvollziehen, wie bewusst sie zunächst die Striche mit schwarzer Kreide setzt und wie akribisch sie anschließend dieses Konzept umsetzt.
Die Skulpturen bleiben erst einmal auf Distanz
Das Ergebnis mutet nicht selten zunächst etwas fremdartig an. Vielleicht, weil Emy Roeder den Menschen und Tieren, die sie abbildet, zwar tief ins Wesen blickt, sie aber dennoch nicht entblößt oder gar verrät. Ihre Skulpturen bleiben sozusagen von sich aus erst einmal auf Distanz. Nur, wer sich ihnen mit offener Sorgfalt nähert, kommt ihnen näher. Das geht mitunter sogar Expertinnen so. Die Arbeit "Die Einsame", eine stark reduzierte Figur aus den dunklen Jahren nach Kriegsende, habe sie immer ein wenig langweilig gefunden, sagt Henrike Holsing, "die habe ich erst verstanden, als ich mich näher mit ihr beschäftigt habe".
Bei den Porträts wiederum ergänzt sich das Erlebnis um eine weitere Ebene: Die Bildnisse von Emy Roeders langjährigem Freund und Förderer Hans Purrmann oder von Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff fangen frappierend viel Individualität ein. Sie sind bis zur Kenntlichkeit stilisiert.
"Das Kosmische allen Seins. Emy Roder – Bildhauerin und Zeichnerin". Ausstellung im Museum im Kulturspeicher, Würzburg. Eröffnung Freitag, 30. November, 18.30 Uhr. Öffnungszeiten: Di. 13-18 Uhr, Mi.-Sa. 11-18 Uhr, Do. bis 19 Uhr. Der opulente Katalog kostet 24,90 Euro (Deutscher Kunstverlag).