Der Pianist David Gazarov ist einer der virtuosesten Wanderer zwischen musikalischen Welten. Wobei er sich selbst nicht so sieht. Ganz im Sinne des legendären Satzes, den einst Leonard Bernstein gesagt haben (und sich später aber nicht mehr daran erinnert) haben soll, unterscheidet der 1965 in Baku geborene Pianist nicht zwischen Genres, sondern nur zwischen guter und schlechter Musik. 2010 hat er beim Schweinfurter Nachsommer in die Chopin-Lounge eingeladen, diesmal kommt er mit seinem Trio und dem Programm „Bachology“ als Nachfolger von Jacques Loussier, so der Veranstalter-Slogan, am 18. September in die SKF Halle 410.
David Gazarov: Es gibt sehr viele Elemente bei Bach, die auch im Jazz präsent sind. Zum Beispiel Chromatik. Auch die Polyrhythmik, also die Überlagerung mehrerer verschiedener Rhythmen. Generell wird im Barock sehr ähnlich phrasiert wie im Jazz. Wir haben mal mit einem Kammerorchester der Dresdner Philharmoniker ein paar Jazz-Arrangements von mir gespielt. Dabei sollten die Musiker swingen – was für sie ja kein Alltag ist. Sie haben es nicht geschafft bis zu dem Moment, als ich gesagt habe, phrasieren Sie bitte wie Barockmusik.
Und dann hat es plötzlich angefangen zu swingen. Deswegen ist es so naheliegend, Bach zu bearbeiten. Nicht jedes Stück, natürlich. Die h-Moll-Messe würde ich auf gar keinen Fall bearbeiten.
Gazarov: Fast jedes der Brandenburgischen Konzerte kann man bearbeiten, oder die Orchestersuiten.
Gazarov: Bisher noch nicht. Dass ich Bach überhaupt bearbeitet habe, lag nur daran, dass ich damals, als Jacques Loussier nicht mehr spielen konnte, schnell einspringen musste. Was mich anbelangt: Ich liebe Bach so, wie er ist. Ich hätte das nicht gemacht. Aber Sie wissen, wie das heute ist: Wenn Dich ein Impresario anruft und sagt, es gibt einen Markt für so etwas, wir können gute Konzerte buchen, dann überlegt man, vielleicht mache ich das doch. Eigentlich würde ich Bach nicht anfassen, aber wenn schon, dann richtig. Also habe ich versucht, mein Bestes zu geben.
Gazarov: Natürlich. Man kann sagen, dass die Mehrstimmigkeit im Jazz, besonders in Bigband-Arrangements, von Bach übernommen wurde. Bach hat für Oscar Peterson übrigens nicht nur eine rein musikalische Rolle gespielt, sondern auch eine gesundheitliche: Er hatte Probleme mit seinen Händen gehabt, und es konnte ihm keine Therapie, kein Medikament helfen. Er hat dann zwei Stunden am Tag Wohltemperiertes Klavier gespielt, das ist die beste Gymnastik. Er hat sich damit selbst geheilt.
Gazarov: Nein, das nicht. Aber ich gehe richtig vorsichtig ran. Generell ist beim Arrangieren von Klassik die Grenze zwischen gutem und schlechtem Geschmack ziemlich schmal. Da muss man richtig aufpassen. Das beginnt schon bei der Auswahl des Stücks.
Erstens muss man Respekt mitbringen. Zweitens – und das ist meine Grundeinstellung: Es geht nicht darum, ein Stück einfach nach Jazz klingen zu lassen, sondern darum, offensichtlich zu machen, wie zeitlos und aktuell diese genialen Stücke sind. Niemals aber darf die ursprüngliche Botschaft verzerrt werden. Man kann sie mit dem Mittel anderer Stilrichtungen in anderem Winkel, anderem Licht betrachten, aber die ursprüngliche Aussage, die Message, wie man heute sagt, muss erhalten bleiben. Aus einem Trauermarsch kann man keine Zirkusmusik machen. Bei Bachs Italienischem Konzert habe ich über weite Strecken gar nichts verändert, sondern nur episodenweise. Vielleicht verstehen so die 15-, 16-Jährigen: Das ist überhaupt keine alte Musik. Das will ich erreichen. Genau so, wie vielleicht ein, zwei Klassikfans den Jazz für sich entdecken.
Gazarov: Das stimmt. Das wirkt wahrscheinlich so, weil ich nicht zeigen will, so könnte Bach auch klingen, sondern weil ich sage: Das ist so! Als Jacques Loussier in den 1950ern angefangen hat, war der Musikgeschmack längst nicht so liberal wie heute. Die Genres waren streng abgegrenzt. In diesen 60 Jahren ist sehr viel passiert. Heute gibt es viele Zuhörer, die diese Grenzen nicht mehr so unüberwindlich sehen. Es gibt viel mehr Spielraum. Heute kann man als Arrangeur hoffen, dass der Zuhörer das Arrangement versteht. Früher musste man vorsichtiger herangehen. Ich bin sicher, wenn Jacques Loussier heute anfangen würde, wäre das Konzept ähnlich wie meines.
Gazarov: Bei mir ist schon die Grundeinstellung total anders. Bei mir gibt's keine Grenze zwischen Musikrichtungen. Das liegt daran, wie ich aufgewachsen bin. Schon als Kind in der klassischen Szene, ich hatte das Glück, nur mit Professoren zu tun zu haben. Gleichzeitig hat mein Vater eine Bigband geleitet. Ich bin sozusagen auf den Proben aufgewachsen. Außerdem war ich mit den verschiedensten Formen von Volksmusik konfrontiert. Bei uns zu Hause gab es kein Tabu außer schlechte Musik. Wir haben alle alles gerne gehört. Das hat sich in mir total vermischt und eine Fusion gebildet. Ich kann seither keine Grenzen mehr sehen oder fühlen. Man könnte mich nicht zwingen, dass ich generell Jazz oder Klassik mache. Die Geschichte beweist ja, dass das ein ganz natürlicher Prozess ist: Ein Stil entwickelt sich aus dem anderen. Und das geht in beide Richtungen: Debussy, Ravel, Hindemith, Strawinsky oder Schostakowitsch waren stark vom Jazz beeinflusst.
Gazarov: Es ist nie „oder“, sondern immer „und“. Man muss nur unterscheiden zwischen schlechtem und gutem Geschmack, zwischen schlechter und guter Musik. Und man muss wissen, warum ist es gut, warum ist es schlecht.
Karten für das Konzert am Freitag, 18. September, 19.30 Uhr, in SKF Halle 410 und die weiteren Nachsommer-Termine unter Tel. (09 31) 60 01 60 00.