Dirk Albert Felsenheimer: Ganz astrein Country ist es ja nicht. Das bin ich auch gar nicht, sondern das Interessante ist, glaube ich, die Mischung aus meinen erarbeiteten – um es mal jugendsprachlich zu sagen – Kompositions-Skills gemischt mit dem Stilbewusstsein von Smokestack Lightnin' (Nürnberger Countryband, mit der Bela B auf dem aktuellen Album zusammenarbeitet, Anm. d. Red.). Aber tatsächlich hab' ich mich schon in früher Jugend dafür begeistert. Knackpunkt war eine Aufzeichnung des Johnny-Cash-Konzerts im Gefängnis San Quentin, wo er den Song „San Quentin“ nicht spielen durfte und ihn trotzdem immer wieder anstimmte. Die Gefängnisleitung stellte aus Angst vor einer Revolte den Strom ab, gab aber schließlich auf, und er konnte den Song spielen. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Das war, glaub' ich, noch ein, zwei Jahre, bevor Punk in mein Leben trat. Ich habe das immer als Rock-'n'-Roll-Rebellentum par excellence empfunden. Das hat mich sehr beeindruckt. Außerdem stehe ich halt auf gute Musik fast jeglicher Art.
Felsenheimer: Als wir Die Ärzte gründeten, haben Farin Urlaub und ich zusammengewohnt und uns auch viel alte Musik angehört: Country, Rockabilly, die Musik der 50er- und 60er-Jahre. Was man den ersten Platten der Ärzte auch anhört. 1996, auf dem „Planet Punk“-Album, ist das Lied „Goldenes Handwerk“ ja auch ein Country-Song. Es geht mir auf dem neuen Soloalbum gar nicht um puren, reinen Country. Es geht für mich vielmehr um eine naturalistische, akustische Musik. Wir spielen zwar auch E-Gitarren und nutzen Verzerrer, aber wir haben eine andere Wärme, wir sind weg vom Punkrock, weg vom Hardrock, weg von Heavy-Metal Da gibt es natürlich viele Country-Elemente, aber auch Folk. Und durch mich kommt da natürlich auch viel Rock rein.
Felsenheimer: Die Platte ist keine Parodie. Aber so viel Punkrocker bin ich dann doch, dass ich Genre-Grenzen nicht unwidersprochen akzeptieren kann und mich nicht in ein Korsett stecken lassen will. Es gibt schon Diskussionen, auch mit Smokestack Lightnin', die dann sagen, das würde man als Country-Musiker überhaupt nicht tun. Und da setz' ich dann mal meinen Kopf durch, mal beuge ich mich, je nachdem, was mir mein Gefühl sagt. Aber ich lasse Smokestack Lightnin' natürlich auch viel Platz in meiner Musik. Ich nehme diese Platte schon sehr ernst, und ich bin sehr stolz drauf. Ich habe die letzten drei Stücke, die ich für die Platte geschrieben habe, komplett in diesem Stil komponiert. Trotzdem möchte ich nicht in einem Atemzug mit Truck Stop (deutsche Countrvband, Anm. d. Red.) genannt werden.
Smokestack Lightnin' waren schon als Vorband auf einer Ihrer früheren Solotouren dabei. Wie kam es zu der engeren Zusammenarbeit für das aktuelle Album?
Felsenheimer: Weil ich Fan bin. Ich hab die Band im Radio entdeckt und mir dann alles von denen besorgt, was ich kriegen konnte. Schließlich hab ich sie als Support für das zweite Album engagiert und später noch mal für ein größeres Konzert als Ko-Headliner gebucht. Wir hatte immer wieder auch privaten Kontakt. Da ist dann eine richtige Freundschaft erwachsen. Speziell Mike und Bernie, der Schlagzeuger und der Bassist, haben mir oft CDs oder Kassetten geschickt mit Musik aus deren Kosmos und somit meinen Horizont erweitert. Jedenfalls wurde 2010 die Idee geboren eine gemeinsame Platte zu machen. Wir haben angefangen uns in Proberäumen zu treffen, Stücke auszuprobieren, und Songs hin und her zu schicken. Doch dann kam erstmal einiges dazwischen, unter anderem eine Ärzte-Platte, bis wir 2013 endlich ins Studio gegangen sind und die Platte aufgenommen haben.
