Nicole Fara hat einen Wunsch. Und den meint sie ernst: Österreich soll wieder einen Kaiser bekommen. Und mit dieser Vorstellung ist die 44-Jährige, im Hauptberuf Schmuckdesignerin, nicht allein. „Wir krönen Österreich“ steht auf den Plakaten der Monarchisten-Partei „Schwarz-Gelbe Allianz“ (SGA), der Fara vorsteht. Sie ist überzeugt, dass eine konstitutionelle Monarchie eine Frischzellenkur für die Republik sein könnte. „Heute sind viele unzufrieden mit der Politik. Wir bieten eine andere Staatsform, ohne eine Revolution auszurufen.“
Man könnte meinen, Faras Sehnsucht nach dem Kaisertum müsste auf mehr Beachtung stoßen – in einem Jahr, in dem Österreich in Erinnerungen schwelgt, in dem das Land Kaiser Franz Joseph I. feiert, den ewigen Monarchen, der am 21. November 1916 starb. Doch in Umfragen liegen die Monarchisten meist unter zwei Prozent. Die Zahl der Unterschriften ist bislang zu gering, um bei Wahlen antreten zu können. So sieht es das österreichische Wahlgesetz vor.
Franz Joseph selbst hätte wohl nichts von Faras Partei gehalten. Denn der SGA schwebt, anders als zu Zeiten der Habsburger, eine konstitutionelle Monarchie vor – ein gewähltes Parlament, dem der Monarch als Korrektiv gegenübersteht, ähnlich wie in Norwegen, Schweden oder den Niederlanden. Doch die Frage, was für ein Mensch der Kaiser war, kann heute, fast 100 Jahre nach seinem Tod, kaum noch jemand beantworten. In Österreich leben nicht einmal mehr 20 Menschen, die alt genug sind, um sich aktiv an die Kaiserzeit zu erinnern.
Vielleicht hilft ein legendärer Satz des Kaisers, um sich anzunähern. „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut!“ Diese Worte pflegte Franz Joseph nach jeder Audienz, jedem Kontakt mit dem Volk zu sagen. Der Kaiser, er galt als eifrig, vor allem aber als diszipliniert. Die Floskel soll er sich angewöhnt haben, nachdem eine kritische Bemerkung tragische Folgen nach sich gezogen hatte.
Es war 1857, als der Kaiser im Alter von 27 Jahren den Abriss der Wiener Stadtbefestigung befohlen hatte. An deren Stelle trat die Ringstraße mit ihren vielen Prachtbauten, darunter die Staatsoper. Franz Joseph rutschte die Bemerkung heraus, sie sei eine „versunkene Kiste“, weil ihre Säulen zunächst unter dem Niveau der Fahrbahn lagen. Das war zwar nicht die Schuld der Architekten, doch Eduard van Nüll erhängte sich in seinem Schlafzimmer. Sein Partner August Sicard von Sicardsburg brach kurz darauf tot am Zeichentisch zusammen. Der Kaiser war darüber so erschüttert, dass er seine Meinung fortan nicht mehr öffentlich äußerte.
Die Begebenheit zeigt, wie eng das Korsett war, in das der Monarch gepresst war. Andererseits wird viel darüber berichtet, wie offen und zugewandt er seinen Untertanen bei Audienzen begegnete. Auch Georg Findeis, „Wirklicher Hofrat“ und Forstwirt bei der Landesregierung Niederösterreich, hat so eine Geschichte zu erzählen. „Mein Großonkel arbeitete bei Hof und hatte Spielschulden. Der Kaiser hat sie aus seiner Privatschatulle bezahlt und ihn ermahnt“, berichtet er. Der Onkel wurde daraufhin als Offizier nach Galizien versetzt.
Findeis gehört zu jenen, denen der vorletzte Regent der Habsburger-Dynastie heute noch etwas bedeutet. Doch ein Monarchist ist der 55-Jährige deswegen nicht. Er findet sich auch nicht in den Reihen der verschiedenen Ritterorden, die gelegentlich in Wien mit Deutschmeisterkapelle und Ordensketten unter der Führung ihrer Großmeister aus dem Hause Habsburg aufmarschieren.
