
(epd/dpa) Starkes Symbol für die Meinungsfreiheit: Der Goldene Bär geht an den mutigen Iraner Jafar Panahi. Trotz Verbots drehte der Regisseur heimlich die Komödie „Taxi“, die am Samstag bei den 65. Berliner Filmfestspielen mit dem Hauptpreis, dem Goldenen Bären, ausgezeichnet wurde. Auf unbekannten Wegen wurde Panahis halbdokumentarischer Film über das schwierige Leben in Teheran zur Berlinale geschmuggelt. Der Regimekritiker, der einem Arbeits- und Ausreiseverbot unterliegt, durfte nicht zum Festival kommen. Seine zehnjährige Nichte Hana Saeidi nahm den Preis für ihren Onkel unter Tränen entgegen. Sie spielt im Film ein zehnjähriges Mädchen namens Hana, das von Zensur im Filmunterricht erzählt und mit einer Kamera in der Hand den Onkel ausfragt.
Der Regisseur am Steuer
Rund ein Dutzend Fahrgäste steigen in das Sammeltaxi, das durch Teheran fährt. Am Steuer: Regisseur Jafar Panahi, der vor fünf Jahren im Iran zu sechs Jahren Haft sowie zu 20 Jahren Arbeits- und Berufsverbot verurteilt wurde; nur durch Zahlung einer Kaution kam er frei. Es sind schillernde, doch ganz alltägliche Fahrgäste, die in „Taxi“ in Panahis Auto steigen – ein glühender Befürworter der Todesstrafe, eine Anwältin, deren Mandantin vom Hunger- zum Durststreik übergeht, zwei ältere Damen, die ihre im offenen Glas transportierte Goldfische aussetzen wollen, ein Videohändler, der mit dem berühmten Regisseur einen Deal machen will.
Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen dem oppositionellen Iraner und dem Festival: 2006 gewann sein Film „Offside“ über einen weiblichen Fußballfan einen Silbernen Bären, 2011 hatte ihn Festival-Chef Dieter Kosslick in die Jury eingeladen, er durfte aber nicht ausreisen, 2013 zeigte Panahi im Wettbewerb den wie „Taxi“ aus dem Iran herausgeschmuggelten Film „Pardé“. Sicherlich ist der Goldene Bär auch als politisches Statement zu verstehen, dennoch ist Panahis Film auch von einer tiefen Menschlichkeit und einem leisen, subversiven Witz durchdrungen. So richtig auf dem Schirm als Kandidaten für den Goldenen Bären hatte man „Taxi“, der gleich am ersten Festivaltag lief, am Ende nicht mehr. Was für die Qualität des Wettbewerbs in diesem Jahr spricht.
Es gab ästhetische Experimente. Sebastian Schipper zeigte in seinem fulminanten „Victoria“ die Odyssee einer Gruppe junger Leute durch den frühen Morgen Berlins. Schipper hat den ganzen Film in einer einzigen Einstellung gedreht, 140 Minuten lang, vom nächtlichen Herumdriften auf den Dächern der Stadt bis zum Bankraub und der anschließenden Schießerei am frühen Morgen (siehe auch Kasten rechts).
Und wer den Film des Russen Alexej German jr. gesehen hat, „Under Electric Clouds“, wird dessen fahle, ausgebleichte Bilder nicht vergessen. Germans sieben Episoden spielen im Jahr 2017, in einem postapokalyptischen Zwischenzustand, in dem die baulichen Überreste gescheiterter Utopien herumstehen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Kameraleute dieser beiden Filme, Sturla Brandth Grovlen („Victoria“) sowie Evgheniy Privin und Sergey Mikhalchuk, für ihre Arbeit Silberne Bären erhalten haben.
Große Namen punkten nicht
Mit den großen Namen des Weltkinos konnte der Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele in diesem Jahr, wie schon so oft, nicht protzen – und wenn, dann enttäuschten sie. Werner Herzog lieferte mit seiner US-Produktion „Queen of the Desert“ ein seifiges Wüstenepos, Peter Greenaway versuchte in seinem „Eisenstein in Guanajuato“ den berühmten sowjetischen Filmregisseur Sergej Eisenstein eher bemüht vom Sockel zu stoßen. Nein, in diesem Jahr überzeugten die kleinen Filme, die von den Rändern dieser Welt kamen.
