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KÖLN
BAP in Franken: Was Wolfgang Niedecken zornig macht
BAP: Kurz vor seinem 65. Geburtstag überrascht Wolfgang Niedecken selbst langjährige Fans – der Chef der Kölsch-Rocker BAP singt hochdeutsch! Im Interview erklärt er auch, warum er immer noch sehr zornig sein kann.
Wolfgang Niedecken       -  Wolfgang Niedecken: „Jetzt ist es soweit, dass der Terror bei uns vor der Tür steht. Wir können ihn nicht mehr wegzappen.“
Foto: Marius Becker, dpa | Wolfgang Niedecken: „Jetzt ist es soweit, dass der Terror bei uns vor der Tür steht. Wir können ihn nicht mehr wegzappen.“
Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:06 Uhr

Lebenslänglich“ bedeutet auch ein bisschen unvergänglich. Nicht von ungefähr heißt so das erste Studioalbum von BAP seit Wolfgang Niedeckens Schlaganfall im Jahr 2011. Sein Haar leuchtet grau, aber er wirkt deutlich jünger, als er in Wirklichkeit ist. Und wenn es um Ungerechtigkeit oder das Flüchtlingsdrama geht, kann er sich immer noch in Rage reden. Seit vier Jahrzehnten widersteht Niedecken jeglichen Trends und Moden und schreibt beharrlich Songs im kölschen Dialekt. Auf „Lebenslänglich“ schlägt er erstmals auch hochdeutsche Töne an – und kommt dabei so abgeklärt und lässig rüber wie nie zuvor.

Frage: Als junger Mann waren Sie zornig, singen Sie in dem Song „Alles relativ“. Sind Sie es noch immer?

Wolfgang Niedecken: Kommt drauf an, was gerade los ist. Aber ich spring' nicht mehr so schnell auf den Tisch wie früher. Mit 64 hat man schon einiges erlebt, aber ich kann schon noch sehr zornig sein. Zum Beispiel bei unverschämten Ungerechtigkeiten, bei Ignoranz.

Können Sie die zornigen jungen Muslime verstehen, die voller Hass gegen die westliche Welt sind?

Niedecken: Also, ich verstehe das, aber ich verzeihe es nicht. Das ist ein großer Unterschied. Gerade junge Menschen haben hochtrabende Ideale im Kopf, und die können furchtbar missbraucht werden. Diese jungen Männer im Nahen Osten werden manipuliert. Aber es gibt auch eine altersbedingte Abenteuerlust und so etwas wie Revolutions-Chic. Auch damit lassen sich manche auf Wege führen, die unmenschlich sind. Sie sind vollkommen manipuliert, und das ist bitter. Aber wenn ich mal an meine eigene Entwicklung zurückdenke: Wie viele laufen immer noch mit einem Che-Guevara-T-Shirt rum, obwohl schon lange ersichtlich ist, dass Guevara es in der Kubakrise auf einen Atomkrieg ankommen lassen wollte. Seitdem ich das weiß, habe ich mit dem Mann ein Problem. Wir sind alle manipulierbar.

Wie schützen Sie sich davor?

Niedecken: Ich versuche, mich ständig zu informieren. Als ich dieser zornige junge Mann war, habe ich meinem Vater Vorwürfe gemacht, wie er sich zur Nazizeit verhalten hat. Da war ich selbstgerecht, aber die Jugend darf das sein. Irgendwann stellte ich mir natürlich die Frage, wie ich mich denn verhalten hätte, wenn ich im Nationalsozialismus eine Familie zu ernähren gehabt hätte. Hätte ich mich angepasst oder nicht? Das geht nur, wenn man sich selbst immer wieder hinterfragt. Heute tut mir vieles leid, was ich meinem Vater damals an den Kopf geworfen habe.

Was kann jeder Einzelne von uns gegen blinden Hass tun?

Niedecken: Jetzt ist es soweit, dass der Terror bei uns vor der Tür steht. Wir können ihn nicht mehr wegzappen. Wir dürfen vor allen Dingen nicht verallgemeinern und Leute damit einbeziehen, die mit dem Terror gar nichts zu tun haben. Die Muslime leiden am meisten unter diesen Wahnsinnigen. Es wäre ganz bitter, die Flüchtlinge für diesen Extremismus auch noch schuldig zu erklären. Dann ginge nämlich die Saat des Islamischen Staates auf. Wir müssen uns darüber im Klaren werden, was Saudi-Arabien und Katar betrifft. Aus diesen Ländern wird der Islamische Staat in erster Linie finanziert.

Aber man kann die Isis nicht einfach bombardieren, denn jeder Kollateralschaden führt dem IS weitere Verblendete zu. Bodentruppen sind schon in Vietnam, in Afghanistan und im Irak gescheitert. Es geht nur, wenn man sich nicht mehr vom Handel mit Saudi-Arabien und Katar abhängig macht und Putin wieder einbindet. Es ist weltpolitisch eine sehr schwierige und komplizierte Situation. Auch die israelische Politik ist einem Friedensprozess nicht gerade förderlich.

Durch die Anschläge in Paris ist „das Böse“ auf einmal ganz nah. Müssten Künstler sich mehr mit gesellschaftlich relevanten Ausprägungen des Bösen beschäftigen?