Seit Monaten erinnert Wien an den ewigen Kaiser, der mit 18 Jahren den Thron bestieg. Vier große Ausstellungen zeichnen seine Regentschaft nach, die 68 Jahre lang währte: im Schloss Schönbrunn, an mehreren Orten in Wien und Niederösterreich, im Hofmobiliendepot und in der Österreichischen Nationalbibliothek finden sich Dokumente seines Wirkens. Briefe, Zeichnungen, Bilder, Kleider von der Unterhose bis zum Krönungsmantel, Lieblingsspeisen, Menüpläne und Brautschmuck der Kaiserin Elisabeth. 1854 heiratete der junge Franz Joseph die 15-jährige Prinzessin aus dem bayerischen Possenhofen, seine Cousine.
Der Regent selbst, das wird in vielen Ausstellungen deutlich, dürfte die Rolle nicht mit Glück erfüllt haben. Es ist die Tragik, die sein Leben umwehte. Seine erste Tochter Sophie starb mit zwei Jahren. Sein Bruder wurde als Kaiser Maximilian von Mexiko von Revolutionären getötet. Sein einziger Sohn und Thronfolger Rudolf erschoss sich und seine Geliebte gleich mit. Elisabeth, seine geliebte Ehefrau, wurde im Alter von 60 Jahren am Genfer See mit einer Feile erstochen. Und Franz Ferdinand, sein Neffe und Thronfolger, starb 1914, ermordet gemeinsam mit seiner Frau in Sarajevo von einem serbischen Nationalisten. „Es bleibt mir nichts erspart“, soll der Kaiser daraufhin gestöhnt haben.
Die Verluste haben wesentlich zum Mythos Franz Joseph beigetragen. Für andere bleibt die politische Dimension wichtiger, wie für die Familie von Georg Findeis. „Im Hause meiner Großeltern gab es Bilder des Kaisers, aber vor allem auch des Doppeladlers auf Büchern oder Gürtelschnallen.“ Der Doppeladler, der nach Osten und Westen schaute, repräsentiert das Habsburger-Reich als Vielvölkerstaat. Das Reich, das Franz Joseph während seiner Regentschaft formte, führte er mit seinen Entscheidungen auch in den Untergang – auch wenn er diesen nicht mehr miterlebte.
1914 unterzeichnete der Monarch die Kriegserklärung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn an Serbien. Der Versuch eines Befreiungsschlages mündete in den Ersten Weltkrieg, in dem mehr als zehn Millionen Soldaten starben.
Der Kaiser, der fast nur in den Briefen an seine immer auf Reisen weilende Sisi Gefühle zeigte, litt unter den niederdrückenden Frontberichten. Zeigen durfte er seine Trauer nicht. Selbstdisziplin und Beherrschung hatte seine Mutter, die ehrgeizige bayerische Wittelsbacherprinzessin Sophie, ihm von klein auf beigebracht. Schon als Dreijähriger hatte er zu exerzieren, mit sechs lernte er außerdem Französisch und Ungarisch und seine echte Begabung, das Zeichnen, wurde mit mehreren Unterrichtsstunden am Tag gefördert.
Die Resultate kann man heute im Prunksaal der Nationalbibliothek und in Schloss Schönbrunn bewundern. Dort finden sich auch zahlreiche Fotografien des Kaisers, der sich wie ein Medienstar inszenieren ließ. Nur von der Kaiserin, die viele seit den „Sissi“-Filmen verehren, gibt es kaum Aufnahmen. Sie soll sich nach ihrem 32. Geburtstag geweigert haben, sich fotografieren zu lassen. Die vorhandenen Bilder sind retuschiert, die Gemälde von allen Anzeichen des Alterns befreit.
Es sind auch diese Dinge, die das Klischeebild des alten, einsamen Kaisers geprägt haben: die Frau, die er nach allen Selbstzeugnissen wirklich geliebt hat und die diese Liebe nicht zu erwidern vermochte. Die Tatsache, dass sie sich den Anforderungen des Kaisertuns nicht unterwerfen wollte. Ihre ständige Abwesenheit von Wien, die ihn zum einsamen Mann machte.
Und dann ist da noch etwas, was die Sehnsucht nach einem Kaisertum verstärkt – die Beständigkeit der Habsburger-Monarchie, die Österreich in allen gesellschaftlichen und politischen Wirren das Gefühl der Sicherheit gab. So sieht das auch die Gruppe der Paneuropa Union, die Schloss Schönbrunn besucht – dort, wo Franz Joseph 1830 geboren wurde und 1916 starb. Museumsführer Paul kann seinen Besuchern nicht viel Neues erzählen. Sie kennen sich aus mit dem ewigen Kaiser. Immerhin ist Karl von Habsburg, der Enkel des letzten Kaisers Karl, der Vorsitzende der Österreichischen Paneuropa Union. Elisabeth Ulm, seine Vize, meint, Österreich wäre vielleicht einiger als jetzt, wenn es die Monarchie noch gäbe. Nicole Fara, die Obfrau der Monarchisten, sagt: „An der Bundespräsidentenwahl sieht man, wie schwer es ist, jemanden in leitender Position zu finden, zu dem man aufschaut.
