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Außergewöhnlich: Der Giraffenflügel aus Franken
Ungetönlich: In dieser Serie stellen Experten Instrumente vor, die eine ungewöhnliche Geschichte haben oder als Exoten gelten. Heute: Ein Giraffenflügel aus Franken oder Warum alte Klaviere anders sind.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 21.12.2015 13:47 Uhr

Wenn ein erfahrener Pianist wie Michael Günther beim Spielen auf die Füße guckt, muss da unten Verwirrendes vorgehen. Ist auch so: Sechs Pedale ragen aus dem alten Instrument. Bei modernen Klavieren sind's zwei oder drei. Doch anno 1825, als der Giraffenflügel die Manufaktur von Christoph Ehrlich in Bamberg verließ, hatte man andere Vorstellungen von Klavieren und den Klangmöglichkeiten, die sie haben sollten. Außergewöhnliche Tasteninstrumente sind Profession und Leidenschaft von Michael Günther. An die 30 Instrumente stehen in den Räumen von Schloss Homburg. Der Giraffenflügel ist neu in der Sammlung und quasi Rarität unter Raritäten. Während sich Klaviere üblicherweise mehr oder weniger in die Fläche ausdehnen, wächst dieses Instrument in die Höhe. Es sieht aus, als habe man einen Flügel hochkant an die Wand gelehnt, was so falsch nicht ist: Saiten samt Rahmen und Resonanzraum sind hinter der Tastatur um 90 Grad nach oben gedreht. Die stattliche Höhe von gut zweieinhalb Metern und die geschwungene Form machen den Namen „Giraffenflügel“ augenfällig.

„Die Bauweise hat mehrere Vorteile“, erklärt Michael Günther. Zum einen benötige das Klavier weniger Platz. Zum anderen profitiere der Klang von der Form, die fast ausschließlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebräuchlich war: „Es sind die längsten Saiten, die es bei einem Tasteninstrument gibt“, sagt Günther, verschiebt diverse Verzierungen an der Vorderseite des Instruments – es sind getarnte Entriegelungen – und nimmt die Front ab: Die dicken Saiten spannen sich von ganz oben, hinter der Tastatur vorbei, bis zum Boden. Bei einem horizontal stehenden Flügel wäre das unmöglich.

Das Ehrlich-Klavier, sagt Günther, habe denn auch einen größeren Tonumfang als vergleichbare Hammerklaviere, und beginnt die Klaviatur zu bedienen. Mit einem „Moment musical“ von Franz Schubert spielt er Musik aus der Bauzeit des Flügels. Manche Spielanweisung kann einfach durch Druck aufs richtige Pedal umgesetzt werden: Bei „pp“ (pianissimo), tritt Günther das dritte Pedal von rechts, ein Lederstückchen schiebt sich zwischen Hämmer und Saiten. Der Ton wird gedämpft. Soll's noch leiser werden – „ppp“ –, ist das vierte Pedal von rechts mit noch stärker dämpfendem Leder die richtige Wahl. „Es ist wie Malen nach Zahlen“, witzelt Michael Günther.

Diese sogenannten Moderatoren, die per Pedal aktiviert werden, verändern nicht nur die Lautstärke, sondern auch die Qualität des Tons. „Es ist ein durch und durch romantisches Instrument“, freut sich der Pianist. „Man kann gut samtige Nachtstimmungen erzeugen. Da ergeben sich ganz neue Interpretationsmöglichkeiten.“ Doch es geht auch anders. Günther spielt einen Walzer, und – tschingbum! – Schlagwerk gibt den Takt. Das Pedal ganz rechts aktiviert Tschinellen und einen Hammer, der gegen den Resonanzboden schlägt. „Auf derartigen Instrumenten spielte man früher auch in Wirtschaften zum Tanz“, erklärt Günther. Das rhythmische Tschingbum! – korrekt heißt der Effekt Türkische Musik – kam da gut an.

Der Giraffendompteur hat zudem Pedale für ein näselndes Fagott-Register (links außen), Dämpfungsaufhebung (Nachhall) und „una corda“ (leiserer Ton) zur Verfügung. Die haben auch moderne Instrumente. Bei der alten Giraffe aber sind sie seitenverkehrt angeordnet. Kein Wunder, dass Günthers Blick immer mal vom Notenblatt zu den Füßen gleitet.

Das besondere Klavier hat auch eine besondere Geschichte. Es war von Anfang an im Besitz derselben fränkischen Familie. Erster Besitzer war wohl der in Maibach (heute Landkreis Schweinfurt) geborene Schullehrer Joseph Glück. Dessen Tochter heiratete 1868 in Würzburg Johann Georg Höller. So kam der Flügel „in eine hochbedeutende unter- und oberfränkische Musikerfamilie“, sagt Michael Günther. Höller-Nachfahren waren Kantoren und Domorganisten in Würzburg und Bamberg. Emilie Margarete, genannt Gretchen, war ab 1901 Domorganistin in Würzburg – und damit die einzige Frau, die deutschlandweit dieses Amt ausübte. Michael Günther zeigt ein Foto: Die noch junge Musikerin sitzt mit hochgeschlossenem dunklem Kleid, aber einem kecken Strohhütchen am Spieltisch.

Ein bedeutender Besitzer

Bedeutendster Besitzer des Giraffenflügels war der 1907 in Bamberg geborene Karl Höller. Der international renommierte Komponist und Dirigent, der schon als Kind die Orgel im Bamberger Dom bediente, zog 1927 nach München, um zu studieren. 1949 wurde er Professor an der Münchner Musikhochschule, 1954 Präsident. Nach Karl Höllers Tod 1987 stand das wertvolle Klavier in seinem Häuschen im oberbayerischen Fischbachau. Höller-Tochter Sibylle will das Haus aufgeben – als Zweithaus zu teuer im Unterhalt. Derzeit räumt sie es aus. Die Noten des Vaters gingen an die Bayerische Staatsbibliothek.

Und der wertvolle Giraffenflügel? Sie selbst spiele „nicht gut“ Klavier, erzählt sie, Kinder hat sie keine. „Verkaufen wollte ich das Instrument nicht. Ich will nichts dran verdienen“, sagt sie. Am liebsten hätte sie ihn nach Bamberg gegeben, dorthin, wo der Vater aufwuchs. In der Residenz habe man sich durchaus interessiert gezeigt, der Transfer kam dann aber doch nicht zustande. Auf Vermittlung einer Bamberger Manufaktur für historische Instrumente kam das Instrument dann letztlich nach Unterfranken. Sibylle Höller ist's zufrieden. In dem Schlösschen hoch über dem Main zwischen Wertheim und Marktheidenfeld werde der Flügel gespielt. Das sei besser, als wenn es nur „im Keller eines Museums rumsteht“. Foto: hele

 
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