Niedecken: Jeder Mensch sollte das tun! Ich finde es immer problematisch, wenn das ausgerechnet die Künstler tun sollen, denn das wird dann schnell anmaßend im Sinne von: Ich habe den Plan – mir nach! Bob Dylan hat schon in den 60ern in einem Song geschrieben: „Don?t follow Leaders – watch your Parking Meters!“ Ich bin ein politischer Mensch, deswegen bin ich auch ein politischer Künstler, aber ich mag keine Songs mit Handlungsanweisungen. Politik kann auch schon bei einem Liebeslied anfangen. Mich beschäftigen Schicksale zum Beispiel von Menschen, die in einen Seelenverkäufer steigen, um nach Lampedusa zu kommen.

Die Hauptaufgabe von Musikern ist, Empathie zu erzeugen oder wachzuhalten. Alles andere wäre für mich anmaßend, ich bin ja nicht schlauer als mein Zahnarzt oder mein Schuster.

In „Vision vun Europa“ besingen Sie das Flüchtlingsdrama. „Grenzen dicht machen“, lautet die allgegenwärtige Devise in Europa. Nur noch innerhalb eines „Mini-Schengen“ sollte es weiterhin offene Grenzen geben, meint zum Beispiel die niederländische Regierung. Und außen herum ein Bollwerk von Flüchtlings-Auffangzonen. Verrät Europa seine Ideale?

Niedecken: Vor allem die osteuropäischen Länder müssen lernen, dass Europa nicht nur eine Zugewinn-, sondern vor allem eine Solidargemeinschaft ist. Wenn wir die Solidargemeinschaftswerte nicht aufrecht erhalten, können wir uns ganz Europa sowieso von der Backe putzen. Abschotten geht nicht mehr, wir leben im 21. Jahrhundert in der Zeit des Internets und der Globalisierung. Alle Informationen können weltweit überall empfangen werden, und selbst die Menschen in Pakistan wissen mittlerweile, wie es in Deutschland aussieht und welche Lebensqualität man hier hat. Deswegen drängen sie nach Europa, denn auch sie wollen ihr Leben verbessern.

Man muss einfach viel globaler denken und lokal handeln. Wir müssen unsere anerzogenen Werte hochhalten – die Nächstenliebe und die Empathie. Wenn das nur beim Krippenspiel oder beim Sankt-Martins-Zug stattfindet, dann können wir uns das auch sparen. Dann bleibt nur noch Kitsch übrig.

Wird Frau Merkel sich mit ihrer Willkommenspolitik durchsetzen können?

Niedecken: Manchmal habe ich den Eindruck, Seehofer und Merkel spielen das Spiel Good Cop/Bad Cop. Das große Ziel ist natürlich, den extrem rechten Parteien keinen Zulauf zu verschaffen. Vielleicht ist dieses Spiel sogar okay. Denn es darf rechts von der CSU keine Partei mehr geben, die in irgendeiner Form relevant ist. Deswegen ist es mir dann doch lieber, wenn die von Rechtsaußen wenigstens alle in der CSU aufgefangen werden. Und da gehört der Stammtisch ja schließlich hin.

Auf dem neuen Album singen Sie erstmals auch hochdeutsch. Was wollen Sie damit ausdrücken?

Niedecken: Die Texte habe ich zunächst alle auf Kölsch geschrieben. Und dann gab es Stellen, die irgendwie merkwürdig klangen und bei denen ich mich wie ein Mundartpfleger fühlte. Aber dafür ist BAP nicht angetreten, das ist eher ein Nebeneffekt. Als ich diese Zeilen dann auf Hochdeutsch sang, war da plötzlich ein Fluss drin. Ich vertraue immer meinem Gefühl. Innerfamiliär heißt das: Wenn Vatter die Nackenhaare hochgehen, ist irgendwas falsch.

Am 30. März werden Sie 65 Jahre alt. Macht das Alter Sie gelassener?

Niedecken: Ja. Aber auch melancholischer. Es gibt einfach Sachen, an denen man sich abarbeiten kann wie man will, ohne etwas zu erreichen. Ich will aber nicht als Frustrierter enden! Ich habe immer noch genug Kraft in mir, dass ich weiter gegenhalten kann. Unser Album ist wie ein Vexierbild: auf der einen Seite sehr melancholisch, auf der anderen auch sehr kraft- und humorvoll. Ich bin einfach eine melancholische Frohnatur. Ohne meinen Humor könnte ich wahrscheinlich einiges nicht mehr ertragen. Gottlob bin ich nie zum Zyniker geworden. In „Absurdistan“ heißt es sinngemäß, zynisch und cool zu sein ist keine Lösung. Die Coolness-Polizei geht mir sowieso am Arsch vorbei.

Herrscht bei Ihnen vier Jahre nach Ihrem Schlaganfall wieder Business as usual, oder haben Sie an Ihrem Leben dauerhaft etwas geändert?

Niedecken: Ich habe schon einiges geändert, es gab ganz klar eine Zäsur. Wenn so eine Sache nicht passiert, könnte es sein, dass man die Endlichkeit des Lebens vergisst. Aber das war deutlich. In dem halben Jahr in der Reha wurde mir bewusst, dass ich keine Zeit mehr zu verplempern habe. Manche Leute hatten vielleicht ein bisschen Schwierigkeiten damit, dass da nach dem Schlaganfall plötzlich ein anderer Wolfgang Niedecken war. Ich bin entschlussfreudiger geworden.

Beim Schloss Eyrichshof Open Air in Ebern vom 27. Juli bis 1. August treten auch Wolfgang Niedecken und seine Band auf. Das komplette Programm des Festivals: 27. Juli PUR, 28. Juli „Der Watzmann ruft“, 29. Juli Niedeckens BAP, 30. Juli Martina Schwarzmann, 31. Juli Mark Forster, 1. August „Aida“.
Infos: www.rotenhan.com

 
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