Aufbruchstimmung rückwärts: Sie malten 300 Jahre nach deren Tod wie Raffael oder Dürer und schwärmten für den Katholizismus. Und weil sie die Haare lang trugen wie einst Jesus von Nazareth, bekamen sie den Spitznamen Nazarener weg. Sie selbst nannten sich Lukasbrüder – nach dem Evangelisten Lukas, Schutzpatron der Kunstmaler. Keimzelle der Nazarener waren sechs junge Künstler, die sich 1808 an der Wiener Kunstakademie zusammengetan hatten. Es verband sie die Ablehnung von akademischer Kunstauffassung und Lehrmethoden, vor allem aber die Schwärmerei für eine bessere Welt der Vergangenheit.
Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Ludwig Vogel, Johann Conrad Hottinger, Josef Wintergerst und Josef Sutter gründeten 1809 den Lukasbund. Im Jahr darauf machten sich vier von ihnen auf die Reise nach Rom. Dort bezogen sie das aufgelassene Kloster San Isidoro, wo sie gemeinsam lebten und arbeiteten.
Die Sammlung des Museums Georg Schäfer in Schweinfurt birgt ein bedeutendes Konvolut von Arbeiten der Nazarener. Eine thematisch klar umrissene Auswahl ist bis 31. Juli in der Ausstellung „Ritter und Nazarener – Friedrich Rückert und die Mittelalterfantasien“ zu sehen. „Nahezu jedes der gezeigten Bilder hat eine Verbindung zu Friedrich Rückert“, sagt Wolf Eiermann, Leiter des Museums.
Es ist eine Verbindung auf mehreren Ebenen. Zunächst einmal kam sie zustande, weil Rückert 1817 nach Italien gereist war, um Inspiration für ein Kaiser-Barbarossa-Epos zu finden. Daraus wurde nichts, er hat das Epos nie vollendet. Stattdessen traf der 29-Jährige, der gerade seinen Job als Redakteur des „Cottaschen Morgenblattes für gebildete Stände“ in Stuttgart aufgegeben hatte, in Rom auf die deutschen Künstler.
Man hatte neben dem Sinn für Ritterromantik einiges gemeinsam. Rückert brachte es auf die Formel „Tugend, Gott und Vaterland“. Grafikkuratorin Karin Rhein beschreibt im Begleitbuch die weltanschauliche und emotionale Gemengelage: „Herz, Seele und Empfindung, Religion und Nationalität sollten die Grundpfeiler ihrer Kunst sein. Ihre Zukunftsvision gründete auf der Vergangenheit – auf einem idealisierten Mittelalter, einer Zeit verbindlicher Werte, christlicher und nationaler Stärke.“
Rückert und die Nazarener teilten, kurz nach dem Sturz Napoleons und der Enttäuschung des Wiener Kongresses, die Hoffnung auf einen deutschen Nationalstaat. Dichter und Maler freundeten sich an, trafen sich im Caffe Greco am Fuße der Spanischen Treppe, tauschten sich aus, inspirierten einander. Rückert bedichtete das Schaffen der Künstler, die Künstler porträtierten Rückert.
Die Nazarener sahen in ihren Bildern vor allem ein Vehikel, ihren glühenden Glauben zu vermitteln. Kunsthistoriker nehmen ihren Stil heute eher als „kühle Linienkunst“ (Karin Rhein) wahr. Die stimmungsvoll inszenierte Schweinfurter Ausstellung entlarvt diese Ansicht als Vorurteil. Bilder wie Schadows „Heilige Familie unter dem Portikus“ sind so plakativ und farbstark, dass sie über mehrere Säle hinweg wirken.
Und man muss nicht die dichterische Vorlage zu Ludwig Ferdinand Schorr von Carolsfelds „Sturz von Felsen“ kennen, um die ganze Dramatik einer Liebe bis in den Tod nachvollziehen zu können. Die dreiteilige Ausstellung mit den Kapiteln Mittelalter, Italien und Bibeldarstellungen ist ein Beitrag des Museums zum Rückert-Jahr. Sie zeigt je rund 50 Gemälde und Zeichnungen. Spannend ist das direkte Nebeneinander: Motive der Nazarener neben Gedichten Rückerts jener Zeit – Reiseeindrücke, politische Appelle, Empfindsames.
Der Dichter und Sprachgelehrte interessierte sich im Grunde nicht besonders für Musik und Malerei. Die Nazarener hingegen sahen in der Poesie die Mutter aller Künste. So fand man denn 1818, als die Gruppe dem bayerischen Kornprinzen Ludwig zu dessen Rombesuch ein großes Künstlerfest ausrichtete, zu gemeinsamem Schaffen. Die Maler gestalteten die Festdekoration, es gab Musik, und Rückert trug ein sechsteiliges Gedicht vor, in dem er – eine Rarität in seinem Werk – den anderen Künsten huldigte: „Zum Zeichen dessen trag' ich die Palette, / Mit winz'gen Farbenhäufchen aufgeschmückt; / Aus diesen wächst die große Farbenkette, / Die Aug' und Herz bezaubert und entzückt.“
Mit dem Mittelalter war Friedrich Rückert schon als junger Mann in Berührung gekommen. Vermutlich traf er bereits 1806 als Student in den Haßbergen mit Christian Truchsess von Wetzhausen auf einen Vertreter des unter Napoleon entmachteten Ritteradels. Burgen oder deren Ruinen als Zeugen vermeintlich edlerer Zeiten faszinierten Rückert, Fan des Hauses Hohenzollern, zeitlebens. Deutlich vor Pionieren wie Viollet-le-Duc wies er auf den Wert dieser Zeugen hin. Wolf Eiermann: „Er hat das Denkmalbewusstsein der Deutschen entscheidend beeinflusst.“
Öffnungszeiten: Di.–So. 10–17 Uhr, Do. 10–21 Uhr. Bis 31. Juli.