Wie war das mit Sängerin Peta Devlin? Mit der war ja zunächst nur ein Duett geplant, jetzt zieht sich die Zusammenarbeit durchs ganze Album. Wie kam es dazu?
Felsenheimer: Wenn es nach mir geht, bleibt diese Frau jetzt in meinem musikalischen Leben noch sehr lange bestehen; gern auf Augenhöhe. Ich bin so ein Fan von dieser Frau. Sie ist ein wahnsinnig musikalischer und ein wahnsinnig toller Mensch, der mich total inspiriert. Acht Stunden am Tag ist sie irgendwie mit Musik beschäftigt, sie ist auch noch Toningenieurin und Multiinstrumentalistin.
Wie sind Sie auf Peta Devlin aufmerksam geworden?
Felsenheimer: Auf der Suche nach Duettpartnern, die ich ja auch auf meinen anderen Soloalben immer hatte, haben mir Smokestack Lightnin' unter anderem Peta Devlin vorgeschlagen. Ich habe mich mit ihr getroffen und gleich ihre Begeisterung für Musik gespürt. Ich wollte ihr eigentlich nur das Lied, das ich mit ihr zu singen plante, vorspielen, doch sie hat dann darum gebeten, noch die ganze Platte hören zu dürfen. Da war sie gleich voll drin. Wir haben uns dann noch einmal zufällig bei einer Hörspielaufnahme getroffen. Da war sie Toningenieurin, was ich gar nicht wusste. Plötzlich saß da die Frau, mit der ich ein Lied singen will am Regler. Das hat mich beeindruckt. Wir waren später gemeinsam auf eine Geburtstagsparty eingeladen und da hab' ich dann, nach zwei, drei Wein, die Chance genutzt, sie zu fragen, ob sie nicht in die Band einstiegen möchte. Ihre Antwort war: Ich dachte, du fragst nie (lacht). Das war aber, glaub' ich, ein zurechtgelegter Satz. Sie hat mir dann später gesagt, dass sie ihrem Mann, der auch auf der Party war, ganz begeistert von meinem Angebot erzählt hat.
Etwas Besonderes hat es mit den Einzählern Der neuen Songs auf sich. Die stammen alle von bekannten Countrysängerinnen. Wie schwierig war es, die zum Mitmachen zu bewegen?
Felsenheimer: Ich hab' mir da ein ganz schönes Ei gelegt. Zum Glück hat sich die Produktion eh lange hingezogen, da hatte ich noch Zeit, mich darum zu kümmern. Es sind auch nicht nur Countrysängerinnen. Es sind zum Beispiel auch Katzenjammer aus Norwegen dabei, von denen ich großer Fan bin. Grundsätzlich haben wir Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und zum Beispiel ein Telefonat mit Wanda Jackson arrangiert. Was gar nicht so einfach war. Die Frau sitzt in Oklahoma, ist über 80 und auch nicht wild auf Extra-Arbeit. Aber wir haben sie dann irgendwann am Frühstückstisch erwischt, und das war ein ganz nettes Gespräch, bei dem sie mir dann auch die Einzähler über Telefon gegeben hat.
Felsenheimer: Nein. Ich habe es irgendwie Backstage zu Emmylou Harris (legendäre US-amerikanische Country-, Folk- und Rocksängerin, Anm. d. Red.) geschafft und mein neues Aufnahmegerät mit ihr eingeweiht. Leider habe ich vor Aufregung aber vergessen, auf „Aufnahme“ zu drücken. Ja, das ist mir passiert, und es war fucking Emmylou Harris, die mir da einen Einzähler draufgesprochen hatte. Ich hab' ihr dann eine lange Mail geschrieben, aber es kam keine Antwort. Na ja, shit happens. Peta (Devlin, Gastsängerin auf der aktuellen Tor, Anm. d. Red.) war dabei, und für sie ist mit dem Treffen ein Traum in Erfüllung gegangen. Dafür hat es sich allemal gelohnt.
