Theaterfreunde mit Neigung zu Bandscheibenvorfällen, bitte aufgepasst! Wenn Sie demnächst das Rhythm-and-Blues-Musical „Blues Brothers“ nach dem Kultfilm von John Landis in Meiningen besuchen, bereiten Sie sich bitte mit Dehn- und Streckübungen auf die nicht enden wollenden Standing Ovations und Wechselgesänge vor, die die Vorstellung begleiten.
Einen solch Sehnen und Seelen durchrüttelnden Saisonauftakt hat es, abgesehen von den beiden Rocky-Horror-Shows, am Meininger Theater in den vergangenen 30 Jahren nicht gegeben. Seele und Körper der Menschen zu erschüttern, um den guten Kern zu animieren, Energie für Freude, Trost und Hoffnung zu spenden – das ist eine der Wurzeln des amerikanischen Blues und eine tragende Säule des Gospel.
Ein Signal gegen Hass und Dumpfbackigkeit
Im Blues-Brothers-Film von 1980 mit John Belushi und Dan Aykroyd verbinden sich diese Elemente mit einem temporeichen Roadmovie, haarsträubenden Slapstickszenen und wunderbarer Ironie und Selbstironie, mit der sich die tiefen Brüche im American Way of Life leichter ertragen lassen. Angesichts des Wachstums von Dumpfbackigkeit und Hass diesseits und jenseits des Atlantiks sind öffentliche Darbietungen wie diese nötiger denn je. Sie wecken selbst in jenen Menschen freudig-freundliche Lebenskräfte, die eher den Klängen der Heimat verbunden sind als jenen von Rhythm and Blues.
Zu „Everybody needs somebody to love“, dem „Jailhouse Rock“, zu „Sweet Home Chicago“, „Gimme Some Lovin'“ und ungezählten anderen Pop- und Rock-Klassikern hüpfen und tänzeln sogar leicht verkrustete Seelen. Alsbald fühlt man sich inmitten einer euphorisierten Gospel-und-Blues-Gemeinde an der Seite von Aretha Franklin, Ray Charles, Otis Redding oder Cab Calloway. In Sachen freudiger und lustvoller Animation ihrer Gemeinden könnten die geistlichen Führer traditioneller Gottesdienste hierzulande einiges dazulernen.
Verruchte Bar, Hillbilly-Schuppen und Festsaal im Palace Hotel
Das Große Haus des Meininger Theaters wird zur Kirche, zum Konzertsaal, zur verruchten Bar, zum Hillbilly-Schuppen und zur Landstraße in einem. Regisseur Dietmar Horcicka (von dem auch die Bühnenfassung stammt), seinem Inszenierungsteam, der Band und dem Ensemble gelingt es tatsächlich, das Haus für zweieinhalb Stunden in eine „Hall of Music“ zu verwandeln, die dem Saal im Palace Hotel ziemlich nahe kommt, in dem die Blues Brothers nach hanebüchenen Verfolgungsjagden auf der Flucht vor Polizisten, einer schwerbewaffneten Exgeliebten, Neonazis und anderen weißen Rassisten ihr Coming Back feiern.
Bewundernswert dynamische Bühnenbilder von Helge Ullmann befördern die Atmosphäre, glamouröse und charmant zeitgeistige Gewänder von Christian Rinke, eine temporeiche und pfiffige Choreografie von Julia Grunwald, fantastische Musiker um Bandleader Thomas Kässens und ein freudiges, eingespieltes Ensemble, dem es sichtlich bis zum letzten Schweißtropfen Spaß macht, sich selbst und das Publikum aus dem Häuschen zu bringen.
Ein Dreamteam in Sachen Komik und Charakter
Die „Spiritual Leaders“ des Abends, im Gesang und im gesamten Habitus, sind der schwarze Sänger und Schauspieler Melvin Edmondson (der bereits als Backgroundsänger mit Harry Belafonte auf Welttournee war), das Dreamteam in Komik und Charakter Renatus Scheibe und Sven Zinkan als Jake und Elwood Blues und die fantastische Rock- und Blues-Röhre Christine Zart, die als Mutter Oberin, Aretha Franklin und in anderen markanten Rollen den Rhythm im Blut hat. Um sie gruppieren sich in ständig wechselnden Gestalten Matthias Herold, Björn Boresch, Vivian Frey, Mira Elisa Goeres und viele andere, die dem Motto des Abends lustvolles Leben einhauchen: „And now, enjoy the show.“
Nächste Vorstellungen: 12. und 14. September 19:30 Uhr, 23. September 15 Uhr, 29. September 19.30 Uhr. Kartentelefon Tel. (0 36 93) 45 12 22. www.meininger-staatstheater.de