Gerade mal 30 Jahre alt ist der Würzburger, als er 1807 in Rom das Ölgemälde „Der Rat der Griechen vor Troja“ ausstellt. Das monumentale, drei mal 4,40 Meter große Bild zeigt Helden, die resigniert dem greisen Nestor lauschen. Die Ausstellungsbesucher sind begeistert. Journale drucken Reproduktionen. Auch der bayerische Kronprinz Ludwig I. ist von der klassischen Szene angetan.
Bei der Ausstellung in München erregt – ein Jahr später – der „Rat der Griechen“ ebenso Aufsehen wie in Rom. Philosophen-Gattin Caroline Schlegel, seinerzeit eine kulturelle Instanz, schwärmt: „Dergleichen kühne, dabei streng und bescheiden gehaltene Komposition hat unser Zeitalter eben noch nicht gesehen.“ Der bayerische König Maximilian I. Joseph kauft das Bild. 3000 Gulden zahlt er Martin von Wagner – eine Menge Geld. Als Professor für „Höhere Zeichenkunst“ an der Würzburger Universität erhält Wagner jährlich 600 Gulden. Martin von Wagner ist jung, die finanziellen Schwierigkeiten, die ihn noch 1803 drückten, sind überwunden. Alles bestens. Warum nur hört er mitten auf der Straße des Erfolgs, mit der Malerei auf?
Die Ausstellung „Johann Martin von Wagner – Künstler, Sammler und Mäzen“ in der Würzburger Residenz (siehe „Im Blickpunkt“) erzählt viele Geschichten. Die vom plötzlichen Ende einer Malerkarriere ist vielleicht die spannendste. Denn sie gibt Rätsel auf.
Für den Sohn des Würzburger Hofbildhauers Johann Peter Wagner, der unter anderem Figuren für die Hofgärten in Würzburg und Veitshöchheim schuf, schien der Weg vorgezeichnet. Martin trat 17-Jährig in die florierende Werkstatt des Vaters ein. Doch das „leidige Holzschnitzen“ behagte dem Jungen nicht. Er wollte Maler werden – eine Zeichnung zeigt schon den Elfjährigen beim Kopieren eines Tiepolo-Werkes. Martin Wagner (geadelt wurde er erst 1829) zeichnete mit Kreide oder Wasserfarben Porträts der Familie, malte Ölbilder von den Eltern. Sogar eine „heroische Landschaft“ entstand in den Jugendjahren. Einflussreiche Freunde der Familie brachten ihn an die Kunstakademie in Wien.
1803 gewinnt er mit der Zeichnung „Blendung des Polyphem“ in Weimar einen von Goethe ausgeschrieben Preis. Der Geheimrat findet Gefallen an dem Würzburger Künstler, besorgt ihm eine Professur in der Heimatstadt. Der Dichterfürst beeinflusst das Denken – und damit das Leben – Martin von Wagners. Denn der damals 26-Jährige, ohnehin der Kunst der alten Griechen zugeneigt, verfällt den Kunsttheorien des Klassizismus-Apostels aus Weimar. Goethe meint: „Homers Gedichte sind von jeher die reichste Quelle gewesen, aus welcher die Künstler Stoff zu Kunstwerken geschöpft haben.“ Er empfiehlt „größte Einfachheit und Ökonomie der Darstellung“.
Martin Wagner nimmt das sehr ernst. Die Kunsthistorikerin Dr. Ulrike Öhm weist auf Vorzeichnungen, die dem „Rat der Griechen vor Troja“ gegenüber in der Ausstellung hängen. Man könne anhand der Vorstudien zu dem Monumentalwerk nachvollziehen, wie die Figuren immer statischer werden, so Dr. Öhm, die an der Vorbereitung der Ausstellung mitarbeitete. Es wirkt fast, als habe von Skizze zu Skizze immer stärker der Kopf des Künstlers über sein Herz die Oberhand gewonnen, als habe die Kunsttheorie über die Kunst gesiegt.
Der zehnte Gesang von Homer
Wagner illustrierte – ganz im Sinne Goethes – eine Episode aus dem zehnten Gesang von Homers „Ilias“. Er wollte mit dem Bild den Eindruck eines klassischen Frieses erwecken. Das aber nahm „dem Bild den malerischen Reiz“, urteilt Stefan Kummer, Kunstgeschichtler an der der Würzburger Universität. Wagner sei in eine „künstlerische Sackgasse“ geraten, schreibt der Professor im Katalog zur Ausstellung.
Hat Wagner das selbst bemerkt und deshalb die Karriere als Maler beendet, wie Ulrike Öhm mutmaßt? Trotz der Anerkennung der Zeitgenossen und der Mächtigen, trotz des finanziellen Erfolgs, trotz der Preise, die er gewann? Und: Wenn er mit dem „großen, erhabenen Stil“, in dem er den „Rat der Griechen“ malte, nicht zufrieden war: Warum hat er sich nicht, talentiert wie er war, neu orientiert? Einen Wechsel des Stils hatte schließlich auch sein Vater vollzogen, der vom Rokoko-Bildhauer zum Klassizisten wurde.
Die Zeiten, als Goethe, dem Martin von Wagner so viel zu verdanken hatte, das Meinungsmonopol besaß, waren damals auch schon vorbei. Junge Künstler wie Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich malten schon längst in einer Art, die mit all ihrer Emotionalität dem Dichterfürsten überhaupt nicht behagte. Das offensichtlich plötzliche Ende der Malerkarriere (Wagner fertigt nur noch Skizzen) – es bleibt rätselhaft.
Bis zu seinem Tod 1858 blieb Martin von Wagner in Rom – die Professur in Würzburg hat er nie wirklich angetreten. Von Rom aus arbeitete er als Kunstagent für Bayernkönig Ludwig I. In dessen Auftrag reiste er nach Griechenland, erwarb Kunstwerke, die noch heute den Rang der Münchner Antikensammlung, der Glyptothek, begründen. Künstlerisch war Wagner noch als Plastiker tätig. Er formte Modelle für ein Relief in der neuen Würzburger Musikschule, für ein Fries in der Walhalla. Auf seine Weise wurde er doch noch zum Bildhauer, wie es der Vater gewollt hatte.