Felsenheimer: Ja. Es sind tolle Geschichten passiert. Ich kam beispielsweise zu einem Abendessen mit Lucinda Williams (US-amerikanische Rock- und Countrysängerin, Anm. d. Red.). Nur eine Woche nach Emmylou Harris hat mich das dann sehr entschädigt. Bei Lucinda Williams sagten alle: „Nie und nimmer wird die das machen.“ Und ihr Roadmanager hat auch alles versucht, um es zu verhindern. Doch zum Glück hat Ina, die Mitbesitzerin meines Lieblingsplattenladens in Berlin und eine alte Freundin von Lucinda Williams, das mitbekommen, mich bei der Hand genommen und gesagt: „Du kommst jetzt backstage, wir machen das jetzt.“ Schon allein für all diese Erlebnisse hat es sich gelohnt. Ich habe Emails in die ganze Welt verschickt. Wir hatten Kontakt zu Doris Day oder Petula Clark, zu Joan Jett und Suzi Quatro. Auch wenn es dann oft nicht geklappt hat, war diese Jagd sehr aufregend.
Felsenheimer: Einen Freiraum hab' ich mir natürlich schon mit meinen anderen Soloplatten geschaffen. Ich spiel' ja deutlich kleiner als die Ärzte und bediene auch mit Smokestack Lightnin' und Peta Devlin die Erwartungshaltung nicht unbedingt. Es gibt wenig Publikumsanimation, im Gegensatz zu den Ärzten. Den Fehler hab ich anfangs bei meinen Solosachen noch oft gemacht. Ich weiß, dass es auch Überzeugungsarbeit ist bei dem ein oder anderen. Es kommen Leute mit Ärzte-Shirts zu unseren Konzerten, aber es sind gar nicht so wahninnig viele. Klar gibt es Überschneidungen bei den Fans. Wir haben auch einen hohen weiblichen Anteil. Aber gerade in letzter Zeit kommt 'ne Klientel zu meinen Solokonzerten, die ich bei den Ärzten gar nicht so häufig sehe. Das sind Plattensammler und Leute, denen man ansieht, dass die sich schon ganz genau aussuchen, zu welchen Konzerten sie gehen. Die auch auffallen zwischen den jungen, aufgedressden Damen, die mir mit den Augen Herzchen zuwerfen.
Sie spielen ja solo – im Vergleich zu Auftritten mit den Ärzten – vor relativ kleinem Publikum. Wie fühlt sich das an?
Felsenheimer: Ich finde es total angenehm. Die Nähe zum Publikum ist toll. Man sieht die Reaktionen des Publikums. Mir macht das total Spaß und es ist zum Teil ja auch so gewollt - aber ich weiß eben auch, dass ich im Moment die ganz großen Hallen noch nicht fülle. So geniesse ich die Clubatmosphäre und freue mich über jeden, dem's gefällt.
Was macht mehr Spaß? Vor der Masse zu spielen, oder das kleine, intime Set im Club?
Felsenheimer: Na ja, bei der Band mit dem Ä kriegen wir alles hinterhergetragen. Ein Blick reicht, und ich bekomme mein Lieblingsgetränk auf die Bühne, so ungefähr. Uns wird schon wahnsinnig viel abgenommen. Man hat ein sehr angenehmes, aber auch ein sehr isoliertes Leben auf Ärzte-Tour. Das ist jetzt natürlich mit dieser Sache gar nicht so. Es ist so, dass ich teilweise nach den Konzerten auch noch ins Publikum gehen, mit den Leuten rumstehen und über Musik reden kann. Das ist schon anders. Ich finde, beides macht gleich viel Spaß. Ich genieße das mit den Ärzten; den Erfolg haben wir uns ja erarbeitet. Aber ich genieße das jetzt auch sehr. Ich bin ein wahnsinnig glücklicher, ausgeglichener Mensch, wenn ich nachts im Tourbus in die Koje steige, und ertrage es sogar, 800 Kilometer in einem wackelnden Bus zu schlafen. Da brauch' ich das Fünf-Sterne-Hotel gar nicht.
