
Ein Plastik-Affe in rotem Pagen-Kostüm erwartet uns am Eingang, neben der Statue hält ein Araber in Frack und Zylinder die Tür auf. Über dem Eingang bilden große Glühlampen den Namen des Hauses: „Walled Off Hotel“. Das Hotel in Bethlehem, Palästina, ist das neueste Projekt des britischen Streetart-Künstlers Banksy, der weltweit für seine politischen und gesellschaftskritischen Kunstwerke bekannt ist, sich allerdings als Phantom inszeniert. In der Öffentlichkeit lässt er sich nicht sehen, seine Kunst soll für sich alleine stehen.
Von außen wirkt das Hotel deplatziert, eine Erinnerung an eine längst vergangene, koloniale Zeit inmitten der Kulisse des Nahostkonflikts. Der Weg, der von der Bushaltestelle zum Hotel führt, ist staubig und kaputt. Plastiktüten wehen im kalten Wüstenwind, vor dem die Menschen sich mit um den Kopf gewickelten Palästinensertüchern schützen. Auf der anderen Seite des Hotels ist es windgeschützter. Wir – eine Journalistenkollegin und ich – befinden uns direkt vor den Sperranlagen aus Beton, die Israel vom palästinensischen Autonomie-Gebiet trennen. Obwohl es hier windstill und warm ist, läuft uns ein Schauer über den Rücken: Solch eine Mauer steht für Unterdrückung.
Wie in einem britischen Club
Wir treten durch die Eingangstür des Hotels – und sind in einer anderen Welt. Hier in der Hotellobby ist es gemütlich. Ein kleines Feuer brennt im offenen Kamin, wir hören Klaviermusik und werden von einem elegant gekleideten Kellner empfangen. Wir sind im beginnenden 20. Jahrhundert gelandet – in einem britischen Gentleman-Club. Wir lassen uns zu einem Tisch führen. Jetzt haben wir Zeit, unsere Umgebung genauer zu betrachten.
Auf den zweiten Blick sehen wir, dass vieles hier, entgegen dem ersten Eindruck, gar nicht so harmonisch ist. Das Feuer im Kamin, das so gemütlich gewirkt hat, brennt nicht auf Holz, sondern Gasflammen züngeln über Betonüberreste, aus denen Eisenstäbe ragen. Darüber ein Schild: „Achtung giftig!“. Die Einrichtung der Lobby spielt mit Bekanntem, das sich erst beim zweiten Hinsehen als schonungslose Darstellung einer brutalen Realität entpuppt. Über dem Kamin hängt ein Triptychon, wieder ein bekannter Anblick: Dünen und Meer. Im Vordergrund treiben aufgeblasene Rettungswesten an den Strand. Aber wo sind die Besitzer?
Der Kellner bringt die Karte. Sofort fällt der englische Afternoon Tea ins Auge, eine weitere Referenz an die britische Herrschaft über Palästina während der Kolonialzeit. Der ganze Raum ist gespickt mit derartigen Anspielungen, mit denen Banksy auf die Rolle der Engländer im Nahostkonflikt aufmerksam machen will. An der Wand über einer der bequemen Sitzbänke reihen sich Teller mit Porträts der britischen Königsfamilie, Prinzessin Diana neben der Queen und Prinz Philip, darüber wieder ein Bruch: gekreuzte Vorschlaghämmer und Steinschleudern, darüber eine Jagd-Analogie, Überwachungskameras auf wappenförmigen Holzplatten, wie sie als Halter für Geweihtrophäen verwendet werden.
Jamil Khader, Anglistik-Professor an der Bethlehem Universität und Banksy-Forscher, sieht darin eine Nebeneinanderstellung des technisch ausgefeilten israelischen Überwachungsapparats und der rohen Gewalt der Palästinenser.
Der Balfour-Declaration hat Banksy einen eigenen Raum gewidmet. In ihr sieht der 1974 geborene Künstler den Ursprung des Konfliktes. In der Erklärung sicherte 1917 der damalige britische Außenminister Arthur James Balfour den Juden eine eigene nationale Heimat im Gebiet Palästina zu. Im Balfour-Raum sitzt eine Puppe, ein viktorianisch gekleideter Mann, an einem Schreibtisch und unterzeichnet ein Dekret.
Das Essen kommt – eine dreistöckige Etragere mit Scones, Kuchen und Gurkensandwiches. Gleich darauf kommt ein Mann neugierig auf uns zu. Wie es hier schmecke, möchte er wissen. Gut – wir fühlen uns endgültig in ein viktorianisches England versetzt und vergessen für einen Augenblick die Wand vor unserem Fenster und die kalte Wüstenluft. Hier, umgeben von Darstellungen einer unterdrückten Gesellschaft, fühlen wir uns absurderweise wohl. Ob das der Künstler so beabsichtigt hat? Wir sprechen mit dem jungen Mann, der sich an unserem Tisch gesetzt hat. Moody Rabfogel ist Fremdenführer aus Tel Aviv und hat seine Touristengruppe in der Geburtskirche zurückgelassen, um einen Blick in das neue Hotel zu werfen.
Was hält er davon, dass ein Mann wie Banksy es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf die Unterdrückung Palästinas durch die Israelis aufmerksam zu machen: „Ich finde es schade für unser Land, dass erst ein ausländischer Künstler kommen musste, um Aufmerksamkeit auf die Mauer zu lenken. Das Hotel an sich finde ich gut, aber an manchen Stellen ist die Darstellung ein wenig zu vereinfacht“
Ob das hilft?
Jamil Khader nennt die Installation ein kraftvolles politisches Statement. Ihm ist vor allem wichtig, dass die Besucher zum Denken angeregt werden und die Eindrücke und Informationen, die sie in dem Hotel bekommen, mit nach Hause nehmen. Auch wir verlassen das Hotel nachdenklich.
Doch hat der Künstler mit diesem Projekt wirklich das richtige Mittel gefunden, um auf die Lage in der Region aufmerksam zu machen? Die behütete Atmosphäre in den Räumen könnte von dem, was sich vor dem Hotel abspielt, ablenken. Auf dem Weg nach Jerusalem durchqueren wir einen der Checkpoints. Als Europäer haben wir hier nichts zu befürchten. Die Soldaten mit Maschinengewehren wollen unsere Pässe nicht einmal sehen. Palästinenser dagegen werden genau kontrolliert.
Vielleicht hilft das Hotel wirklich, die Menschen für die Situation der Palästinenser zu sensibilisieren. Immerhin – nach Palästina hat uns Banksy schon geführt.