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FERNSEHEN
Aufstand der Untoten: "Walking Dead"
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „The Walking Dead“ oder Vom Verfall Amerikas.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.02.2015 12:54 Uhr

Man hätte „The Walking Dead“ ohne allzu großen Aufwand auch in Detroit drehen können. Heruntergekommen genug wäre die einstige Boomtown, glaubt man den schaurig-schönen Bildern vom Verfall, die dieser Tage kursieren. So aber spielt die Serie in und um Atlanta/Georgia. Eine rätselhafte Seuche hat einen Großteil der Bevölkerung in blutdurstige Untote verwandelt, die scheinbar ziellos herumstolpern und jeden, den sie beißen, seinerseits in einen Untoten verwandeln.

Ein kleines Grüppchen Lebendiger hat sich zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden, die versucht, in dieser postapokalyptischen Welt ohne Sicherheit und Infrastruktur zu überleben. Es ist wenig überraschend, dass sich dabei nicht die Untoten – in diesem Fall heißen sie „Streuner“ – als die gefährlichsten Feinde entpuppen. Homo homini lupus, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, gilt natürlich auch hier.

Der Zombie ist neben allerhand Superhelden, dem Vampir, dem Werwolf und dem Formwandler fester Bestandteil des Bestiariums der amerikanischen Mythologie. Global gesehen, steht er für die uralte Angst, dass die Toten wiederkehren könnten. Kurioserweise ist dabei der freundliche Untote nicht vorgesehen. Offenbar brauchen die Menschen die Gewissheit, dass der Gestorbene, so lieb und teuer er im Leben gewesen sein mag, auch wirklich tot ist.

Filmgeschichtlich gesehen, ist der Zombie-Film so ziemlich das Trashigste, was Hollywood bislang hervorgebracht hat. Der Untote war lange Zeit Garant für mehr oder weniger unfreiwillig komisches, verlässlich miserables Kino. Bezeichnenderweise läuft „The Walking Dead“ bei uns auf RTL2, und zwar als Halloween-Shocker: Der nicht in allererster Linie für sein Qualitätsprogramm bekannte Privatsender wird die dritte Staffel als Serienmarathon zwischen 31. Oktober und 3. November zeigen. Der Pressetext verspricht neue Variationen des Kunstblutvergießens: „Gewehr und Pistole bleiben zwar die bevorzugte Waffe der Menschen im Krieg gegen die Zombies, immer öfter kommen aber auch Macheten, Äxte, Schwerter und Messer zum Einsatz.“

Man tut der Fox-Serie aber Unrecht, reduziert man sie auf den Gruseleffekt. Denn „The Walking Dead“ ist durchaus kein Trash. Nicht nur, weil die virtuelle Technik Verwesung in allen Stadien auf Ekligste darzustellen vermag. Es fällt schwer, die Serie, die auf einer Comic-Reihe basiert, nicht als sehr drastische Anspielung auf den Niedergang der Großmacht Amerika und ihrer Ideale zu sehen.

Wobei bislang noch nicht ganz klar wird, auf welcher Seite die Macher stehen: Man kann die drastische Darstellung eines Landes ohne staatliche Institutionen, das im Chaos versinkt, als Mahnung an all die verstehen, die dieser Tage so hasserfüllt so wenig wie möglich Staat fordern. Man kann den Kampf der Überlebenden aber auch als Huldigung an das uramerikanischste Ideal überhaupt sehen: Nur wenn wir über alle kulturellen, ethnischen und individuellen Gegensätze hinweg zusammenhalten, werden wir überleben. Notfalls eben auch ohne Staat. So gesehen wäre „The Walking Dead“ einfach nur ein Western, in dem eben Zombies anstelle der Indianer zu bekämpfen sind.

Die zentrale Figur, der Polizist Rick Grimes, ist so etwas wie der ideale Amerikaner: mutig, gerecht, ritterlich, prinzipientreu, charismatisch, führungsstark und sensibel. Neben ihm bleiben alle anderen blass. Witzigerweise spielt diesen Musterknaben der Brite Andrew Lincoln („Tatsächlich Liebe“). Offenbar sind in letzter Zeit die Brits die besseren Amerikaner, man denke nur an Hugh Laurie („Dr. House“), Stephen Moyer („True Blood“) oder Damian Lewis („Homeland“).

Rick Grimes ist ein Neuankömmling in der Welt der Streuner. Er hat den Ausbruch der Seuche verpasst, weil er mit einer Schussverletzung im Krankenhaus im Koma lag. Sein Erwachen und Hineintapsen ins Chaos ist ein früher erster Höhepunkt von „The Walking Dead“. Ihm sind bislang noch nicht sehr viele weitere gefolgt, die Serie setzt einerseits auf solide, unterschwellige Dauerspannung, andererseits auf die explizite, mitunter unnötige Darstellung von Brutalität. Was im Genre begründet liegen mag. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“, „F“) hat im Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ die These vorgebracht, der Zombie ermögliche dem Zuschauer einen Perspektivwechsel: „Durch ihn können wir Mitmenschen als seelenlose Wesen sehen, die man ohne Mitleid wegballern kann. Für einen Psychopathen wären alle Menschen Zombies, genau das bestimmt den Blick des Psychopathen auf seine Mitmenschen. Der Zombiefilm erlaubt jedem von uns den Blick des Psychopathen.“ So zögert Rick Grimes anfangs nur kurz, bevor auch er Streuner wegpustet wie alle anderen Überlebenden auch.

Die tatsächlichen Konflikte finden, wie gesagt, zwischen den Menschen statt. Die Zombies sind dafür nur der Katalysator. Wie sich in die Enge getriebene Menschen verhalten, ist immer und immer wieder untersucht worden, und so lebt „The Walking Dead“ eher von der Ausstrahlung Andrew Lincolns, von spektakulären Bildern und von technischer Perfektion als von einem neuen Ansatz.

 
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