Natürlich gibt es auch Leute, die es nicht mögen, wie Klaus Florian Vogt den Lohengrin singt, aber die sind heute nicht da. Wie Vogt diese Partie singt, lässt sich am ehesten so beschreiben: Seine Stimme hält sich nicht an die Bühnenanweisung Richard Wagners, dass Lohengrin bei seinem Auftritt „in glänzender Silber-Rüstung, den Helm auf dem Haupte, den Schild im Rücken, ein kleines goldenes Horn zur Seite, auf sein Schwert gelehnt“ von einem Schwan auf die Bühne gezogen wird.
Man hört keine Rüstung und kein Schwert, die Stimme ist unbewaffnet, und da ist nichts, was gezogen werden müsste. Man kann dies für zu wenig muskulös halten oder zu wenig maskulin, man kann es aber auch aufrichtig finden und musikalisch genial. Weil die Töne nicht vorgeben, etwas anderes zu sein als das, was Töne ohnehin immer sind: in Schwingung versetzte Luft, gerade stabil genug, um ein paar Worte zu tragen. Vogt hat das auch anderswo gemacht, nicht zuletzt an der Deutschen Oper in Berlin, in der Inszenierung von Stefan Herheim.
Trotzdem ist das Bayreuther Festspielhaus der Ort und diese Inszenierung der Rahmen, in dem Vogts Lohengrin wuchs und gedieh: Weil sich auch Regisseur Hans Neuenfels – jedenfalls wörtlich – nicht an die Bühnenanweisung Wagners hält, gleichzeitig aber auf extrem kluge Art damit umgeht.
Das Schwanenmotiv
Sein Bayreuther Lohengrin dreht sich um die Frage, ob blindes Vertrauen möglich ist, bei ihm steckt der Chor – in genialischer Ableitung der sehr eindimensionalen, beinahe reflexhaften Jubel-Furcht-Angst-Attacke-Reaktionen – in Rattenkostüme, und er zieht als roten Faden Variationen des Schwanenmotivs durch den Abend. Auch sein Lohengrin ist unbewaffnet, kein Ritter, sondern ein Mensch wie alle. Bei der letzten Wiederaufnahmepremiere lässt sich Neuenfels, wie schon zuvor, entschuldigen.
Als Klaus Florian Vogt am Ende vor den Vorhang tritt, springen die Zuschauer auf, applaudieren ihm im Stehen. Niemand kann das so wie er: Töne singen, die kein Gewicht haben. Beziehungsweise konnte. Denn im letzten Jahr dieses Bayreuther „Lohengrin“ hat sich die Stimmlage um ein paar Grad nach unten verlagert, die strahlende Mühelosigkeit ist verschwunden. Damit hat Vogt die Aura des Übernatürlichen um ein gutes Stück verloren, die ihn als Lohengrin immer umgab: Weil man sich einfach fragte, wie das gehen kann, wie einer so eine Stimme haben und dann auch noch so auskosten kann. Beziehungsweise konnte.
Vogt ist jetzt, wenn man so will, bei einer gesunden sängerischen Genialität am oberen Ende des Menschenmöglichen angekommen. Und das mag nun übertrieben klingen, aber: Es ist vielleicht besser so. Wäre Vogt tatsächlich noch auf dem einst auf unheimliche Weise gewohnten Niveau gewesen, hätte man die Absetzung der Inszenierung mit diesem Lohengrin darin unmöglich hinnehmen können.
Annette Dasch kehrt als Elsa zurück, einen Sommer hatte sie pausiert, sie ist eine dunklere, wärmere Elsa als ihre Vertreterin Edith Haller. Und sie ist verletzlicher geworden, das Strahlen in der Stimme, das sie in den ersten Elsa-Jahren hatte, ist weg. Es fehlt nicht unbedingt, ihre Interpretation hat jetzt eher eine neue Temperatur.
Wie unter Laborbedingungen
Und wann gibt es das schon: dass man einer Elsa – ja buchstäblich unter Laborbedingungen – dabei zuschauen kann, wie sie in, mit und an der Rolle wächst. Jukka Rasilainen folgt auf Thomas J. Mayer als Graf Friedrich von Telramund, es ist eine Partie ohne Bravourstücke, Rasilainen singt solide und ausgeruht.
Und so ist es Petra Lang, die – mit mal strahlendem, mal schneidendem Mezzosopran – als Ortrud stimmlich den souveränsten Auftritt leistet, wenn auch vor allem deshalb, weil Klaus Florian Vogt ja sozusagen nur im eigenen Schatten steht.
Petra Lang verhandelt gerade über ihren Vertrag als Isolde für nächsten Sommer, natürlich lassen sich die Partien aus vielerlei Gründen nur schwer vergleichen, nach dem „Lohengrin“ hofft man jedenfalls, dass sie sich so schnell nicht aus Bayreuth zurückzieht.
Die zentrale, eigentlich interessante Frage war aber eine andere: Wie würde es Alain Altinoglu mit dem Orchester, dem Chor und der Musik ergehen, nach fünf stilprägenden und, es ist die Wahrheit, wunderbaren Jahren mit Andris Nelsons? Altinoglus „Lohengrin“ ist geerdeter, ein wenig routinierter, viel weniger impulsiv und damit näher an den Noten, aber auch: weniger bunt. Altinoglu wagt - vor allem im dritten Aufzug - mehr Geschwindigkeit, später dann viel mehr Entschleunigung. Der Jubel am Ende ist gewaltig groß.