Kein Eintritt, keine Spendenbox, kein Platz mehr frei im Saal des Jüdischen Gemeinde- und Kulturzentrums Shalom Europa in Würzburg, wo das Duo Bassion "Projekt: Rosa" auf die Bühne bringt. Bassion, das sind die diesjährige Würzburger Kulturpreisträgerin, Kabarettistin, Schauspielerin, Sängerin und Entertainerin Birgit Süss und Klaus Ratzek, der sie an Kontrabass und Tuba musikalisch begleitet.
Der gut einstündige Auftritt findet im Rahmen der Veranstaltungen zu "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" statt, er ist der vor 150 Jahren geborenen Rosa Luxemburg gewidmet. Mit – leider – wenigen Gesangsstücken, eigenen Worten und Gedanken, mit Zitaten aus politischen Texten und Briefen von und über diese Ausnahmepersönlichkeit beleuchtet Süß schlaglichtartig Facetten der polnischen Exilsozialistin.
Bei der Beisetzung bleibt ihr Sarg leer – ihre Leiche ist noch nicht gefunden
Nickelbrille auf der Nase, in roter Bluse und langem schwarzen Rock, schlüpft die Künstlerin in die Rolle der „roten Rosa“ und zäumt, eingeleitet von dunklen Kontrabass-Klängen, deren Lebensgeschichte vom brutalen Ende her auf. Gejagt, verschleppt, misshandelt von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, wird die erst 47-Jährige, ebenso wie Karl Liebknecht, wenige Tage nach der blutigen Niederschlagung des Januaraufstands ermordet. Doch da ihre Leiche in den Landwehrkanal geworfen und erst Ende Mai 1919 gefunden wird, bleibt ihr Sarg bei der Beisetzung der Opfer des Januaraufstands leer.
Dafür hält dann ihr Rechtsanwalt, der linkssozialistische Politiker Paul Levi, bei der zweiten, beeindruckenden Trauerfeier für sie seine, nach Süss' Meinung, wohl beste Rede, aus der sie ausgiebig zitiert: "Sie haben den Leib getötet, aber der Geist ist nicht tot geworden! Der Geist, er lebt, er lebt heute mehr denn je."
Der Geist einer Frau, die dem polnischen jüdischen Bildungsbürgertum entstammt, die für ihre Zeit einen ungewöhnlichen Weg geht, sich schon in jungen Jahren politisch engagiert, nach dem Abitur (als Beste an ihrer Schule) deswegen sogar in die Schweiz flüchten muss. Hier studiert und promoviert sie, erkennt aber, dass sie als polnische Exilsozialistin für ihr Ziel, die Weltrevolution, "in Deutschland, dem Heimatland der SPD" effektiver kämpfen kann.
Bei aller Stärke blitzen auch Kampfmüdigkeit und Selbstmordgedanken auf
Und hier setzt sie den Kampf fort, setzt sich in die Nesseln, wird mehrfach angeklagt und zu Gefängnisstrafen, unter anderem wegen Majestätsbeleidigung, einige Jahre später wegen "Anreizung zum Klassenhass", verurteilt. Was dem Engagement der Frau, die von sich sagt, zum "Führen geboren" zu sein, die "vor jedem Mann ihre Frau steht", nichts anhaben kann. Im Gegenteil, sie plädiert fürs Frauenwahlrecht, für Frauen in der Politik, auch wenn unterstellt werde, "Frauen sind dafür zu emotional, ihr Hirn ist zu kein, ihr Körper zu schwach".
Bei allem Verkünden der Emanzipation, bei allem "Einsatz für die proletarische Frau" versteht sich die vom bürgerlichem Lager als "blutige Rosa" bezeichnete charismatische Sozialistin dennoch als Pazifistin: "Ich will ein besseres Leben für alle, auch für Tiere. Mein Mitgefühl geht bis in die Natur."
Doch bei aller Stärke blitzen auch Kampfmüdigkeit und Selbstmordgedanken auf, wegen des sich abzeichnenden Krieges und des Umfallens der SPD in der Frage der Kriegskredite. Sie verwirft diese Gedanken, zu sehr hängt sie an ihrem "erfüllten Leben". Dem Applaus nach zu schließen hätten die Anwesenden gern mehr darüber gehört, als es in der gefühlt kurzen Stunde möglich ist.
Weitere Termine sind für Anfang März im Theater am Neunerplatz geplant.