„Hymn“. Klar, eine Hymne. Die Hymne von Barclay James Harvest. Hat eine Band so ein Ding in der Historie, hat sie damit in aller Regel auch einen gewaltigen Klotz am Bein. Da kann sie ihre Konzerte so nett bestücken wie sie mag – am Ende warten alle auf den Mega-Hit. Barclay James Harvest, zumindest in der Variante mit John Lees, können sich da um einiges glücklicher schätzen: In der Würzburger Posthalle rutschen die rund 350 Fans keineswegs nervös auf ihren Stühlen herum, weil „Hymn“ fast drei Stunden auf sich warten lässt. Der Applaus kommt verlässlich immer dann, wenn die vier Briten gut sind – und sie sind ziemlich oft gut.
Vor allem dann, wenn der Lyrik-Rock tüchtig proggt. Und das tut er ausreichend in Teil zwei des Auftritts. Teil zwei? Ja, ja, Gitarrist und BJH-Gründungsmitglied John Lees geruht mit seinen drei Mitstreitern nach einer Dreiviertelstunde ein 20-minütiges Päuschen einzulegen. „Ihr könnt euch ein Bier an der Bar holen, während wir ein kleines Schläfchen halten“, witzelt Bassist und Sänger Craig Fletcher, der nun auch schon 20 Jahre an Lees' Seite steht. Der Boss freilich feiert 50 Jahre Barclay James Harvest, gleichwohl die Band 1998 in zwei Teile zerfallen ist – in den John Lees' und Les Holroyds.
Heute also die Lees-Variante. Und die sucht vor der Pause noch ein wenig ihre Linie. Der Chef mit seinen 71 Lenzen vor allem seine Stimme, die gerade bei „Child of the Universe“ arg brüchig wirkt. Erst bei „In Memory of the Martyrs“ deuten Barclay James Harvest an, welch Eigenschaft sie in den Siebzigern und Achtzigern so erfolgreich gemacht hatte: das Gespür, grandiose Melodien und feinfühlige Lyrik nie ins Seichte oder Schwülstige abgleiten zu lassen. Ob's ein paar Tröpfchen Alkoholisches in oder das sehr intime, sechs rare Stücke umfassende Akustik-Medley gleich nach der Unterbrechung dafür verantwortlich war, wird ein Geheimnis bleiben: Aber jetzt haben sich die vier gefunden. Einfach virtuos: „Mocking Bird“.
Dann wird es melancholisch. 2010 hatte sich Keyboarder Woolly Wolstenholmes, BJH-Urgestein sowie neben Lees und Fletcher Mitgründer dieses neuen Band-Flügels, das Leben genommen. „Nachdem er uns allen noch Weihnachtskarten geschickt hatte“, erinnert sich der Bassist. Auf seiner stand „On Leave“ – nun ein Titel der 2013 nach zwölf Jahren Arbeit fertig gestellten Platte „North“. Dem Verstorbenen zu Ehren gibt's selbstverständlich ein ausuferndes Keyboard-Solo. Damit auch Lees, mit sechs Gitarren auf die Bühne gekommen, nicht zu kurz kommt, darf bei „Loving is easy“ auch mal krachend gerockt werden; ohne dass der Meister ein Schrittchen zuviel macht – introvertierter geht's kaum.
Mit „Medicine Man“ und dem Sechziger-Jahre-Doppel „The Poet/After the Day“ gibt's zwei mächtige Prog-Rock-Walzen zum regulären Ende. Lees und Co. sind jetzt voll in ihrem Element. Die Pause hat der Kondition der Briten offenbar gut getan. „Poor Man's Moody Blues“, der Song, mit dem die Band vor 41 Jahren jene Kritiker narrte, die meinten sie sei nichts weiter als „Moody Blues für Arme“, und, freilich, „Hymn“ als Zugaben – so sind's dann doch fast okay brutto – drei Stunden. In denen den Fans mit „Life is for Living“ der vermutlich unsinnigste BJH-Hit erspart geblieben ist. Gut so!