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BERLIN
Aus dem Leben eines jungen Mannes in der DDR
dpa
 |  aktualisiert: 08.01.2016 11:05 Uhr

Der Verbrecher Verlag nimmt es mit Humor: Mit „Frisch geschwärzt“ wirbt er für Chaim Nolls Erinnerungen „Der Schmuggel über die Zeitgrenze“. Das Buch sollte bereits im März zur Leipziger Buchmesse erscheinen, durfte aber aufgrund einer juristischen Intervention der Schriftstellerin Monika Maron nicht ausgeliefert werden. Sie fühlte sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt.

Nun sind zwei Seiten teilweise, eine Seite komplett mit einer weißen Folie überklebt. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur sagte Noll, dass Monika Maron keine besondere Rolle in seinem Buch spiele. Er geht auf viele Zeitgenossen am Rande ein, am besten ist das Buch aber an den Stellen, an denen er über seine eigene Geschichte schreibt. Chaim Noll, 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ost-Berlin geboren, erzählt assoziativ von seiner Kindheit in der DDR, einem Land, in dem er sich fremd fühlt.

Er fällt zunächst durch sein dunkles Aussehen, später durch sein individualistisches, und damit den Prinzipien der sozialistischen Moral widersprechendes Verhalten auf. Seine Erinnerungen spannen einen Bogen von seiner behüteten Kindheit in einer staatstreuen Familie über seine Wehrdienstverweigerung bis hin zum Ausreiseantrag.

Als Sohn des in der DDR angesehenen Schriftstellers und Funktionärs Dieter Noll („Die Abenteuer des Werner Holt“) wächst er privilegiert und geschützt auf: Er geht mit Kindern von Ministern, Generälen und Schauspielern zur Schule und hat wenig Kontakt zur „Arbeiterklasse“. Seine Eltern verkehren mit Prominenten der DDR, deren Geschichten Chaim Noll gern verfolgt, darunter der Schriftsteller Bodo Uhse, Kulturminister Klaus Gysi oder Nina Hagens Eltern.

Interessanter als seine Ausführungen zu anderen Personen ist seine eigene Geschichte – wie er mit seiner jüdische Herkunft umgeht und sich von der DDR-Propaganda gegen Israel nicht beeindrucken lässt, oder wie er, ein junger Kommunist, immerhin für einige Jahre SED-Mitglied und für „eine Karriere vorgesehen“, sich entschließt, auf keinen Fall zur Armee zu gehen. Ergreifend sind die Stellen, in denen er beschreibt, wie er verzweifelt versucht, die Einberufung zur NVA zu verhindern. Er, der Sohn eines „hochgeschätzten Genossen“, fängt an zu hungern, um ausgemustert zu werden. Er begibt sich in psychologische Behandlung, wird in die Nervenklinik der Charité eingewiesen.

Obwohl er nicht die direkte Konfrontation sucht – Wehrdienstverweigerung war in der DDR ein Straftatbestand –, schlägt der Staat mit sogenannten „Maßnahmen zur psychologischen Zersetzung“ zurück: Seine Frau, die Tochter des gefragten Illustrators Werner Klemke, erhält Morddrohungen, eine Fensterscheibe seiner Wohnung wird eingeschlagen. Die Prominenz der beiden Väter kann Schlimmeres verhindern.

Wer sich von Nolls mäandernder Schreibweise nicht abschrecken lässt, erhält interessante Einblicke in das Leben eines jungen Mannes in der DDR, der seinen eigenen Weg sucht und gegen erhebliche staatliche Widerstände findet. Am 8. Mai 1984 darf er nach West-Berlin ausreisen. An diesem Tag endet für ihn seine Kindheit. Seine Heimat hat er gefunden: Seit 1995 lebt Chaim Noll in Israel.

Chaim Noll: Der Schmuggel über die Zeitgrenze (Verbrecher Verlag, 496 Seiten, 26 Euro)

 
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