Die Habsburger Herrscher waren beständige Vaterfiguren. Den Bundespräsidenten wechseln wir dagegen alle sechs Jahre.“ Also vielleicht irgendwann doch ein Kaiser für Österreich? Dass es die konstitutionelle Monarchie nicht gibt, ist auch auf Franz Joseph zurückzuführen. Er fühlte sich, auch wegen der Ratschläge seiner bayerischen Mutter, dem Absolutismus und dem Gottesgnadentum zu lange verpflichtet. Sophie sei der einzige Mann in Wien, soll Reichskanzler Otto von Bismarck einmal gesagt haben. Solange sie lebte, war sie eine wichtige Beraterin des Monarchen. Als er 1906 Reformen wie das allgemeine Männerwahlrecht einführen wollte, um die auseinanderstrebenden Nationen zu einen, war es schon zu spät für Reformen.
Mit Franz Joseph starb 1916 auch die Monarchie, obwohl ihr Todeskampf noch zwei Jahre dauerte. Sein Großneffe Karl übernahm die Nachfolge. Seit 1915 hatte er mit seiner Frau Zita und den Kindern beim Kaiser in Schönbrunn gewohnt. Dort erlebte Otto von Habsburg als kleines Kind den greisen Kaiser und nahm an der Beisetzung in der Kapuzinergruft teil. An den Särgen erleben Wien-Besucher heute den Mythos Habsburg.
Das aktuelle Oberhaupt der Familie, Karl von Habsburg, erklärt die Popularität des ewigen Monarchen vor allem damit, dass er Kontinuität verkörpert. „Die meisten Menschen seiner Zeit hatten nie einen anderen Kaiser erlebt. Er war einfach immer da.“ Und so ist er selbst jenen Generationen präsent, die viel später gelebt haben.
Große Ausstellungen zeichnen des Leben von Franz Joseph nach
Zum 100. Todestag von Kaiser Franz Joseph findet bis zum 27. November an vier Standorten in Wien und Niederösterreich eine Sonderausstellung statt. Das Kombiticket für alle Ausstellungen kostet 25 Euro. Mehr dazu auf www.franzjoseph2016.at. Schloss Schönbrunn: Am Geburts- und Sterbeort des Kaisers ist die Ausstellung „Mensch und Herrscher“ zu sehen. Im Mittelpunkt stehen Person sowie Vorfahren, Nachkommen, Kindheit und natürlich auch die Ehe mit Elisabeth. Instrumente werden gezeigt, auf denen der junge Franz Joseph übte, Zeichnungen, die er anfertigte. Darüber hinaus werden die wichtigsten politischen Ereignisse seiner Regentschaft beleuchtet.
Kaiserliche Wagenburg: Dort gibt die Ausstellung „Repräsentation und Bescheidenheit“ Einblick in den kaiserlichen Fuhrpark, die unterschiedlichsten Kaleschen, Kutschen und ersten Autos zeugen von einem persönlich bescheidenen Kaiser. Hofmobiliendepot: Hier geht es um „Fest und Alltag“. Thema sind die prachtvollen Hoffeste, Kaiserjubiläen und der persönliche Alltag des Herrschers. Interessantestes Objekt ist eine der seltenen erhaltenen Unterhosen des Kaisers. Schloss Niederweiden: In Niederösterreich geht es um „Jagd und Freizeit“ im Leben des Kaisers. Nationalbibliothek: Hier sind unter dem Titel „Der ewige Kaiser“ Bilder von Malern, Lithografen und Fotografen zu sehen – vom Kleinkind bis zur Totenmaske. Aus der Fülle an Büchern über den Kaiser hier eine kleine Auswahl:
Michaela und Karl Vocelka: „Franz Joseph I, Kaiser von Österreich und König von Ungarn“, 458 Seiten, 26,95 Euro. Martina Winkelhofer: „Der Alltag des Kaisers. Franz Joseph und sein Hof“, Haymon Verlag, 12,95 Euro. Martin Haidinger: „Franz Josephs Land. Eine kleine Geschichte Österreichs“, Amalthea Verlag, 320 Seiten, 24,95 Euro. MSB