Die Preisträger der 65. Berlinale
Goldener Bär: „Taxi“ von Jafar Panahi (Iran)
Silberner Bär (Großer Preis der Jury): „El Club“ von Pablo Larraín (Chile)
Silberner Bär (beste Regie): Radu Jude (Rumänien) für „Aferim!“ Malgorzata Szumowska (Polen) für „Body“
Silberner Bär (beste Darstellerin): Charlotte Rampling in „45 Years“ von Andrew Haigh (Großbritannien)
Silberner Bär (bester Darsteller): Tom Courtenay in „45 Years“ von Andrew Haigh (Großbritannien)
Silberner Bär (herausragende künstlerische Leistung: Sturla Brandth Gr?vlen – Kamera in „Victoria“ von Sebastian Schipper (Deutschland) Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk – Kamera in „Under Electric Clouds“ von Alexei German (Russland)
Silberner Bär (bestes Drehbuch) Patricio Guzmán (Chile) für „Der Perlmuttknopf“
Alfred-Bauer-Preis: „Ixcanul Volcano“ von Jayro Bustamante (Guatemala)“
Goldener Bär (bester Kurzfilm): „Hosanna“ von Na Young-kil (Südkorea)
Silberner Bär (Kurzfilm) „Bad at Dancing“ von Joanna Arnow (USA)
Bester Erstlingsfilm: „600 Millas“ (600 Miles) von Gabriel Ripstein (Mexiko) Text: dpa
Preisträger-Porträts
Charlotte Rampling (Silberner Bär als beste Darstellerin): Die 69-jährige Britin begann ihre Karriere als Fotomodell. In den 60er Jahren spielte sie in ihrer Heimat in Komödien mit. Eine Hauptrolle in Luchino Viscontis Anti-Nazi-Drama „Die Verdammten“ (1969) brachte ihr Weltruhm. Seitdem hat die aparte Charakterdarstellerin zahlreiche Filme von Regie-Stars wie Patrice Chéreau, Claude Lelouch, Woody Allen und François Ozon entscheidend geprägt. Zu ihren bekannten Filmen gehören „Swimming Pool“, „Melancholia“ und „Alles, was wir geben mussten“. Auch in der US-amerikanischen Fernsehserie „Dexter“ war Charlotte Rampling zu sehen.
Tom Courtenay (Silberner Bär als bester Darsteller): Courtenay wurde 1962 mit seinem Kinodebüt, der Hauptrolle in Tony Richardsons „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“, zum Star in seiner Heimat England. Internationalen Ruhm erspielte er 1965 als Revolutionär Pascha in der legendären Romanverfilmung „Doktor Schiwago“. Courtenay, der 2001 von Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen wurde, gilt als wählerisch und nimmt nur wenige Rollenangebote an. Zuletzt feierte der am 25. Februar 1937 geborene Schauspieler 2012 einen Erfolg in Dustin Hoffmans Regiedebüt, der Adaption von Ronald Harwoods Theaterstück „Quartett“.
Sturla Brandth Gr?vlen (Silberner Bär für eine herausragende künstlerische Leistung): Er drehte als Kameramann von „Victoria“ des Deutschen Sebastian Schipper 140 Minuten Film, in Echtzeit und ohne Schnitt. Der 34-jährige Gr?vlen folgte einen ganzen Film lang einer Gruppe Jugendlicher, die in Berlin in einer Nacht in die Kriminalität abrutschen. Dafür musste der Norweger die mehrere Kilo schwere Kamera fast zweieinhalb Stunden ohne Unterbrechung tragen. Er musste mit ihr treppauf, treppab rennen, in Autos hinein und wieder hinaus, durch verschiedene Räume. Dabei galt es, das sich ständig ändernde Licht zu beachten und sich zugleich auf die improvisierenden Schauspieler zu konzentrieren. Gr?vlen studierte zunächst auf der Kunst- und Designakademie Norwegens in Bergen und dann auf der „National Film School of Denmark“ in Kopenhagen. Seit 2009 arbeitet er als Kameramann. Nach vielen Kurz- und zwei Dokumentarfilmen kam 2014 mit „I am Here“ der erste von ihm gestaltete Spielfilm heraus. In dem dänischen Film trat Sebastian Schipper neben Hollywood-Star Kim Basinger in einer Hauptrolle auf. Seitdem ist er mit Schipper befreundet. Derzeit arbeitet Sturla Brandth Gr?vlen an neuen Filmen in Island und Dänemark. Fotos dpa/Text: dpa, hele