Selten, dass eine Premiere in Bayreuth mit herzlichem, leidlich ausgiebigem Applaus aber ganz ohne Buhs zu Ende geht. Vielleicht bringt das Jan Philipp Glogers Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ von 2012 auf den Punkt: Sie ist mehrheitsfähig. Womit man sie vielleicht unterschätzt. Denn die zweieinviertel Stunden ohne Pause sind kurzweilig, nicht selten komisch, an den richtigen Stellen dramatisch und nicht zuletzt dank des wunderbaren Bühnenbilds von Christof Hetzer in jeder Phase auch optisch ein Genuss.
Hetzer hat eine raumfüllende Lichtinstallation geschaffen, die Glogers Ansatz illustriert. Wind und Wetter sind kunstvoll leuchtender Hochtechnologie gewichen, laufende Zahlenreihen zeigen, worauf es ankommt: auf Profit. Später weicht die Installation einem großen Guckkasten, dessen Stoffwände die Projektionsfläche für Martin Eidenbergers wunderbar stilisierte Videozuspielungen abgeben.
Die Ventilatorenfabrik weckt Sehnsüchte
Wer vor der Wiederaufnahme Interviews mit Gloger gelesen hat, erwartet möglicherweise anstrengende Kapitalismus-Kritik. Die gibt es dann auch, aber sie ist nicht anstrengend – Daland und Steuermann (Peter Rose und Rainer Trost, beide mit schlank und klar geführten Stimmen und erheblichem komödiantischen Talent) haben nur Geld im Kopf, ein Heer von Buchhaltern und Fabrikarbeiterinnen ist ihnen zu Diensten. Dass die Spinnstube Ventilatoren herstellt, ist eine schöne Anspielung auf das allgegenwärtige Windmotiv im „Holländer“, im ernsthaft überhitzten Zuschauerraum des Festspielhauses allerdings dürften bei deren Anblick ganz unwagnerianische Sehnsüchte wach geworden sein.
Gloger entlarvt mit leichter Hand Oberflächlichkeit und Habgier der Schacherer. Herrlich, wie Daland um Senta herumwuselt, um sie mit dem Holländer zu verkuppeln, dem sie ohnehin längst verfallen ist. Oder wie der Steuermann, immer im Dienste der Renditesteigerung seine graugewandeten Mannen dirigiert. Wie immer großartig: der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor.
Senta und Holländer bilden den Gegenpol zur gierigen Masse
Senta und Holländer also bilden dazu den Gegenpol. Der Holländer, weil ihn irdische Güter ohnehin nicht interessieren, Senta, weil sie dem Gefängnis aus Abhängigkeit und Effizienzwahn entrinnen will. Das Duett „Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten“ singen die beiden auf der Drehbühne, auf Kartons stehend wie Statuen auf ihren Sockeln, während ihre Silhouetten unaufhörlich sich wandelnde Schatten auf die Stoffbahnen werfen.
Ein starker Einfall, allerdings bleiben sängerisch Wünsche offen. Ricarda Merbeth und Greer Grimsley (in den Vorstellungen zwei, drei, vier und sechs übernimmt John Lundgren die Rolle) singen beide mit ziemlich großem Vibrato, Merbeth immer mit hochdramatischem Timbre, Greer dagegen mit wenig gestalterischen Ausschlägen nach unten wie nach oben. Musikalisch jedenfalls stiehlt ihnen Tomislav Mužek als Erik die Schau, dessen strahlender Tenor Lust auf mehr macht und in ironischem Gegensatz zu seiner Rollenbeschreibung steht: Bei Gloger ist der verhinderte Verlobte Sentas ein braver Hausmeister.
Vorgang zu, Vorhang auf, neue Geschäftsidee
Axel Kober dirigiert ein Festspielorchester, das im Vorspiel noch ungewohnt matt klingt, dann aber die vielen leichtfüßigen Passagen, die irgendwo zwischen Mendelssohn, Meyerbeer und Offenbach changieren, mit angemessener Duftigkeit und die dramatischen mit befriedigender Wucht abliefert.
Auch wenn der Fluch des Holländers in dieser quasi produktionstechnisch optimierten Umgebung über weite Strecken keine Rolle spielt, zum Schluss kann sich auch Glogers Liebespaar nicht der Ausweglosigkeit entziehen – Senta schlitzt sich selbst den Bauch auf, die Wunde erscheint gleichzeitig beim Holländer. Ihr Schlussbild zeigt sie umschlungen auf einem Papp-Podest wie Figuren auf einer Hochzeitstorte. Dann kurz Vorhang zu, Vorhang wieder auf, neues Bild, neue Geschäftsidee: Die Ventilatorenfabrik produziert nun kleine Senta-Holländer-Figurinen.