Felsenheimer: Das ist richtig. Für mich heißt, einen klaren politischen Standpunkt zu haben, sich zu äußern, auch in Interviews und im Handeln. Beim Song- und Textschreiben ist es allerdings so, dass ich keine Strichliste von Themen habe, die ich jetzt noch abhaken muss. Es hat sich beim aktuellen Album so ergeben, dass mir zu den Songs Texte eingefallen sind, bei denen Liebesthemen dominieren; wo der Blick auf die Verwirrung und die Kompliziertheit der Liebe fällt. Das ist ein unerschöpfliches Thema, und das passt natürlich zu dieser akustischeren Musik, die wir machen, sehr gut. Es ist einfacher, zu brachialen Punkriffs dann auch Parolen zu rufen. Ich engagiere mich aber zum Beispiel bei „Laut gegen Nazis“ oder „Kein Bock auf Nazis“, solche Sachen. Ich bin in der Stiftung „Viva con Agua“. Ich denke, dass schon klar ist, welch Geistes Kind der Bela ist. Da braucht man jetzt mit 'nem NPD-Ausweis in der Tasche nicht auf mein Konzert zu kommen.
Felsenheimer: Ja. Wir haben uns auch schon als Ärzte Anfang der 80er gegen diese Zeigefingermusik gewehrt. Der Punk hat ja rebelliert gegen diese ganzen Automatismen und gegen die verlogene Hippie-Protestsongwelle. Und dann war 1981 eigentlich Punkrock genau dasselbe. Was 'ne gute Punkband war, die stand auf der Bühne und sagte „Scheiß Bullen“, „Scheiß Staat“, „Wir müssen was verändern“. Die Bands haben genau den Zeigefinger, gegen den sie einst angesungen hatten, erhoben. Und wenn du das nicht gemacht hast, kamen die Lederjacken mit den Nieten drauf an und haben gesagt: „Du bist zu unpolitisch.“ Letztendlich sind dann viele Bands wie die Ärzte, wie die Toten Hosen entstanden, die keine Lust darauf hatten. Die Hosen haben natürlich schon hin und wieder den Moralin-Apfel in ihren Songs gehabt, aber das sei ihnen gegönnt.
Felsenheimer: Also im Moment schreib' ich tatsächlich wieder Songs, um Musik mit Peta Devlin und Smokestack Lightnin' zu machen. Farin Urlaub hat ja jetzt auch sein Album rausgebracht und macht nächstes Jahr 'ne große Tour. Da ist er dann erstmal 'ne Weile weg, insofern brauch' ich mir da jetzt vor 2016 keine Gedanken zu machen. Irgendwann treffen Farin, Rod und ich uns und überlegen, was und wie und wann und wo und ob überhaupt. Ich arbeite parallel gerade an einem musiklastigen Film, der vielleicht nächstes Jahr verwirklicht wird, und den Soundtrack werde ich, wenn das alles klappt, lieber mit Smokestack Lightnin' und Peta Devlin machen. Um Arbeit muss ich mir also keine Sorgen machen (lacht).
Dirk Albert Felsenheimer und sein Auftritt in Würzburg
Bela B, mit bürgerlichem Namen Dirk Albert Felsenheimer (geb. 14. 12. 1962), hat sich vor allem als Schlagzeuger der deutschen Rockband Die Ärzte einen Namen gemacht. Inzwischen ist er auch als Solokünstler erfolgreich. Zu seinem Künstlernamen ließ er sich von Dracula-Darsteller Bela Lugosi inspirieren. Sein neues, vom Country inspiriertes Album, mit dem der Musiker momentan auf Tour ist, heißt „Bye“.
In Würzburg (Posthalle) wird Bela B am 30. November auftreten. Mit dabei: die Country Band Smokestack Lightnin' und Sängerin Peta Devlin. Eintrittskarten unter Tel. (01805) 60 70 70 und im Internet unter: www.argo-konzerte.de