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SCHWEINFURT
Bildhafte „Hexenjagd“ in Zeiten bedrohter Demokratie
In Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ greifen Hysterie, Gemeinheit und Eigennutz ineinander. Von links: Carsten Klemm, Alexander Kuchinka, Ralf Grobel, Iris Boss, Christian Meyer, Wolfgang Seidenberg.
Foto: Dietrich Dettmann | In Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ greifen Hysterie, Gemeinheit und Eigennutz ineinander. Von links: Carsten Klemm, Alexander Kuchinka, Ralf Grobel, Iris Boss, Christian Meyer, Wolfgang Seidenberg.
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:47 Uhr

Arthur Miller hat das Drama „Hexenjagd“ aus Protest gegen die Verfolgung von vermeintlichen Kommunisten und „subversiven Elementen“ in der McCarthy-Ära geschrieben, in den USA der frühen 1950er-Jahre. Wenn das Tourneetheater Euro-Studio Landgraf Millers wohl meistgespieltes Stück heute auf die Bühne bringt, dann hat das mit Trump, Erdogan, Orbán oder Kaczyñski zu tun, mit einer Zeit, in der Demokratie und Freiheit höchst bedroht sind. Hinweise darauf ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programmheft.

Mit „Hexenjagd“ greift Müller ein reales Ereignis aus dem späten 17. Jahrhundert auf, als in der Kleinstadt Salem an der Ostküste eine Hysterie ausbrach und Dutzende der Hexerei Verdächtiger zum Tode verurteilt wurden. In seiner Inszenierung, die kurz nach ihrer Premiere zur Eröffnung der neuen Sprechtheater-Saison Theater der Stadt Schweinfurt gezeigt wird (weitere Vorstellungen am Freitag und Samstag), hat Volkmar Kamm das Drama in die Moderne geholt. Die Kleidung könnte aus den 1950er-Jahren stammen, Laptop und Handy verweisen ins Jetzt.

Zeichen der Bedrohung

Im Zentrum der schwarz ausgeschlagenen Bühne (Ion Itoafa) steht ein übermächtiges Kreuz, das sich im Laufe des Abends immer mehr mit Blut verfärbt: kein Zeichen der Versöhnung, vielmehr eines der Bedrohung, des Schreckens.

Am Anfang tanzen junge, leicht bekleidete Mädchen zusammen mit der dunkelhäutigen Sklavin Tituba ekstatisch in einem Wald und werden dabei vom Pfarrer ihres Ortes erwischt. Einige werden ohnmächtig, gemeinsam fallen sie in eine tiefe Verwirrung. „Es geht um Hexerei“, heißt es vom Rand der Bühne, von wo aus Alexander Kuchinka das Geschehen immer wieder musikalisch kommentiert.

Pfarrer Parris (Ralf Grobel) hat in der Gemeinde keinen leichten Stand. Um auf der sicheren Seite zu sein, ruft er den Exorzisten Hale (Christian Meyer) herbei. Mächtig unter Druck gesetzt, beschuldigen die Mädchen einander gegenseitig und zeigen auf andere, Unschuldige, so dass die gesamte Stadt mit einem Prozess überzogen wird. Dem Verfahren entkommt nur, wer, wie in der Inquisition des Mittelalters, gesteht.

Viel Körperlichkeit und wildes Geschrei

Kamm unterstreicht den Wahnsinn, in dem er mit sehr viel Körperlichkeit und oft wildem Geschrei spielen lässt. Das gilt vor allem für die ersten beiden Akte, in der für Zwischentöne kaum Raum bleibt. In dieser Gesellschaft herrscht Verrat. Um eigene Interessen durchzusetzen, wird gelogen, Teufel- und Hexenwahn werden instrumentalisiert, etwa wenn der Großgrundbesitzer Putnam (Carsten Klemm) an das Grundstück eines anderen heran will.

Im Zentrum steht Proctor, ein einfacher Bauer, der sich den allgemeinen Gepflogenheiten entzieht, nicht zur Kirche geht, auf seiner Freiheit beharrt und mit dem Hausmädchen Abigail seine Frau betrogen hat. Wolfgang Seidenberg zeigt ihn ein wenig einfältig, verschämt, bereuend. Am anrührendsten ist die Szene, als er mit seiner verhärmten Frau (Iris Boss) über den Ehebruch spricht. Da hält die Inszenierung kurz inne, um dann mit dem Prozess wieder Tempo aufzunehmen. Ausgelöst hat ihn Abigail. Sie hat nicht nur ihren Job bei den Proctors und den Liebhaber verloren. Das zierliche Mädchen (Hannah Prasse) ist zutiefst verletzt, sinnt auf Rache.

Ins Zentrum des Prozesses, den Richter Danforth und Pfarrer Parris, sich über das Kreuz erhebend, gemeinsam führen, so wie sich die Inquisition die weltliche Macht zu Nutze machte, steht schließlich Proctor. Carsten Klemm gibt den Richter herrisch und einschüchternd, in schlimmster Freisler-Manier und doch zunehmend zweifelnd. Proctor könnte sich dem Todesurteil nur durch ein falsches Geständnis entziehen. Ringt darüber mit seiner schwangeren Frau und zerreißt dann doch das Papier, das er bereits unterschrieben hat.

Diese Schlussszene ist ergreifend. Das Publikum dankt mit lang anhaltendem Beifall.

Weitere Vorstellungen am Freitag, 28., und Samstag, 29. September, 19.30 Uhr. Karten unter Tel. (0 97 21) 51 49 55 oder 51 0.

 
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